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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 2 / Inland
Altersarmut

Eine Million Rentner schuftet

Anzahl an Beschäftigten über 67 in zehn Jahren um die Hälfte gestiegen
Von David Maiwald
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Lebensabend im Warenlager (Symbolfoto)

Mehr als eine Million Menschen müssen hierzulande auch im Rentenalter noch schuften. Wie die Neue Osnabrücker Zeitung am Mittwoch berichtete, gingen im vergangenen Jahr 1,049 Millionen Menschen im Alter von mindestens 67 Jahren einer Beschäftigung nach. Die Zahl hatte BSW-Chefin Sahra Wagenknecht beim Statistischen Bundesamt abgefragt. Sie ist drastisch gestiegen: Gingen vor zehn Jahren noch 660.000 Menschen mit 67 oder mehr Jahren einer Beschäftigung nach, waren es 2021 bereits 871.000. Insgesamt sind also 50 Prozent mehr Rentner als noch vor zehn Jahren in einem Beschäftigungsverhältnis.

Die gesetzliche Rente sichere kaum noch das Auskommen im Alter, »sondern zwingt immer mehr Rentner zur Maloche bis zum Lebensende«, wurde Wagenknecht in der Neuen Osnabrücker Zeitung zitiert. Auch wenn einige im hohen Alter »nicht nur aus finanziellen Motiven« arbeiteten, zeige »die kontinuierlich steigende Zahl, dass immer mehr Rentner und zum Teil Hochbetagte schlicht gezwungen sind, ihre zu schmale Rente aufzubessern«. Das Rentensystem zeige sich »respektlos« gegenüber der Lebensleistung derer, »die jahrzehntelang eingezahlt haben«, erklärte Wagenknecht.

Eine am Montag bekanntgewordene Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der BSW-Gründerin hatte ergeben, dass 1,08 Millionen Menschen hierzulande nach 45 Beitragsjahren weniger als 1.200 Euro Rente im Monat erhalten. Viele dieser Senioren sind damit am Lebensabend auf Grundsicherung im Alter angewiesen, um über die Runden zu kommen. Und besonders in Ostdeutschland trifft das annähernd doppelt so viele: Während im Bundesdurchschnitt rund ein Fünftel der Rentner weniger als 1.200 Euro monatlich erhält, sind es in Sachsen knapp 40 Prozent. Auch in Thüringen (39,15 Prozent) und Brandenburg (33,49 Prozent) ist diese Art der Altersarmut sehr viel weiter verbreitet als im Bundesdurchschnitt.

In den vergangenen Jahren sei nicht nur die absolute Zahl der Beschäftigten im Rentenalter stetig gestiegen, bemerkte die Neue Osnabrücker Zeitung am Mittwoch, »sondern auch die Erwerbsquoten der 70- bis 90jährigen«. Mittlerweile arbeiteten auch »mehr als doppelt so viele Frauen über 80 wie noch vor zehn Jahren«.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Reil C. aus Schrobenhausen (26. Juli 2024 um 08:44 Uhr)
    Eine Million Rentner schuften, dazu gehöre ich leider auch. Nicht aus Freunde an der Arbeit oder Menschen zu treffen, sondern weil die Rente nicht reicht. 45 Jahre habe ich gearbeitet und nicht so schlecht verdient, doch die Rente reicht nicht, um ein normal schönes Rentnerleben zu haben, das man sich eigentlich verdient hätte. Seit langer Zeit bin ich körperlich sehr angeschlagen und kann nicht mehr in meinem Minijob arbeiten. Das löst wiederum den Druck aus; ich muss arbeiten, um leben zu können. Dieses ist ein Kreislauf, der auf die Psyche schlägt. Der noch größere Nachteil ist, ich muss mich verschulden, jeden Monat ein bisschen mehr, und meine Psyche hängt im Keller. Was kann man tun, was soll man machen? Ich bin ratlos und weiß nicht, ob ich die Schulden jemals zurückzahlen kann, da ich alleinstehend bin und mir niemand unter die Arme greifen kann. Und dann lese ich diesen Artikel, dass viele Rentner im Minijob arbeiten, damit sie unter Leute kommen. Das würde ich auch sehr gerne. Doch Hilfe bekommt man nicht. Für dieses Land und meine Rente habe ich mich krank geschuftet, und was bleibt, sind Angst, Verzweiflung, Krankheit und Enttäuschung. Armes Deutschland.
  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (25. Juli 2024 um 14:22 Uhr)
    Karl-Heinz bekommt jetzt Mindestlohn. Von der Rente kann er nicht leben. Von 580,51 Euro werden für Kranken- und Pflegeversicherung 65,59 Euro abgezogen. Vom Mindestlohn behält die Firma etwas ein. Mindestlohn bekommt er wegen des Alters und weil er wegen »Umwelt« nicht genug schafft. Die Gluthitze, Regen und sonstiges, das auch jüngeren Arbeitern schwer zu schaffen macht. Karl-Heinz ist gelernter Straßenbauer. Vor Ort für Wege und behindertengerechten Ausbau von Bushaltestellen als ungelernter Helfer beschäftigt. Eine chronische Atemwegserkrankung macht ihm zu schaffen, das Schnaufen, wie er sagt, es geht nicht gut. Kein Mitleid nach 45 Jahren in Staub und Teerdampf. Aus dem Osten kommt er, teilt sich ein Billigzimmer in einer Hotelpension mit vier Kollegen. Kleine Kochplatte, Etagenbett, Gemeinschaftstoilette und Dusche für 100 Euro die Nacht. 25 Euro für jeden. Unterm Dach herrscht unerträgliche Hitze. Vereint mit Straßenlärm erlöst ihn kein Tiefschlaf. Freitag nachmittags ist Heimfahrt. Das Zimmer muss er trotzdem bezahlen, sonst ist es weg. Mit dem Ost-Facharbeiterbrief kann er sich den Arsch wischen, sagte man. Hier ist Arbeitsmarkt – Markt, muss man verstehen, heißt Angebot und Nachfrage am Bodensee, der für touristische Vorteile gelobt wird. Nach Starkregen ist wegen der Keimbelastung kein Bad im See möglich. Wegen Tigermücken und Entenkot bestehen gesundheitliche Risiken. Darüber spricht keiner und auch nicht darüber, dass wegen Starkregen Hunderte Touristen, besonders von Campingplätzen, geflohen sind. Übrigens hat die 68jährige SPD-Bundestagsabgeordnete Heike Baehrens aus Göppingen kein Mitleid mit älteren Menschen, die ihr Vermögen nicht bis auf einen Schonbetrag aufbrauchen oder ihr Haus verkaufen, um einen Platz im Pflegeheim zu finanzieren. Die SPD-Gesundheitsexpertin beklagte in einem SWR-Interview, dass bei der Pflege ständig über die Kosten lamentiert werde. »Es gibt nämlich wirklich was Schlimmeres als teure Pflege – und das ist keine Pflege.«
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (24. Juli 2024 um 23:19 Uhr)
    Und was nützt die ständige Wiederholung dieses eklatanten Missstandes, wenn daran nicht das Geringste geändert wird? Nun, ganz einfach: Man muss diesen nur oft genug benennen, dann wird er mit der Zeit zum neuen »Normal«. So trainiert man einer Rentnergeneration nach der anderen zunehmend das »Rentnern« ab, so dass man dann auch schon bald kaum noch von »Ruhestand«, sondern vorwiegend von »Endlebenstätigkeit« sprechen wird. Eine englische Bezeichnung für diese neue Generation der Rollator-Malocher gibt es ja bereits: Silver-Jobber.
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (24. Juli 2024 um 22:19 Uhr)
    Rentner als industrielle Reservearmee und Ausputzer schlechtbezahlter Jobs, das ist ganz nach dem Geschmack des Kapitals, das zusätzlich vernutzen und verwerten möchte, assistiert vom hiesigen Wertestaat.