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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 4 / Inland
Sommerpressekonferenz

Keine Panik im Kanzleramt

Sommerpressekonfernz: Scholz präsentiert sich vor Hauptstadtjournalisten als Macher, der alles im Griff hat
Von Philip Tassev
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All zuviel Kritik hatte Kanzler Olaf Scholz am Mittwoch in der Berliner Bundespressekonferenz nicht zu befürchten

Klimawandel, Kriegsgefahr, Krise der bürgerlichen Demokratie: Wer die undankbare Aufgabe hatte, am Mittwoch die Sommerpressekonferenz von Olaf Scholz (SPD) zu verfolgen, konnte leicht den Eindruck gewinnen, es sei eigentlich alles gar nicht so schlimm, die Ampelregierung mache einen tollen Job und die Bundesrepublik befinde sich insgesamt auf einem guten Weg. Anderthalb Stunden stellte sich der Bundeskanzler in Berlin den Fragen der versammelten Hauptstadtpresse. Scholz nutzte die ihm gebotene Bühne, um sich als durchsetzungsfähigen, aber besonnenen Macher zu präsentieren, der viele zukunftsweisende Maßnahmen für die »Modernisierung« und ein »besseres Leben« angestoßen habe: »Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.«

Von seiner Partei zeichnete er ein Bild der »Geschlossenheit«. Nie habe es eine »geschlossenere SPD gegeben.« Bei der nächsten Bundestagswahl werde er erneut als Kanzlerkandidat der Partei antreten. Die Regierung hatte am Mittwoch beschlossen, die Wahlen am 28. September 2025 abzuhalten. Der Bundespräsident muss den Termin noch formal absegnen.

Wieso die Sozialdemokraten in jüngsten Umfragen so schlecht abschneiden, wollte Scholz nicht beantworten. Selbstbewusst behauptete er statt dessen, die Werte würden sich bis zum Herbst 2025 verbessert haben. »Umfrageergebnisse, die nicht gut sind, sind ein Ansporn, bessere Umfrageergebnisse erreichen zu wollen.« Dazu müsse man »durch Taten überzeugen und durch Klarheit«. Mit vollem Ernst bezeichnete er sich als »Mister Mindestlohn« und kündigte ein hartes Vorgehen gegen Lohndumping und Schwarzarbeit an. Dazu soll der Zoll verstärkt und neu aufgestellt werden. Innenpolitisch spiele für Scholz weiterhin die Begrenzung von »irregulärer Migration« eine »zentrale Rolle«. Es sei ein Erfolg, dass die Ampelregierung endlich mit dem »Schlendrian« Schluss gemacht habe. Den Hauptstadtjournalisten versprach er mehr Abschiebungen. Die Regierung arbeite daran, »dass Sie bald berichten können«.

Gleichzeitig müsse aber mit dem Anwerben von Arbeitskräften nicht nur aus der EU dem drohenden Arbeitskräftemangel begegnet werden. Die »Arbeitskräftezuwanderungsstrategie« werde dafür sorgen, diesen Mangel in der BRD in den nächsten Jahrzehnten zu vermeiden, »im Gegensatz zu fast allen unseren Nachbarländern.«

Mit Blick auf die AfD und das BSW sprach er von »Spaltungsunternehmern« und »Polarisierungsunternehmern«, die »nicht den Ton in unserer Gesellschaft angeben« dürften.

Das Verbot der extrem rechten Zeitschrift Compact verteidigte der Kanzler, bezeichnete sich aber im gleichen Atemzug als »großen Vorkämpfer für die Pressefreiheit«, eine Freiheit, die aber »Grenzen« habe. Das Magazin war am 16. Juli vom Bundesinnenministerium per Verfügung verboten worden.

Außenpolitisch waren der Ukraine-Krieg, die US-Präsidentschaftswahl und der Krieg in Palästina die bestimmenden Themen. Scholz rechtfertigte die geplante Stationierung von US-Raketen auf bundesdeutschem Gebiet. Sie dienten allein der »Abschreckung« und sorgten so dafür, »dass kein Krieg stattfindet«. Überhaupt seien alle seine militärpolitischen Entscheidungen so angelegt, dass es »nicht zu einem Krieg zwischen Russland und NATO kommt«. Deswegen werde Deutschland zwar weiterhin die Ukraine unterstützen, aber unter keinen Umständen Soldaten dorthin schicken. Eine Absage erteilte er auch allen Bestrebungen, die BRD zu einer Nuklearmacht zu machen.

Beim Thema US-Wahlkampf blieb Scholz zurückhaltend. Die US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die als Nachfolgerin des kürzlich aus dem Wahlkampf ausgeschiedenen US-Präsidenten Joseph Biden gehandelt wird, sei zwar eine »kompetente Politikerin«, die »weiß, was sie will und was sie kann«, aber die Entscheidung, wer der nächste Präsident wird, sei die der US-amerikanischen Wähler. Er »werde mit jeder US-Regierung gut zusammenarbeiten«.

Die Frage eines Journalisten, was die Bundesregierung unternehme, um der Forderung des Internationalen Gerichtshofs nach einem Ende des Handels mit Produkten aus dem israelisch besetzten Westjordanland nachzukommen, bezeichnete der Kanzler als »eklig«. Mit ihm werde es kein »Boykott von Waren aus Israel« geben.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (25. Juli 2024 um 14:45 Uhr)
    Wie man hört, haben die Journalisten in der BPK brav den vermutlichen Vorgaben des Kanzleramtes bei der Fragestellung Folge geleistet. Deshalb zum Beispiel keine Fragen zum Ermittlungsstand beim Attentat auf die Nord-Stream-2-Pipeline. Dafür durfte Kanzler Scholz mit Halbwahrheiten aufwarten, die allesamt zu keinerlei Nachfragen durch die anwesende Journaille geführt haben. Beispielsweise behauptete Scholz, Russland hätte die Abrüstungsverträge mit den USA aufgekündigt. Was er demagogisch verschwieg, war die Tatsache, dass die Abrüstungsverträge zuerst von den USA gekündigt wurden und Russland erst danach ebenfalls ausgestiegen ist. Schlimm, dass er damit bei angeblich der Wahrheit verpflichteten Medienvertretern durchkam.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (24. Juli 2024 um 23:33 Uhr)
    Der Witz des Tages: Scholz will ein weiteres Mal Kanzler werden. War er es denn schon mal? Er kann sich nicht daran erinnern! - »Amerika, du hast es besser!«
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (24. Juli 2024 um 22:27 Uhr)
    Unter Merkel war Scholz so was wie ein unauffälliger Schleicher, den man gut und gern auch als Büroleiter einstufen konnte. Nun geriert er sich als aufgeblasener Kapitän, der mit säuselnder Stimme ewig optimistisch-nichtssagend agiert. Dass er sich an seine zurückliegenden Verfehlungen einfach nicht erinnern mag, rundet das Bild dieses mickrigen Kanzlers und Famulus der USA ab.

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