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Aus: Ausgabe vom 26.07.2024, Seite 12 / Thema
Ultrarechte Netzwerke international

Der Ausverkäufer

Argentiniens Präsident Javier Milei gibt sich als Schlüsselfigur globaler ultrarechter Strukturen. Sein Programm ist großzügige Bereitstellung von Ressourcen für ausländisches Großkapital
Von Frederic Schnatterer und Paula Sabatés, Buenos Aires
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Auf der Bühne der Star. Im Hintergrund lenken die konservativsten Kräfte der US-Republikaner seine Geschicke. Javier Milei auf der Conservative Political Action Conference am 24. Februar 2024 in National Harbor/Maryland

Dass es dem argentinischen Präsidenten nicht an Selbstbewusstsein fehlt, ist bekannt. Wie weit es reicht, zeigt ein Ausspruch, der seinen angeblichen Einfluss über Argentinien hinaus bezeugen soll. Etwas mehr als einen Monat ist es her, dass Javier Milei sich mit den guten Ergebnissen ultrarechter Parteien bei den EU-Wahlen brüstete. »Viele haben meine Reise nach Davos (zum sogenannten Weltwirtschaftsforum in der Schweiz, jW) kritisiert, aber sie war wichtig. Schauen Sie sich nur an, welche Auswirkungen sie in Europa hatte«, erklärte er in einem Fernsehinterview. Und weiter: »Sie hat dazu geführt, dass die armen progressiven Vertreter des Establishments untergegangen sind.«

Nur wenige Wochen später ergaben die Parlamentswahlen in Großbritannien und Frankreich zwar ein anderes Bild, weshalb Mileis Aussagen einfach als überheblich abgetan werden können. Allerdings geben sie Anlass, sich Fragen zu seinem internationalen Wirken zu stellen: Welche Rolle spielt der selbsternannte Anarchokapitalist in einer sich formierenden ultrarechten Internationalen? Hat er Einfluss auf Parteien und Organisationen anderer Länder, und wenn ja, warum? Und: Was sind die verbindenden Elemente des internationalen ultrarechten Projekts, in dem die Positionen einzelner Akteure durchaus relevante Unterschiede aufweisen? Vor zwei Jahren, damals noch als Abgeordneter des argentinischen Parlaments, reiste Milei das erste Mal auf Einladung der spanischen Rechtsaußenpartei Vox nach Madrid. Auf dem Kongress »Viva22« hetzte er an der Seite des Vox-Führers Santiago Abascal gegen »den Sozialismus«, gegen den ein »Kulturkampf« vom Zaun gebrochen werden müsse. Auch die »Genderideologie«, der Einsatz für die Rechte indigener Völker oder der Umweltschutz, erklärte er in verschwörungsideologischer Manier, zielten darauf ab, »die Werte unserer Gesellschaften zu zerstören«. Seine Rede schloss er mit dem Aufruf, »den Kampf gegen die Linken« aufzunehmen. »Habt keine Angst, wir sind ihnen überlegen. Lang lebe Spanien! Lang lebe Vox! Lang lebe Santiago Abascal! Lang lebe die Freiheit, verdammt!«

Zu Beginn seines Auftritts hatte sich Milei überrascht gezeigt, »dass ich auf dieser Seite des Atlantiks so bekannt bin«. Zwar war er bereits ein Jahr zuvor zu einem ähnlichen Vox-Kongress eingeladen gewesen – wegen der Coronapandemie jedoch nur online zugeschaltet. Die Teilnahme 2022 allerdings markierte einen Wendepunkt für die Beziehungen des heutigen Präsidenten Argentiniens zum »alten Kontinent«. Seitdem nimmt er regelmäßig an Veranstaltungen von Vox teil, zuletzt im Mai am Kongress »Viva Europa 24«, wo er gar als Starredner auftrat und wie ein Rockstar empfangen wurde. Abascal lud er als »Ehrengast« zur Amtseinführung im Dezember 2023 nach Buenos Aires ein. Kürzlich stellte sich der Vox-Chef auf die Seite des argentinischen Staatschefs, der den spanischen Premier Pedro Sánchez vom sozialdemokratischen PSOE und dessen Ehefrau Begoña Gómez zuvor mehrmals beleidigt hatte. Eine diplomatische Krise zwischen Spanien und Argentinien war die Folge.

Die »Iberosphäre«

Zentral für die Vernetzung von Vox mit der lateinamerikanischen Rechten ist die Parteistiftung Disenso. Sie vertritt das politische Projekt der »Iberosphäre«. Demnach verfügen die Länder der iberischen Halbinsel sowie Lateinamerikas über gemeinsame Werte – insbesondere Spanien und die ehemaligen Kolonien Hispanoamerikas, in geringerem Maße auch Portugal und Brasilien. Grundlage dafür seien eine gemeinsame Geschichte, Traditionen und Bräuche, eine gemeinsame Sprache und Weltanschauungen wie der christliche Glauben. Niklas Franzen und Ulli Jentsch sprechen im aktuellen Heft der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik davon, dass so eine »Schicksalsgemeinschaft« konstruiert werde.

Seit 2020 wird das Projekt der »Iberosphäre« von Vox und ihrer Stiftung Disenso offensiv vertreten. Eine herausragende Rolle dabei spielt das sogenannte Madrider Forum (Foro Madrid). Die Allianz, die am 26. Oktober 2020 gegründet wurde, umfasst rechtskonservative bis ultrarechte Parteien, vor allem aus Hispanoamerika, vertreten sind aber auch Politiker der US-Republikaner. Im Gründungsmanifest »Carta de Madrid« (der komplette Name ist »Charta von Madrid: in Verteidigung der Freiheit und der Demokratie in der Iberosphäre«) wird von der Notwendigkeit der »Verteidigung des Erbes der westlichen Zivilisation, des kulturellen Vermächtnisses Spaniens in der Welt und seiner Berufung in Europa und Amerika« fabuliert. Der Feind wird links markiert. So heißt es, ein Teil Hispanoamerikas befinde sich in »Geiselhaft totalitärer, kommunistisch inspirierter Regime, die vom Drogenhandel und von Drittstaaten unterstützt werden, alle unter der Ägide Kubas«.

Seit seiner Gründung organisiert das Madrider Forum regelmäßig Treffen und Konferenzen, die für die Vernetzung der (latein)amerikanischen und spanischen Ultrarechten enorm wichtig sind. Nach Mileis Wahlsieg Ende November 2023 gratulierte die Allianz ihm öffentlich. Dabei vergaßen die Verantwortlichen aber auch nicht die heutige Nummer zwei im argentinischen Staat, Vizepräsidentin Victoria Villarruel. Der frühere Generalsekretär von Vox, Javier Ortega Smith, der neben der spanischen auch die argentinische Staatsbürgerschaft besitzt, beschränkte sich in seinen Glückwünschen auf Twitter gar auf Villarruel, die er als »Freundin« bezeichnete.

Dass Milei heute als wichtige Referenz für das Projekt der »Iberosphäre« wahrgenommen wird, hat er zu großen Teilen seiner Vize Villarruel zu verdanken. Die Tochter einer Familie ranghoher Militärs ist seit Jahrzehnten in revisionistischen, antikommunistischen und christlich-fundamentalistischen Kreisen aktiv. 2003 gründete sie das »Zentrum für juristische Studien zu Terrorismus und seinen Opfern« (CELTYV), das die während der Militärdiktatur in Argentinien (1976–1983) von Regimeangehörigen begangenen Verbrechen leugnet und einen »Kulturkampf gegen links« propagiert. In ihrer Funktion als Vorsitzende des Vereins lernte sie 2019 Ortega Smith kennen. Seitdem pflegt sie enge Kontakte zu Vox und Disenso.

Doch Mileis Kontakte zu ultrarechten Politikern reduzieren sich keineswegs auf Vox, ebensowenig wie auf Spanien. Auch die Regierungschefin der Autonomen Gemeinschaft Madrid, Isabel Díaz Ayuso vom postfranquistischen Partido Popular, versucht, von den Beziehungen zum neuen Star der internationalen Rechten zu profitieren. Erst im Juni verlieh sie ihm die Ehrenmedaille von Madrid. Der Hintergrund dürfte jedoch in erster Linie ein innenpolitischer sein: Ayuso versucht, sich in der Auseinandersetzung mit Premier Sánchez in Position zu bringen und gleichzeitig ihre Macht innerhalb des Partido Popular auszubauen. In anderen Ländern Europas unterhält Milei gute Beziehungen zu Regierungschefs wie Giorgia Meloni (Italien) und Viktor Orbán (Ungarn) und in geringerem Maße zur französischen Politikerin Marine Le Pen vom Rassemblement National. Die Scharnierfunktion übernimmt dabei Vox.

Ultrarechtes Sammelbecken CPAC

Seit seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2023 reiste Milei ganze elfmal ins Ausland, wie das argentinische Fact-Checking-Medium Chequeado am 17. Juli berichtete. Unangefochten auf Platz eins der Reiseziele liegen dabei die Vereinigten Staaten, wohin es den Präsidenten bisher fünfmal verschlug. Bereits seine dritte Auslandsreise führte ihn im Februar nach Washington. Statt sich dort jedoch mit dem demokratischen US-Präsidenten Joseph Biden zu treffen, trat er auf der ultrakonservativen Conservative Political Action Conference (CPAC) auf. Durchaus ein symbolischer Akt, den er in den folgenden Monaten in anderen Ländern wiederholen sollte.

Die CPAC, die von der American Conservative Union (ACU) veranstaltet wird, ist eine jährlich stattfindende Konferenz. Die konservativsten Kreise der US-Republikaner sowie ihnen nahestehende Akteure verschafften ihr insbesondere in den vergangenen Jahren größere Bedeutung. Dafür sorgte auch der ehemalige und möglicherweise künftige Präsident Donald Trump, dessen Hetzreden gegen Migranten, Feministinnen, die Linke und »Wokeness« auf immer größere Zustimmung treffen.

Auch wenn auf der CPAC die US-Innenpolitik im Zentrum steht – besonders in diesem Jahr der Präsidentschaftswahl –, verfolgt die Konferenz auch eine internationale Agenda. Im Februar waren mehrere wichtige Politiker aus dem Ausland als Redner geladen, unter ihnen solche aus Lateinamerika. Neben der ehemaligen Kurzzeitpremierministerin Großbritanniens, Elizabeth Truss von den Tories, bewarb der Präsident von El Salvador, Nayib Bukele, seinen autoritären und neoliberalen Kurs. Den USA empfahl er, seinem Beispiel zu folgen. Zudem sprachen unter anderem Eduardo Bolsonaro, Sohn des Expräsidenten Jair Bolsonaro und Abgeordneter im brasilianischen Parlament, der Vox-Chef Santiago Abascal und Milei. Argentiniens Präsident schüttelte am Rande des Kongresses für ein Foto Trump die Hand, der für die anwesende Presse ausrief: »Make Argentina great again!«

Während der ersten Präsidentschaft von Trump expandierte die CPAC auch ins Ausland. Neben Editionen in Australien, Ungarn, Japan und Südkorea veranstalten ultrakonservative Kreise mittlerweile CPAC-Konferenzen in Lateinamerika. 2019 organisierte Eduardo Bolsonaro, damals noch unter der Präsidentschaft seines Vaters, die erste Ausgabe in Brasilien. 2022 folgte die erste Edition in Mexiko, die der frühere Schauspieler und christlich-fundamentalistische Aktivist Eduardo Verástegui veranstaltete. Bereits damals war auch Milei geladen. Im August ist der nächste Kongress in Mexiko geplant. Es kann davon ausgegangen werden, dass der argentinische Präsident auch dort anwesend sein wird.

Ebenso wie Anfang Juli im brasilianischen Badeort Camboriú bei der CPAC Brasil, zu der zentrale Akteure der lateinamerikanischen Ultrarechten, darunter die Bolsonaros, der salvadorianische Justizminister Gustavo Villatoro, der Mexikaner Verástegui sowie der ehemalige Präsidentschaftsbewerber aus Chile, José Antonio Kast, sprachen. Starredner war jedoch ohne Zweifel erneut der argentinische Staatschef Milei, der den Termin einem Treffen mit dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva vorzog.

Öffnung für ausländisches Kapital

Europa, USA, Lateinamerika: Die Akteure, zu denen Milei engen Kontakt pflegt, sind äußerst vielfältig – und in ihren politischen Projekten heterogen. Das betont auch Federico Vázquez, Journalist und Analyst aus Argentinien, im Gespräch mit junge Welt. Der Unterschied, der am offensichtlichsten sei, betreffe den zwischen der Ultrarechten des Zentrums und jener der Peripherie. So neigten die Akteure »der entwickelten Länder dazu, die Verteidigung der nationalen Interessen an die erste Stelle zu setzen«, während Milei den »Ausverkauf« seines Landes fördere. »Er denkt in einer globalen Logik, nach der Argentinien eine untergeordnete Rolle spielt. Er gleicht eher einem Angestellten in der Geschäftswelt der großen Konzerne und der Regierungen der Länder des globalen Nordens.« Während europäische Staats- und Regierungschefs im Interesse ihrer nationalen produktiven Bourgeoisie agierten, repräsentiere Milei die andere Seite der Medaille.

Juan Luis González, Journalist und Autor des 2023 erschienenen Buches »El loco« (Der Verrückte), das vom Leben und vom politischen Aufstieg des Ultralibertären handelt, stimmt Vázquez zu. Vox und andere Akteure der Ultrarechten im globalen Norden strebten einen »starken, nationalistischen und protektionistischen Staat« an, erklärt er gegenüber jW. Milei hingegen sei »ein Anarchokapitalist, der den Staat maximal reduzieren möchte, bis hin zu dessen Auflösung«. Seit er an der Macht ist, setzt er alles auf eine radikale Öffnung des argentinischen Marktes für ausländisches Kapital. Die Folge dürfte eine noch stärkere Reduzierung des Landes auf die Rolle des Rohstoff- und Agrargüterlieferanten für den globalen Norden sein.

Das Projekt von Milei bietet dem Finanz- und dem extraktivistischen Kapital beste Aussichten auf Geschäfte. Das Interesse daran bezeugen auch die engen Beziehungen Mileis zum US-Multimilliardär Elon Musk. Vázquez erklärt, dass Mileis radikale Positionen große Schnittmengen mit jenen wichtiger Kapitalvertreter aufweisen, die »wie Elon Musk staatsfeindliche und Ungleichheit predigende Reden halten«. Der Besitzer des Elektrofahrzeugherstellers Tesla sowie des Kurznachrichtendienstes X gehört zu den wichtigsten Unterstützern von Präsidentschaftskandidat Trump. Die Ideologie, die er vertritt, ist eindeutig ultrarechts.

Seit Mileis Amtsantritt haben sich die beiden Exzentriker Milei und Musk bereits zweimal getroffen. Dabei ging es nicht nur darum, Schmeicheleien auszutauschen. Auch Geschäfte wollen beide in die Wege leiten. Musk ist besonders an den riesigen Lithiumvorkommen Argentiniens interessiert, die zentral für die Herstellung der Batterien für die Elektrofahrzeuge von Tesla sind. Nach einem Treffen mit Milei im April betonte Musk per X, das Treffen mit dem argentinischen Präsidenten sei »großartig« gewesen, und er rate allen, in Argentinien zu investieren. In dem südamerikanischen Land selbst wächst allerdings die Kritik daran, dass der Staatschef von seinen Auslandsreisen keine Investitionszusagen mitbringt.

BRD-Rechte suchen Anschluss

Bereits während des Wahlkampfs von Milei wiesen zahlreiche argentinische Wirtschaftswissenschaftler auf die Verbindungen von dessen Partei La Libertad Avanza zu transnationalen Stiftungen hin, die im Interesse wichtiger Akteure des Finanzkapitals agieren. Eine solche Stiftung ist das 1981 in den Vereinigten Staaten gegründete »Atlas Network«. Ihm gehören mehr als 500 Organisationen aus über 100 Ländern an, hinter denen meist große Unternehmen stehen, die sich, ganz im libertären Sinne, für die Senkung von Steuern einsetzen. Auch die spanische Vox-Partei ist Partnerin des Atlas-Netzwerks.

Seinen Aufstieg in der argentinischen Politik verdankt Milei einer Reihe ultralibertärer und neoliberaler Stiftungen, darunter auch »Libertad y Progreso« (Freiheit und Fortschritt). Im akademischen Rat von »Libertad y Progreso« sitzt der Ökonom Alberto Benegas Lynch, der als politischer Ziehvater des heutigen Präsidenten gesehen wird. Wie tagesschau.de im Juni anlässlich des Milei-Besuchs in Deutschland berichtete, unterhält auch die FDP-nahe »Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit« (FNF) Kontakt zu Lynch und »Libertad y Progreso«.

Auch wenn die FNF alle direkten Kontakte zur Regierung von Milei von sich weist: Dass neoliberale Kreise in Deutschland an Beziehungen zum argentinischen Staatschef interessiert sind, steht außer Frage. Das zeigte sich deutlich im Juni, als Milei in Hamburg für seine »Verdienste um die Idee der Freiheit« die Hayek-Medaille der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft verliehen wurde. Zwar traten ab 2015 viele prominente FDP-Mitglieder wegen einer fehlenden Abgrenzung zur AfD aus der Gesellschaft aus. In ihrem Vorstand sitzen jedoch weiterhin mehrere Personen mit Parteibuch der auf Bundesebene regierenden Liberalen. So auch der Vorstandsvorsitzende Stefan Kooths, der in seiner Laudatio lobte, Milei habe erkannt, dass der Kampf für die Freiheit nicht auf die Wirtschaftsebene beschränkt bleibe, da die größte Bedrohung heute vom »Kulturmarxismus« ausgehe.

Neben FDP-Mitgliedern oder dem früheren Chef des »Verfassungsschutzes«, Hans-Georg Maaßen, tummeln sich in der Hayek-Gesellschaft AfD-Mitglieder wie die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, oder der Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer. Die AfD versucht mittlerweile, von der internationalen Strahlkraft Mileis zu profitieren. Eine klare Lateinamerikastrategie verfolgt die Partei bisher allerdings nicht, auch wenn MdB Stefan Keuter im September 2023 Teil einer Delegationsreise nach Argentinien und Paraguay war.

Rückbau des Sozialstaates

Nach nur wenigen Monaten an der Regierung hat sich Milei zum Gesicht einer neuartigen ultrarechten Internationalen entwickelt. Das erklärt sich auch daher, dass das vom argentinischen Präsidenten bemühte Feindbild stimmt. So führt González gegenüber jW aus: »Der gemeinsame Feind ist der Kommunismus, der Progressivismus, die Linke, der Feminismus.« Das Narrativ besage, dass »diese Gruppen den Kulturkampf gewonnen haben und wir nun einen gegenkulturellen Kampf führen müssen«. Politiker definierten sich oft über das »Symbolische«, und auf eben dieser Ebene seien viele Gemeinsamkeiten zwischen Milei und anderen Führern der weltweiten Ultrarechten zu finden.

Allerdings übersetzt die internationale Ultrarechte diese Narrative durchaus in die Praxis, wie die Einschränkung sozialer, bürgerlicher, reproduktiver oder ökologischer Rechte dort zeigt, wo sie bereits an der Macht ist. In den ersten Monaten an der Regierung hat Milei alles daran gesetzt, seine Politik an den Interessen der Großkonzerne und des internationalen Finanzkapitals auszurichten. Ein zentraler Punkt des Ende Juni beschlossenen Gesetzespakets »Ley Bases« ist das »Anreizsystem für Großinvestitionen«. Durch erhebliche Steuervorteile und andere Privilegien sollen Großunternehmen dazu gebracht werden, in Argentinien zu investieren. Es ist absehbar, dass das extraktivistische Modell dadurch konsolidiert und vertieft werden wird – mit drastischen Folgen für die Umwelt.

Auch für Arbeiterrechte ist in Mileis Argentinien kein Platz. Wie bereits während des Wahlkampfs versprochen, hat der argentinische Präsident das Demonstrationsrecht drastisch eingeschränkt. Auch gewerkschaftliche Rechte werden beschnitten, während die reale Kaufkraft der Bevölkerung von Monat zu Monat geringer wird. Das »Ley Bases« wird künftig dazu beitragen, dass noch mehr Rechte außer Kraft gesetzt werden können. So erleichtert es beispielsweise Kündigungen wegen Arbeitskampfmaßnahmen. Gleichzeitig baut die Regierung den Repressionsapparat aus Polizei und Militär aus.

Mileis Schocktherapie und der radikale Rückbau des Staates treffen neben der Arbeiterklasse auch andere gesellschaftliche Gruppen, die ohnehin marginalisiert sind. So etwa Frauen, die Milei als »Mörderinnen mit grünen Tüchern« beschimpft – in Anlehnung an das Symbol der feministischen Bewegung, die 2020 das Recht auf Schwangerschaftsabbruch erkämpft hat. In seinem Kreuzzug gegen die Frauenrechte schaffte er direkt nach seinem Amtsantritt das Ministerium für Frauen, Gender und Diversität ab. Auch das Nationalinstitut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus musste dran glauben. Die Verwendung sogenannter inklusiver Sprache in der staatlichen Verwaltung wurde verboten.

Diese Agenda der Ultrarechten verbindet Milei mit einem Politikstil, der neuartig und unkonventionell wirkt. Auch hieraus resultiert die Bewunderung, die er international genießt. Milei wird weltweit (fälschlicherweise) als »Antipolitiker« wahrgenommen. Seine »zentrale Stellung«, gibt Vázquez zu bedenken, habe der argentinische Staatschef jedoch auch der Tatsache zu verdanken, dass im Jahr 2024 in Amerika die »anderen großen Führer der Ultrarechten« nicht an der Macht seien. »Sollte Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden oder Bolsonaro zurückkehren, würde Milei wahrscheinlich einen weitaus weniger prominenten Platz einnehmen«, so der argentinische Journalist.

Frederic Schnatterer ist freier Journalist mit derzeitigem Aufenthalt in Argentinien. Paula ­Sabatés ist argentinische Journalistin und arbeitet unter anderem für die Tageszeitung página 12.

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