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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 7 / Ausland
Sanktionsregime

Kurswechsel der EU in Syrien gefordert

Initiative von acht Mitgliedstaaten. Sanktionen stehen nicht ernsthaft zur Debatte
Von Wiebke Diehl
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Anhaltende Sanktionen verhindern den Wiederaufbau im kriegszerstörten Syrien (Marian, 1.7.2021)

Sie hatten es bereits Anfang Juni angekündigt, jetzt machen sie ernst: Am Montag legten Österreich, Italien, Kroatien, Tschechien, Zypern, Griechenland, Slowenien und die Slowakei ein Papier vor, in dem sie zu einem Kurswechsel in der EU-Politik gegen Syrien aufrufen. Angeführt von Österreich und Italien fordern die Außenminister der acht Länder den Außenbeauftragten der Union, Josep Borrell, auf, die EU-Strategie für Syrien grundlegend zu überprüfen. Hauptansporn sei, »die Voraussetzungen für eine Rückkehr von Flüchtlingen und Migranten nach Syrien« zu schaffen und die Zunahme chinesischer Einflüsse auf Damaskus zu verhindern, um statt dessen »den politischen Einfluss der EU zu stärken«, so das vor einem Außenministertreffen veröffentlichte Non-Paper. Gefordert wird auch die Ernennung eines Gesandten der Europäischen Union für Syrien und die »Wiedereinstellung« des syrischen Botschafters bei der EU.

Zweifellos ist die seit über 13 Jahren andauernde Regime-Change-Politik der EU und der USA gegenüber Damaskus gescheitert. So müssen die Initiatoren des Papiers zugeben, dass die Regierung von Baschar Al-Assad ihre »Macht konsolidiert« und ihre »Beziehungen zur arabischen Welt neu aufgestellt« hat. Sie sitze heute »fester im Sattel denn je«. Im Mai 2023 war ­Syrien – trotz vehementer Versuche Washingtons, dies zu verhindern – als vollwertiges Mitglied in die Arabische Liga zurückgekehrt, nachdem die relevanten Staaten der Region bereits in Folge der verheerenden Erdbeben im türkisch-­syrischen Grenzgebiet vom Februar 2023 ihre Beziehungen zu Damaskus normalisiert hatten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, einer der Hauptunterstützer bewaffneter Milizen, die Syrien bis heute terrorisieren, und dessen Armee Teile des Landes besetzt hält, hat seine Bemühungen, eine Annäherung mit Damaskus herbeizuführen, erheblich verstärkt. Sein Ziel ist es, Beziehungen wie vor dem Krieg herzustellen, die gemeinsamen Grenzen sollen geöffnet werden, man stellt einen Abzug des türkischen Militärs in Aussicht.

Der Westen droht zunehmend ins Hintertreffen zu geraten – insbesondere gegenüber dem Iran und Russland, aber auch gegenüber China. Beijing sagte Damaskus im September 2023 nicht nur Hilfe beim Wiederaufbau zu. Beide Staaten unterzeichneten auch eine strategische Partnerschaft, die wirtschaftliche Kooperation umfasst. So selbstlos, wie sie die Urheber darstellen wollen, ist die Initiative für eine neue Syrien-Politik also nicht.

»Der Umgang mit unbeabsichtigten negativen Auswirkungen der Sanktionen« soll sich zwar ebenfalls unter den zehn Punkten des Papiers finden. Von einer Aussetzung oder zumindest Abmilderung der »einseitigen Zwangsmaßnahmen«, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass heute laut dem UN-Flüchtlingshilfswerks 90 Prozent der syrischen Bevölkerung in Armut leben, scheint hingegen keine Rede zu sein. Seit nunmehr 13 Jahren verhindert die EU gezielt und expressis verbis einen Wiederaufbau des kriegsgeschundenen Syrien, solange die Regierung Assad an der Macht ist – obwohl große Teile des Landes längst befriedet sind. Bis heute instrumentalisiert sie unter Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz humanitäre Hilfe, indem sie diese an Damaskus vorbei auf unter oppositioneller Kontrolle stehende Gebiete konzentriert. Die Sanktionen dienen seit jeher dem Zweck, den misslungenen Versuch, die Regierung mit Hilfe von aus dem Westen ausgerüsteten und trainierten Kopfabschneiderbanden zu stürzen, vielleicht doch noch zum Erfolg zu führen.

Wie ernst die Initiative gemeint ist, wird sich daran beurteilen lassen, ob man bereit ist, den Wirtschaftskrieg zu beenden, den Wiederaufbau Syriens zu unterstützen und Beziehungen auf Augenhöhe aufzunehmen. Auch gegenüber Erdoğan hat Damaskus bereits selbstbewusst deutlich gemacht, dass man Wiedergutmachung für die Zerstörung Syriens in Form von Wiederaufbauhilfen verlangt. Fraglich bleibt auch, wie sich etwa Paris und Berlin positionieren werden. In bezug auf die Bundesregierung haben die Initiatoren erklärt, sich – genau wie von Ungarn – Unterstützung zu erhoffen.

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