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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 8 / Ansichten

Im Verbotswahn

Schließung des Islamischen Zentrums Hamburg
Von Knut Mellenthin
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Razzia auf dem Gelände des Islamischen Zentrums Hamburg: Außenbereich der Imam-Ali-Moschee am Mittwoch

Es ist vollbracht: Innenministerin Nancy Faeser ist am Mittwoch einem gemeinsamen Wunsch aller im Bundestag vertretenen Parteien nachgekommen und hat das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) zusammen mit fünf ihm zugeordneten Organisationen in anderen Teilen der BRD verboten. Ebenso wie das Verbot des rechtsextremen Magazins Compact und der gleichnamigen Website in der vorigen Woche wird auch das neue Maßnahmenpaket mit dem Vereinsrecht begründet.

Das IZH ist Trägerverein einer Moschee an der Alster, die Platz für 1.500 Menschen bietet und bisher religiöser und gesellschaftlicher Mittelpunkt für die schiitischen Gemeinden Hamburgs und seines Umlandes war. Was mit dem in der ersten Hälfte der 1960er Jahre errichteten Gebäude künftig geschehen soll, ist eine offene Frage. Einstweilen ist es Presseinformationen zufolge geschlossen und wird von der Polizei bewacht.

Der zentrale Verbotsgrund gegen das IZH ist seine Nähe zum Iran. Aber diese Nähe ergibt sich naturgemäß aus der Rolle, die Persien jahrhundertelang in der Entwicklung und Geschichte der schiitischen Glaubensgemeinschaft gespielt hat. Ihre wichtigsten heiligen Stätten und Wallfahrtsorte befinden sich dort. Ein Verbot, diese Verbindung aufrechtzuerhalten, und der Versuch, den in Deutschland lebenden Schiiten statt dessen Führungsgremien und Strukturen aufzuzwingen, die von deutschen Behörden kontrolliert und von deutschen »Sicherheitsorganen« überwacht werden, wäre ebenso grotesk wie unrechtmäßig. Dass dieser Versuch überhaupt unternommen wird und dass er kaum auf Kritik, geschweige denn auf Widerstand stößt, ist erschreckend.

Das von Faeser verhängte Verbot des IZH und aller existierenden oder künftigen »Ersatzorganisationen« stellt eine offensichtliche Missachtung des Artikels 4 des Grundgesetzes dar. Dort heißt es: »Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich« und: »Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.«

Das Vorgehen der Regierung und des Staates gegen das IZH hat über das Religiöse hinausgehend eine allgemeinpolitische Dimension. Verbote und andere Repressionsmaßnahmen gewinnen in einer Zeit, wo die Bevölkerung nach bald 80 Jahren »Frieden« systematisch und konzertiert auf große Kriege mit unkontrollierbaren Folgen eingestimmt werden soll, rasend schnell an Bedeutung. Die Begründungen sind hanebüchen, weil Begriffe wie »unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung« und »unsere Werte« nicht rechtlich klar definiert, sondern subjektiven Anschauungen einzelner Personen unterworfen sind. Das können auch Personen wie Hans-Georg Maaßen sein, der von August 2012 bis November 2018 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz war und jetzt von derselben Behörde wegen seiner sehr rechten Positionen »beobachtet« wird.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (24. Juli 2024 um 23:05 Uhr)
    Es wird bald zum Alltag dieses Wertestaates gehören, unliebsame Organisationen, Parteien sowie Medien kurzerhand zu verbieten. Erst fängt der deutsche Staat an, Rechte und unbequeme religiöse Gruppen zu verbieten, doch dann arbeitet er sich zusehends vor, bei Linken und Pazifisten als auch Umweltschützern zuzuschlagen. All das geschieht mit Verweis auf Verfassung, Wertestaatlichkeit, Demokratie und sonstige Attribute. In der Nebelwerferei sind die Regierung sowie die staatstragenden Parteien ein wahrer Profi. Nicht nur das Klappern gehört zum Handwerk, die Heuchelei nicht minder. All das erinnert mich u.a. mit den Bundeswehreinsätzen, beginnend beim angeblich wohlmeinenden Brunnenbau in Somalia sowie dem Einsatz von Bundeswehrsanitätern in Kambodscha, dann hinführend zu Kampfeinsätzen in Jugoslawien und Afghanistan, zwei Staaten, die Deutschland nie etwas zuleide getan hatten. Auch jetzt pirscht sich zunächst der Wertestaat an Verbote Oppositioneller heran, bis er dann letztendlich ungestüm mit Verboten vorprescht. Kurzum, je mehr Berlin zum großen Krieg hin rüstet und hinstrebt, desto mehr wird es demnächst Verbote hageln. Klein fängt es vorerst an, auf dass so das eher ahnungslose Publikum an die Verbote gewöhnt werde. Beim Pawlowschen Hund klappte es ja auch, er sabberte letztendlich, wenn das Glöckchen auch ohne Futtergabe bimmelte. Also heißt es erneut konditionieren, es bimmeln und dann krachen lassen.
  • Leserbrief von Walter Bornholdt aus 39130 Magdeburg - St.-Josef-Str. 44 (24. Juli 2024 um 19:50 Uhr)
    Die »Grauen Wölfe« und die Muslimbrüder (sunnitische Muslime) dürfen weitermachen wie bisher, vom türkischen DITIB ganz zu schweigen – die treiben sich gar nicht so selten auch in christlichen Kirchen rum oder besuchen das Nänzi, und beim Gruppenfoto mit Dame zeigen sie ungehindert den »Wolfsgruß« der »Grauen Wölfe« und die Arba’ der Muslimbruderschaft! Wen darf man noch ernst nehmen, wenn ausgerechnet mit diesem Verbot der Iran getroffen werden soll!

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