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Aus: Ausgabe vom 29.07.2024, Seite 2 / Ausland
Indigene Gewerkschaft

»Geschehnisse sind Produkt kolonialer Dominanz«

El Salvador: Vernetzung indigener Völker gegen Landraub und Abholzung der tropischen Wälder. Ein Gespräch mit Ángel Flores
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
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El Salvador: Protest für die Rechte Indigener (San Salvador, 26.9.2019)

Vor 500 Jahren begannen die Spanier das Territorium des heutigen El Salvadors zu erobern. Wie erinnert Ihre Organisation an dieses Datum?

Wir veranstalteten am 8. Juli eine Pressekonferenz im Departamento Sonsonate im Westen des Landes, dazu waren Indigene aus ganz El Salvador anwesend und auch Gäste aus Guatemala. Ort und Datum erinnerten an das erste kriegerische Aufeinandertreffen zwischen den Eroberern und Indigenen am 8. Juli 1524. Uns geht es darum, die Erinnerung und die aktuellen Kämpfe von heute zu verbinden.

Welche Arbeit leistet Ihre Organisation?

MILPA, kurz für Movimiento Indígena para la Integración de las Luchas de los Pueblos Ancestrales (Indigene Bewegung für die Integration der Kämpfe der ursprünglichen Völker, jW) ist von der Rechtsform eine Gewerkschaft. Wir setzten uns ein für die Rechte der indigenen Arbeiter auf dem Land, speziell auch der Arbeiterinnen, den Schutz der Territorien und die Rechte der Natur.

Wie ist die Situation der indigenen Bevölkerung in El Salvador? Nach Statistiken macht sie etwa acht Prozent der Bevölkerung aus.

Es gibt in El Salvador die Kontinuität einer Politik der Leugnung der indigenen Bevölkerung. Wir sind das einzige Land in der Region Mesoamerika, in dem es keine gesetzlich verankerten kollektiven Gesetze für die indigenen Völker gibt, zum Beispiel für den Schutz des Landes. Seit 2021 erleben wir eine neue Welle der Enteignung indigenen Landes durch Agrarkonzerne und Projekte des Massentourismus wie Surf City. Das verschärft auch die Umweltprobleme und den Klimawandel durch die Abholzung tropischer Wälder.

1932 massakrierte die Armee rund 30.000 Indigene und Kleinbauern im Westen El Salvadors. Wie wirkt sich dieser Massenmord auf die indigene Bevölkerung bis heute aus?

Die Geschehnisse waren Produkt der kolonialen Dominanz. 1881 wurde ein Gesetz beschlossen, das die Enteignung indigenen kommunalen Landes legalisierte. Es gab 1932 einen Aufstand für Land und ein würdevolles Leben. Die Armee des damaligen Diktators Maximiliano Hernández schlug den Aufstand brutal nieder. Besonders betroffen waren die Volksgruppe der Nahuas. Die Armee ermordete damals alle männlichen Bewohner über elf Jahre, die sie in die Hände bekam. Dieser Völkermord, 30.000 Ermordete bei damals nur einer Million Einwohner, und der Landraub wirkten sich bis heute aus, auch mit dem Verlust der Identität und Sprache der Indigenen und der extremen Armut, in der viele bis heute leben.

Präsident Nayib Bukele hat Anfang Juli Aktionen gegen die hohen Lebensmittelpreise angekündigt, Oligopole und mafiöse Gruppen sollen bekämpft werden, das sei gegen die Armut gerichtet und würde ähnlich konsequent verlaufen wie seine Bekämpfung der kriminellen Banden. Wie sehen Sie diese Maßnahmen?

Bukele geht gegen Kleinproduzenten vor, aber nicht gegen die großen Supermarktketten und die großen Agrarkonzerne, die ihre Produkte nach El Salvador importieren. Zu den großen Agrarkonzernen hat Bukele Verbindungen, teilweise auch familiärer Art. Wir haben ein strukturelles Problem der Ernährungssicherheit, der Großteil unserer Lebensmittel wird importiert. Die Maßnahme ist klare Klassenpolitik im Interesse der besitzenden Klasse, der großen Unternehmen.

Wie schätzen Sie Bukele politisch ein? Seine politische Karriere begann in der linken FMLN.

Bukele setzt auf neoliberale Privatisierungen. Er setzt das fort, was die neoliberalen Regierungen nach dem Friedensabkommen begannen, nur wesentlich radikaler, mit Maßnahmen der Privatisierungen und Vermarktungen der Territorien, die Vorgängerregierungen nicht durchsetzen konnten. Entsprechend sind die großen Unternehmen sehr zufrieden mit ihm. Gleichzeitig hat er mit seinen autoritären Maßnahmen des permanenten Ausnahmezustandes unter dem Vorwand der Bekämpfung der kriminellen Banden Demokratie und Zivilgesellschaft minimiert und teilweise zerstört.

Warum ist Bukele dennoch so beliebt? Er hat die letzten Wahlen deutlich gewonnen.

Bukele beschäftigt eine ganze Reihe von Youtubern und Influencern, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als seine Politik in ein gutes Licht zu rücken. Er baut aber auch den Repressionsapparat aus. Zwei Funktionäre unserer Organisation und etwa 25 Personen aus unserem Umfeld sitzen im Zuge der Festnahmen des Ausnahmezustandes in Haft.

Ángel Flores ist Koordinator für West-El Salvador bei der Indigenen Bewegung für die Integration der Kämpfe der ursprünglichen Völker (MILPA)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Hartberg (28. Juli 2024 um 21:19 Uhr)
    Dass Deutschland Mallorca bzw. Palmhausen touristisch annektiert hat, ist bekannt. Aber El Salvador? (Der Artikel erscheint unter der Rubrik »Inland« (-;

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