75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 7 / Ausland
Frankreich

Macron im Wunderland

Frankreich: Linke einigt sich auf Kandidatin für Regierungsspitze. Doch Macron kümmert sich erst mal um Olympische Spiele
Von Hansgeorg Hermann
7.JPG
Will sich schön inszenieren: Emmanuel Macron am Mittwoch in Paris

Neues Kopfschütteln in Frankreich. Statt sich um eine Regierung für das regierungslose Land zu kümmern, ergeht sich Staatschef Emmanuel Macron zur Zeit in einer neuen Rolle als Organisator und Mäzen der Olympischen Spiele. Diese werden am Freitag in Paris eröffnet. Eine Stunde vor einem Fernsehinterview am Dienstag abend, bei dem er eine »politische Waffenruhe« während der Spiele anmahnte, präsentierte ihm die linke Neue Volksfront (Nouveau Front populaire) allerdings ihre Kandidatin für das Amt des Ministerpräsidenten: die 37jährige parteilose hohe Staatsbeamtin und Ökonomin Lucie Castets. Unter Experten hat sie sich wegen der Verfolgung reicher Steuerflüchtlinge einen Namen gemacht. Ein empörter, sichtlich überraschter Macron nahm vor laufender Kameras nicht einmal den Namen der Kandidatin zur Kenntnis. Es gehe nicht um eine Personalie, sondern darum, Ende August im Parlament »eine breite Mehrheit zu finden«, die »handeln und dem Land Stabilität« geben könne, so der Präsident.

Diese Mehrheit sieht Macron nicht bei der Volksfront, die am 7. Juli die Wahlen zur Nationalversammlung gewann und dort mit 180 Sitzen die stärkste Fraktion stellt – vor seinem eigenen Bündnis Ensemble pour la République mit 156 und dem extrem rechten Rassemblement National mit 143 Sitzen. Der Regierungschef verlangt statt dessen einen »Front Républicain«, eine sogenannte Koalition der moderaten Kräfte. Dieser sollten demnach sein eigener Wahlverein Ensemble, den er im politischen Zentrum verortet, sowie willige, bisher in der Volksfront gebundene Sozialdemokraten des Parti Socialiste und Bürgerlich-Rechte der Partei La Droite républicaine angehören. Der Fraktionsführer der Republikaner, Laurent Wauquiez, träumt seinerseits von einem parlamentarischen Mitte-rechts-Bündnis, einem »pacte législatif«, das Gesetzentwürfe einbringen und mit Mehrheit verabschieden könne.

Macron, den politische Kommentatoren am Mittwoch als einen von der Linken »belästigten« Staatschef sahen, der sich vorerst ins Wunderland der Olympischen Spiele verabschiedet habe, will über Kandidaten für den Posten des Regierungschefs vorerst nicht einmal diskutieren, wie er selbst betonte. Das habe Zeit bis nach dem 11. August, dem Datum für die Abschlussfeier des weltweit »bestaunten« Sportspektakels: ein Fest für multinationale Konzerne, vor allem für »Partner« genannte Sponsoren wie Coca-Cola oder LVMH, den Luxuskonzern des Präsidentenspezis Bernard Arnault. Für Macron offenbar auch ein Ereignis, das Großinvestoren durch die Ankündigung einer mit den Finanzgeschäften ultrareicher Steuerflüchtlinge vertrauten Ministerpräsidentin Castets nicht verstören soll.

Dass er – nach den Spielen – eine linke Kandidatin aus der von ihm offensichtlich verachteten und nicht als regierungskompatibel eingestuften Volksfront mit der Regierungsbildung beauftragen könnte, scheint nach dem TV-Interview ausgeschlossen. Aus den vier Parteien der Volksfront – Kommunisten, France insoumise, Sozialisten und Grüne – will sich der Präsident jene Abgeordneten herauspicken, die sich opportunistisch in das von ihm erträumte rechtsliberale Regierungsbündnis einfügen könnten. Nicht ausgeschlossen ist offenbar selbst die gelegentliche Zusammenarbeit mit den Leuten des Rassemblement National. Deren totale Nichtberücksichtigung bei der Verteilung der Schlüsselpositionen im neugewählten Parlament – Präsidium, Ausschüsse – bezeichnete er als »keine gute Sache«.

In der Tat hatten der Rassemblement National mit Spitzenkandidat Jordan Bardella und Fraktionschefin Marine Le Pen bei den Wahlen nahezu elf Millionen Stimmen eingesammelt – was 37,25 Prozent des Gesamtergebnisses entspricht – und dafür lediglich 143 Sitze bekommen. So will es das französische Direktwahlsystem. Macrons Ensemble, mit 6,3 Millionen und 24,07 Prozent der Stimmen weit hinter den Rechtsaußen, sitzt dagegen mit 156 Abgeordneten in der Nationalversammlung. Gespräche zwischen Gesandten beider Formationen laufen bereits seit dem Winter.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. Juli 2024 um 10:05 Uhr)
    In der Olympiavorbereitung findet in Frankreich ein unwürdiges politisches Spiel statt, bei dem es um den Betrug der Wähler geht. Ziel ist es, die linke Volksfront von der Regierung fernzuhalten. Macron versucht, das linke Bündnis zu spalten und eine Große Koalition zu formen, die seine Politik fortsetzt. Nach der Wahl wurde deutlich sichtbar, dass die Wähler nicht nur einen Sieg der extremen Rechten verhindert, sondern auch Macrons neoliberaler Agenda die rote Karte gezeigt haben. Das linke Lager fordert nun die rasche Ernennung seiner Kandidatin. »Ich bin bereit, wir sind bereit. Ich fordere den Präsidenten auf, mich zur Premierministerin zu ernennen«, sagte Lucie Castets im Sender France Inter. Sie sprach sich klar für eine linke Regierung aus.

Ähnliche:

  • Das Lager von Staatschef Emmanuel Macron kann aufatmen: Parlamen...
    20.07.2024

    Die Verlierer gewinnen

    Frankreich: Macrons neue Rechte behält Vorsitz im Parlament
  • Jubel auf der Place de la République in Paris am Sonntag abend
    09.07.2024

    Volksfront schlägt Le Pen

    Wahlen in Frankreich: Sieg der vereinten Linken. Mehrheit wollte weder Staatschef Macron noch Rechtsaußen
  • RN-Parteichef und neurechter Tik-Tok-Star Jordan Bardella
    02.07.2024

    Ende der »Macronie«

    Parlamentswahlen: Le-Pen-Partei schielt auf absolute Mehrheit. Linke Volksfront zweitstärkste Kraft

Regio:

Mehr aus: Ausland