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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Bluesrock

Nicht regieren, protegieren

Zum Tod des Bluesmusikers John Mayall
Von Thomas Grossman
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Blues kommt von blasen: John Mayall an der Mundharmonika (1970)

»Es war extrem aufregend. Wir fühlten uns alle wie ein Teil derselben Familie, eine neue Generation von Menschen, und hatten eine tolle Zeit beim Musizieren. Man spielte einfach immer weiter, niemand wollte nach Hause gehen.« So erinnerte sich John Mayall noch vor kurzem an die frühen 1960er Jahre in London, als er nach eigenem Empfinden auf einem fortwährenden »Kreuzzug« für den Blues war und bis zu elf Shows in der Woche spielte. Seine dritte LP von 1967 nannte er entsprechend »Crusade«. Ein Musikerleben später wurde er 2005 mit dem Order of the British Empire in einen echten Ritterorden aufgenommen. Vielen galt er, aus heutiger Sicht etwas aus der Zeit gefallen, als »weißer König des schwarzen Blues«.

Politisch korrekter wird Mayall, der insgesamt mehr als 70 Alben veröffentlichte, gerne auch als »Godfather of British Blues« gehandelt. Das trifft es besser. Denn er regierte nicht, sondern protegierte, wie ein Pate eben. Natürlich war er ein fähiger Musiker, hatte sich selbst Piano, Orgel, Gitarre und Mundharmonika beigebracht, sang und schrieb eigene Songs. Doch in die Musikgeschichte eingegangen ist der Gründer von John Mayall & the Bluesbreakers als großer Chancengeber mit einem Gehör für junge Talente. Allein die Liste der Gitarristen, die an der Seite von Mayall den Durchbruch schafften, sucht ihresgleichen: Peter Green (Bandmitglied 1966/67) formte später Fleetwood Mac und gilt als gescheitertes Genie, sein konstitutionell stabilerer Nachfolger Mick Taylor (1967–1969) wurde von den Rolling Stones abgeworben. Und wer Mayalls ersten Stargitarristen Eric Clapton (1965/66) nicht gleich für Gott hält, sortiert ihn in einer Liste der größten Saitenkünstler mindestens kurz hinter Hendrix ein. Weitere Größen aus dem Bluesbreakers-Stall: Drummer Mick Fleetwood, Bassist John McVie, Bassist Jack Bruce, Bassist Andy Fraser.

Noch mit Eric Clapton nahm Mayall im Mai 1966 sein Debütalbum »Blues Breakers« auf. Es wurde zum Klassiker und hatte erheblichen Anteil am elektrifizierten Blues Boom in Großbritannien und den USA, sein Sound wurde von Hunderten Bands kopiert. Mayall, Clapton und Co. spielten neben Eigenkompositionen vor allem Lieder von schwarzen US-Musikern wie Robert Johnson, Otis Rush, Freddie King oder Ray Charles. Diese »sprachen unsere Gefühle an und unsere Lebensgeschichten«, so Mayall. Wegen »kultureller Aneignung« machte man sich damals keine Sorgen.

Geboren wurde Mayall 1933 in ­Macclesfield, unweit von Manchester. Als Kind lebte der Eigenbrötler einige Wochen in einem Baumhaus. Sein Vater war Musiker, spielte in Pubs und besaß viele Jazz- und Bluesplatten. Nach seinem Militärdienst in Korea arbeitete der junge John als Grafiker für Werbeagenturen, was ihm später dabei half, seine Plattencover selbst zu gestalten. Mit 30 ging er nach London, wo bereits Alexis Korner und bald auch die Rolling Stones und die Spencer Davis Group den Blues hatten. Zunächst trat er mit den 1963 aus der Taufe gehobenen Bluesbreakers in kleinen britischen Klubs auf, manchmal nur vor einigen Dutzend Fans, und fuhr mit einem Van durchs Land. Doch nach den Alben »Blues Breakers« und »A Hard Road« (1967) sah die Welt schon viel freundlicher aus – nun tourte man in Europa und den USA. Allerdings löste Mayall immer, wenn seine Begleiter eindeutig besser wurden als er selbst, seine Band auf. Ein kleines Ego hatte er nicht.

Ein Jahr, nachdem er 1968 das Album »Blues From Laurel Canyon« veröffentlicht hatte, zog Mayall nach Los Angeles, wo er offenbar sein Glück fand. Obwohl 1979 ein Buschfeuer sein Haus samt seiner einzigartigen Plattensammlung vernichtete, blieb er für den Rest seines Lebens. In den 1970ern spielte Mayall eine Zeitlang Jazz-Blues-Fusion. Ab Mitte des Jahrzehnts ging es bergab, bald galt er als ziemlich old-fashioned. Womit er sich aber arrangierte, in den 1980ern reformierte er die Bluesbreakers, löste sie erst 2008 wieder auf. Trotzdem spielte Mayall Hunderte Konzerte im Jahr. Zuletzt seltener und nur noch im näheren Umkreis seines Wohnortes. Das letzte Album »The Sun Is Shining Down« erschien vor zwei Jahren und klang so versöhnlich wie sein Titel.

Am Montag ist John Mayall im Alter von 90 Jahren in Kalifornien gestorben.

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