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Aus: Ausgabe vom 26.07.2024, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Netanjahu torpediert Deal

Angehörige kritisieren US-Reise von Israels Premier – Geiseln tot geborgen
Von Jörg Tiedjen
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Der Auftritt des Kriegsverbrechers Netanjahu im US-Kongress blieb nicht unwidersprochen (Washington, 24.7.2024)

Schon mehrfach hat Israels Ultrarechtsregierung ein baldiges Ende des Kriegs in Gaza in Aussicht gestellt. Doch palästinensischen Quellen zufolge wurden allein von Mittwoch auf Donnerstag 55 Menschen in dem Küstenstreifen durch israelischen Beschuss getötet und 110 verletzt. Ein Schwerpunkt der Angriffe lag dabei einmal mehr auf der südlich gelegenen Stadt Khan Junis. Wie dpa am Donnerstag unter Berufung auf das israelische Militärradio mitteilte, sollen dort am Mittwoch aus einem unterirdischen Tunnel die Leichname von mehreren israelischen Geiseln geborgen worden sein. Bei vorhergehenden Feuergefechten seien »rund 30« palästinensische Kämpfer getötet worden.

Unter den geborgenen Leichnamen sollen sich auch die sterblichen Überreste einer 56jährigen Einwohnerin eines Kibbuz befinden, der am 7. Oktober von der Hamas und ihren Verbündeten überfallen worden war. Bei den übrigen handele es sich um Soldaten, die an dem Tag im Kampf ums Leben gekommen waren und deren Leichen ebenfalls in den Küstenstreifen verschleppt worden seien. Laut AFP sollen die israelischen Behörden am Mittwoch zudem zwei weitere Leichname von Todesopfern aus einem Kibbuz übergeben haben.

Die Nachrichten von der Bergung der Getöteten lösten unter Angehörigen von Geiseln Bestürzung aus. Während sie von weiteren toten Familienmitgliedern erführen, setze Israels Premierminister Benjamin Netanjahu »seine PR-Tour durch die USA« fort und trete »weiter auf die Bremse«, was eine Übereinkunft mit der Hamas angehe, zitierte die Internetzeitung Times of Israel am Mittwoch die Mutter einer mutmaßlich weiter in Gaza festgehaltenen Geisel.

Netanjahu war am Mittwoch das seltene Privileg zugekommen, vor beiden Kammern des US-Kongresses in Washington eine Rede halten zu dürfen. Sein Auftritt war von lauten Protesten rund um das Parlamentsgebäude begleitet. Dabei wurde auch ein aus Pappmaché gefertigtes Konterfei des Premiers verbrannt, und Demonstranten holten eine US-Fahne ein, um statt dessen die palästinensische zu hissen. Sechs Angehörige israelischer Geiseln, die Netanjahus Rede im Parlament beiwohnten, wurden von der Polizei festgenommen und später wieder freigelassen. Sie trugen Hemden mit der Aufschrift »Seal the deal« (Besiegel den Deal).

Mit dem »Deal« gemeint ist ein Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas, das eine Freilassung der restlichen noch in den Händen der Palästinenserorganisation vermuteten israelischen Gefangenen ermöglichen würde, deren Zahl auf bis zu 115 geschätzt wird. Angeblich soll eine solche Übereinkunft unterschriftsreif auf dem Tisch liegen. Allerdings wiederholte Netanjahu in seiner Rede das Kriegsziel einer vollständigen Vernichtung der Hamas, das einer Verhandlungslösung entgegensteht. Auch wurde die Abreise einer israelischen Delegation zu den indirekten Gesprächen mit der Hamas in Katar nach Agenturangaben auf kommende Woche verschoben.

Nicht nur in Gaza ist ein Ende der Gewalt vorerst nicht zu erwarten. Am Donnerstag übertrug die israelische Knesset mit großer Mehrheit die Aufsicht der Israelischen Landbehörde (Israel Land Authority) an »Sicherheitsminister« Itamar Ben-Gvir. Der Scharfmacher, der bereits die Bewaffnung israelischer Siedler in der Westbank vorangetrieben hat, kann damit nach Angaben der Agentur WAFA palästinensische Liegenschaften unter dem Vorwand, illegal zu sein, jederzeit räumen lassen. Vor ihm hatte allerdings der nicht minder rechte Finanzminister Bezalel Smotrich die Aufsicht über die Landbehörde inne.

Wie verheerend die Situation im Gazastreifen nach Monaten der systematischen Zerstörung durch das israelische Militär ist, hatte am Mittwoch noch einmal UNICEF-Chefin Catherine Russell im Interview mit dem australischen Fernsehen unterstrichen. Sie nannte die jüngste Entdeckung von Polioviren in Wasserproben aus dem Küstenstreifen durch Untersuchungen des UN-Kinderhilfswerks »unglaublich alarmierend«. Der Fund beweise, dass Gaza momentan zu den »gefährlichsten Plätzen für Kinder überhaupt« zähle. Polioviren sind der Erreger der Kinderlähmung. In Gaza galt die Krankheit seit Jahrzehnten als besiegt.

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