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Aus: Ausgabe vom 26.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Ballett

Meisterschaft im Kniebeugen

In Osiel Gouneos Autobiographie erfährt man vieles über den kubanischen Startänzer, das man lieber nicht hätte wissen wollen
Von Gisela Sonnenburg
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Geschmeidiger Körper: Osiel Gouneo

Wenn ein Ballerino ein Buch veröffentlicht, ist man natürlich neugierig. Was hat der Star, der sonst wortlos auf der Bühne brilliert, mit seinem Schriftwerk zu sagen? Osiel Gouneo, schwarzer Startänzer aus Kuba beim Bayerischen Staatsballett, verfasste im zarten Alter von knapp 34 Jahren zusammen mit dem fachfremden Publizisten Thilo Komma-Pöllath seine Autobiographie: »Black Romeo. Mein Weg in der weißen Welt des Balletts« ist allerdings ein Etikettenschwindel. Denn diskriminiert wurde dieser erfolgsverwöhnte Jungspund offenkundig kaum. Gouneo wurde sein Leben lang gefördert, seit 2016 reüssiert er als Erster Solist beim Bayerischen Staatsballett. Er verkörpert ein Stück Glamour in München, wird bejubelt und belobigt, erhielt etliche Preise und verdient überdurchschnittlich gut.

Doch da ist Bitternis. Zweimal in seinem Tänzerleben durfte er nicht die Rolle seines Begehrens gleich bei der Premiere tanzen. Ist er darum ein Opfer von Rassismus? Eher nicht. Im Ballett erhalten viele Künstler nicht ihre Wunschrollen, schon gar nicht zum gewünschten Zeitpunkt. Alle Solisten wollen die Hauptrolle tanzen, aber nur einer kann der Star der Premiere sein. Wer der Erwählte ist, richtet sich nicht nach der Hautfarbe. Die Art der Bewegungen, der Körperbau und die Mimik bestimmen, welcher Typ ein Tänzer ist. Gouneo ist männlich-kraftvoll definiert, nicht lyrisch oder sanft. Und sein Körper ist sein Instrument.

Davon könnte Osiel Gouneo in seinem Buch erzählen: von der Beziehung zu seinem Körper. Denn der ist geschmeidig – wie gemacht für den Tanz. Während der exzellenten Ausbildung in Havanna und auch im Beruf bearbeitete er ihn weiter, überwand mit Fleiß, Know-how, Disziplin und Temperament alle Hürden der organischen Widerstände. Bis die hohen Sprünge, die vielfachen Pirouetten, die eleganten Arabesken, aber auch das einfache Beugen der Knie zur Meisterschaft geführt waren. Wie fühlt sich das an?

Das hätte man gern gelesen. Doch leider erschöpft sich das Buch in der Beschreibung äußerlicher Vorgänge. Die Ehe von Gouneos Eltern war nicht optimal. Seine Karriere wird runtergespult. Unterbrochen wurde sie von zwei schweren Verletzungen, die Auszeiten erforderten. Man weiß nach der Lektüre, dass der Superballerino ein Stück Metall im rechten Knöchel hat. Strunzlangweilig zu lesen: Alles bleibt seicht, wird nur angetippt.

Die Darstellung Kubas ist voller Abwertungen. Nur Alicia Alonso, die verstorbene Chefin des Kubanischen Nationalballetts, wird positiv gezeichnet. Sonst wirkt alles Kubanische, sogar das international lange so vorbildliche Gesundheitssystem, hier voller Mängel. Nur der Westen kann was – diese Propagandalüge schwingt in jeder Zeile mit.

Immerhin: Beim Thema »Cancel Culture« siegt bei Gouneo der gesunde Menschenverstand. Er möchte Rollen wie den »Mohren« im Strawinsky-Ballett »Petruschka« tanzen. Zudem findet er, dass der weiße Star Plácido Domingo als bester »Othello«-Opernsänger gelten darf. Zu den Rollen, die Gouneo tanzte, hat ihn Komma-Pöllath allerdings nicht ausreichend befragt.

Wie Gouneo arbeitet, erfährt man nicht. Nur, dass er Videos von anderen Stars sammelt. Insofern schadet das Buch dem Startänzer: Es lässt ihn oberflächlich wirken, ganz anders als sein Tanz. Der Buchtitel zitiert Carlos Acosta, den ersten schwarzen »Romeo« beim Royal Ballet in London. Osiel Gouneo tanzte in Paris als erster Schwarzer die Jugendpartie des »Romeo«. Aber für sein Profil ist diese Partie längst nicht am bedeutendsten, eher ist es die als »Spartacus« oder auch als John Crankos »Onegin«.

Der Narzissmus, der im Tanz ein großes Problem ist, wird im Buch nicht thematisiert. Auch die Einseitigkeit der Profiausbildung, die immer weniger geistige Bildung enthält und immer mehr auf Technik setzt, wird nicht kritisiert. Auf der Rückseite des Buchumschlags heißt es, Gouneo lege ein »Zeugnis einer eindrucksvollen Selbstermächtigung« ab, und zwar »jenseits aller Klischees von Schwarz und Weiß«. Man muss das für Ironie halten, wenn die Vermarktung alleine auf diese Klischees abstellt.

Osiel Gouneo/Thilo Komma-Pöllath: Black Romeo. Mein Weg in der weißen Welt des Balletts. C. H. Beck, München 2024, 249 Seiten, 28 Euro

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