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Aus: Ausgabe vom 26.07.2024, Seite 2 / Ausland
Ukraine-Krieg

»Es ist absurd, Bogdan Hochverrat vorzuwerfen«

Ukrainischem Kriegsgegner in Gefangenschaft droht lebenslange Haftstrafe. Ein Gespräch mit Christoph Vandreier
Interview: Fabian Linder
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Bogdan Sirotjuk bei Feierlichkeiten zum Tag des Sieges

Sie fordern die Freiheit von Bogdan Sirotjuk in der Ukraine. Weshalb sitzt er im Gefängnis?

Bogdan ist Mitglied der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten, einer Organisation von jungen Menschen, die in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion aktiv ist. Die Organisation arbeitet mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale zusammen, deren deutsche Sektion die Sozialistische Gleichheitspartei ist, und veröffentlicht auch auf unserer internationalen »World Socialist Webseite«. Bogdan wurde am 25. April wegen Hochverrats verhaftet und sitzt seither im Hochsicherheitsgefängnis in Mikolajiw. Der Vorwurf schließt eine lebenslange Haftstrafe nicht aus und kommt angesichts der ukrainischen Haftbedingungen einem Todesurteil gleich.

Die Anklage stützt sich hauptsächlich auf seine Betätigung für die Junge Garde und Veröffentlichungen für unsere Webseite. Die ukrainischen Behörden werfen der Organisation vor, eine russische Propagandaagentur zu sein, die dazu diene, den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Es ist absurd, Bogdan Hochverrat vorzuwerfen. Die Junge Garde ist erklärter Gegner Wladimir Putins als Vertreter kapitalistischer Oligarchen und dessen zweifellos reaktionären Einmarschs in die Ukraine. Bogdan hat diesen Krieg aus einer sozialistischen Perspektive kritisiert, dem auf beiden Seiten schon Hunderttausende junge Menschen zum Opfer fielen, und zur Einheit der ukrainischen und russischen Arbeiter aufgerufen.

Was ist bei einer Verurteilung zu erwarten?

Man kann diesbezüglich das US-Außenministerium zitieren. Im Mai stellte das Büro für Demokratie, Menschenrechte und Arbeit in einem Bericht fest, dass es in der Ukraine zu schwersten Menschenrechtsverbrechen kommt. Der Bericht spricht von Verschwindenlassen, Folter, grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, harten und lebensbedrohenden Haftbedingungen, willkürlichen Verhaftungen, schwerwiegenden Problemen mit der Unabhängigkeit der Justiz, Einschränkung der Meinungsfreiheit, auch für Medien, einschließlich Gewalt oder Gewaltandrohung gegen Journalisten.

Ist die Verhaftung ein Einzelfall?

Bogdans Verhaftung ist Teil einer enormen Repressionswelle in der gesamten Ukraine. Sozialistische Organisationen sowie kriegskritische Medien werden verboten und deren Mitglieder inhaftiert. Was in der Ukraine passiert, steht in Zusammenhang mit Angriffen auf demokratische Rechte weltweit. In westlichen Ländern werden Proteste gegen den Völkermord in Gaza brutal unterdrückt und demokratische Grundrechte außer Kraft gesetzt.

In Deutschland sehen wir, wie der Marxismus bekämpft wird. Davon ist auch die junge Welt betroffen; man denke an den Prozess vor dem Verwaltungsgericht Berlin vergangene Woche. Kriegsgegner und Sozialisten werden zunehmend verfolgt, weil die Kriegspolitik in Gaza sowie der NATO-Krieg gegen Russland auf eine wachsende Opposition treffen. In der Ukraine stößt das neue Mobilisierungsgesetz auf Widerstand. Selenskij hat immer größere Schwierigkeiten, neue Generationen junger Menschen als Kanonenfutter für die NATO zu rekrutieren. Das zeigt den Charakter des Selenskij-Regimes, das sich zunehmend auf rechtsradikale Kräfte stützt, um jeden Widerstand gegen den Krieg zu unterdrücken. Er illegalisiert jede sozialistische und gegen den Krieg gerichtete Position. Es ist Kriegspropaganda, wenn hierzulande von der Verteidigung von Frieden und Demokratie in der Ukraine gesprochen wird. In Wirklichkeit wird die junge Generation für die geostrategischen und ökonomischen Interessen der NATO geopfert.

Ist absehbar, wie sich der Fall weiterentwickelt?

Es besteht wenig Hoffnung auf Gerechtigkeit im ukrainischen Justizsystem. Ob Bogdan freikommt oder nicht, ist vor allem eine politische Frage. Da setzen wir mit der Solidaritätskampagne an. So gibt es Mahnwachen vor Botschaften der Ukraine in zahlreichen Ländern, offene Briefe und eine Petition »Free Bogdan«.

Dennoch nutzen wir alle juristischen Mittel, um den Fall später auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Dazu müssen zunächst die Rechtsmittel in der Ukraine ausgeschöpft werden. Der Kampf für die Freiheit um Bogdan ist der Kampf gegen den Imperialismus der NATO.

Christoph Vandreier ist Vorsitzender der Sozialistischen Gleichheitspartei
kurzlinks.de/freebogdan

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (25. Juli 2024 um 21:38 Uhr)
    Eine weitere Möglichkeit wäre natürlich noch, die Russen machen die Ukraine wieder zu einem halbwegs demokratischen Rechtsstaat.
  • Leserbrief von B.S. aus Ammerland (25. Juli 2024 um 20:57 Uhr)
    Rechtsmittel ausschöpfen in einem faschistischen Mafia-Staat? Der Witz des Jahres. Die Beispiele aus unserer eigenen Geschichte sollte mehr Realismus zeitigen. Ich drücke Bogdan die Daumen und wünsche ihm alles Gute.

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