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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Horn von Afrika

Nächster Anlauf für Sudan

USA wollen Verhandlungen mit beiden Kriegsparteien in der Schweiz. Andere Formate und Gespräche bislang erfolglos
Von Pablo Flock
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Paramilitärs gegen Panzer: Zerstörtes Kriegsgerät in der größten Stadt Sudans, Omdurman (7.4.2024)

Genaue Zahlen zu den Opfern des seit über 15 Monaten andauernde Krieges im Sudan gibt es nicht. Schätzungen reichen von mehreren zehntausend bis zu 150.000. Mehr als zehn Millionen Menschen sind seit Beginn der Kampfhandlungen zwischen der De-facto-Regierung von Militärchef Abdel Fattah Al-Burhan und der Miliz seines früheren Vizes Mohammed Hamdan Daglo aus ihren Häusern vertrieben worden. Nahezu 26 Millionen Sudanesen leiden nach Angaben der UNO vom Dienstag an Hunger – darunter 750.000, die »nur einen Schritt von der Hungersnot entfernt« sind.

Nach mehreren gescheiterten Waffenstillstandsvereinbarungen und Verhandlungsversuchen kommt aus Washington ein erneuter Vorstoß. Am Dienstag teilte US-Außenminister Antony Blinken mit, seine Regierung habe die sudanesische Armee (SAF) und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) zu Waffenstillstandsgesprächen eingeladen, die am 14. August in der Schweiz beginnen sollen. RSF-Chef Daglo erklärte daraufhin am Mittwoch, er würde sich konstruktiv an den Gesprächen beteiligen, um »einen umfassenden Waffenstillstand im ganzen Land zu erreichen und den humanitären Zugang zu allen Bedürftigen zu erleichtern«. Darüber hinaus bekräftigte er in der Erklärung seinen Willen, »Leben zu retten, die Kämpfe zu beenden und den Weg für eine friedliche, verhandelte politische Lösung zu ebnen, die das Land wieder zu einer zivilen Regierung und auf den Weg des demokratischen Übergangs zurückführt«. An den Gesprächen werden demnach die Afrikanische Union, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Vereinten Nationen als Beobachter teilnehmen, so Blinken in einer Erklärung. Saudi-Arabien werde als Kogastgeber fungieren, fügte er hinzu.

Zuvor hatten Delegationen beider Seiten unter UN-Vermittlung im sogenannten Proximity-Format in Genf verhandelt. Beide Parteien sprachen jeweils einzeln mit dem UN-Sondergesandten für den Sudan, dem ehemaligen algerischen Vizepremierminister Ramtane Lamamra, über Wege, Zivilisten im Konflikt zu schützen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Doch schon am ersten Tag war eine nicht spezifizierte Seite laut einer Sprecherin nicht erschienen, und der holprige Start der Verhandlungen schien sich fortzusetzen: So beklagte Al-Burhan, dass die Teilnehmenden auch einige Tage nach Ankunft noch kein genaues Programm oder eine Agenda vorgelegt bekommen hätten. Am Freitag endete das Treffen dann, ohne eine humanitäre Einigung zu erzielen. Lamamra habe sich jedoch seit dem 13. Juli mehrfach mit beiden Parteien getroffen, versicherte die Sprecherin der UN-Delegation.

Ob auch Al-Burhan das US-Angebot annehmen wird, war bis jW-Redaktionsschluss unklar. Gegenwind bekommt er offenbar aus seiner Truppe. So hatte der stellvertretende Oberbefehlshaber Jassir Al-Atta während des Treffens in Genf vergangene Woche erklärt: »Es wird keine Verhandlungen geben, keinen Waffenstillstand, auch wenn der Krieg 100 Jahre dauert.« Das Interesse der sudanesischen Bevölkerung liege »in der Eliminierung der RSF«, da sich der Konflikt sonst nur aufschieben würde, sagte Al-Atta laut Sudan Tribune vom Dienstag bei einer Beförderungszeremonie junger Offiziere. Andererseits gibt Al-Burhans Regierung an, »der Plattform von Dschidda und den sich daraus ergebenden humanitären Verpflichtungen uneingeschränkt verpflichtet« zu bleiben. In der saudischen Wüstenstadt hatten sich beide Seiten im Mai unter Vermittlung von Riad und den USA darauf geeinigt, sichere Fluchtwege und die Beförderung humanitärer Hilfe zu ermöglichen.

Sprecher und Informationsminister Graham Abdelgadir erklärte dazu am 14. Juli, seine Regierung erkenne »keine andere Einrichtung für humanitäre Hilfe als die zuständigen Regierungsstellen an«. Sie habe »in der Tat ihre Bereitschaft unter Beweis gestellt, der sudanesischen Bevölkerung in Gebieten, in denen die RSF-Miliz präsent ist, humanitäre Hilfe zu leisten«. So sei »kürzlich die Einreise von mehr als 460 Lastwagen mit humanitärer Hilfe über den Grenzübergang Al-Tina an der Grenze zum Tschad« erleichtert worden. Der Armee war wiederholt vorgeworfen worden, Hunger als Waffe einzusetzen, indem sie Hilfstrucks an Grenzübergängen zu RSF-Gebieten blockiere. Begründet wurde dies damit, dass die Trucks auch Waffen zu den Paramilitärs schmuggeln würden. Ende Juni wurde deshalb der sudanesische Botschafter aus dem Tschad zurückgeholt. Ein nicht benannter Insider der Regierung erklärte damals gegenüber der Sudan Tribune, dass der Tschad die RSF aktiv unterstützen würde, »indem er seine Grenzen für den Nachschub aus den Vereinigten Arabischen Emiraten öffnet und die Bewegung der RSF-Kommandeure und der rekrutierten ausländischen Kämpfer erleichtert«. Der Tschad sei mitschuldig an der Einmischung in sudanesische Angelegenheiten.

Die USA wollten nun auf der Arbeit von Dschidda – die faktisch keine Besserung für die sudanesische Bevölkerung gebracht hat – aufbauen, wie Außenministeriumssprecher Matthew Miller am Dienstag erklärte. Ziel des Treffens in der Schweiz sei es, die Gespräche in die nächste Phase zu bringen. Man sei zu dem Schluss gekommen, »dass die Zusammenführung der Parteien, der drei Gastgeberländer und der Beobachter die beste Möglichkeit ist, um eine landesweite Beendigung der Gewalt zu erreichen«.

Hintergrund: Postkoloniale Normalität

Die Basis für immer wiederkehrende Konflikte im Sudan legte die frühere Kolonialmacht Großbritannien, die mit Unabhängigkeit 1956 das gesamte Gebiet an die arabische Elite in Khartum übergab. Dies führte von Beginn an zu einem Bürgerkrieg im Süden des Landes, den der vom panarabischen Sozialismus zum Islamismus übergegangene Präsident Dschafar an-Numairi 1972 kurzzeitig beenden konnte, bis die Einführung der Scharia im dann autonomen Südsudan und die Auflösung der Autonomieregierung den Konflikt wieder entfachten. Auch Omar Al-Baschir, der nach kurzen drei Jahren Demokratie mit einem Putsch 1989 wieder die islamistische Ordnung einführte, konnte die Region nicht befrieden. Bei einem Friedensvertrag im Jahr 2005 musste Al-Baschir der südsudanesischen Sudan People›s Liberation Army/Movement (SPLA/M) dann ein Referendum für das Jahr 2011 zusagen, in dessen Folge der Südsudan unabhängig wurde.

In den 2000er Jahren begannen auch andere marginalisierte ethnische Gruppen sich gegen die islamistische Diktatur aufzulehnen. So organisierten sich im westlich gelegenen Darfur die Fur, Massalit und Zaghawe in der Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A) und dem Justice and Equality Movement (JEM); in den südöstlichen Gegenden Blauer Nil und Südkordofan gründeten die SPLA/M eine Splittergruppe, und die am Roten Meer gelegenen Beja begehrten innerhalb der Ostfront auf. Doch während die SPLA/M im ölreichen Südsudan vom Westen unterstützt wurde, da man den mit Iran verbündeten Sudan schädigen wollte, konnten die von der Regierung aufgerüsteten »Dschandschawid«-Milizen recht ungestört einen Genozid in Darfur verüben, bei dem rund 300.000 Menschen getötet wurden. Die institutionalisierte Nachfolgeorganisation der »Dschandschawid«, die Rapid Support Forces von Mohammed Hamdan Daglo, kämpfen seit April 2023 nicht nur gegen die De-facto-Regierung in Khartum, sondern auch gegen nichtarabische Bevölkerungsgruppen in Darfur – die UNO warnt vor einem weiteren Genozid. (pf)

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