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Aus: Ausgabe vom 29.07.2024, Seite 4 / Inland
Queer Pride

Kampf unterm Regenbogen

Berlin: Kommerzieller Christopher Street Day mit Bundeswehr-Wagen. Polizeigewalt bei palästinasolidarischer »Internationalistischer Queer Pride«
Von Annuschka Eckhardt
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Kämpferische antikoloniale »Internationalistische Queer Pride« statt CSD (Berlin, 27.7.2024)

Eine Kakophonie aus schlechten Popsongs quält das Trommelfell am Samstag nachmittag in Berlin-Schöneberg. Vor einer Filiale der Supermarktkette Rewe hat sich eine lange Schlange gebildet – die feierwütige Meute braucht Alkoholnachschub. Sechs Securitymänner bewachen den Eingang, der Bürgersteig ist voller Glasscherben, Glitzerkonfetti und vom Regen matschigen Regenbogenfähnchen aus Papier.

Beim kommerziellen Christopher Street Day haben am Samstag in Berlin Hunderttausende unter dem Motto »Nur gemeinsam stark – für Demokratie und Vielfalt« gefeiert. Laut Schätzungen der Polizei vom späten Samstag abend nahmen mindestens 250.000 Menschen am CSD teil. Neben Wagen von Amazon, Axel Springer und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hatte auch die Bundeswehr einen bunt geschmückten Lkw.

»Happy Berlin Pride! Die #Bundesregierung steht für Toleranz und Vielfalt ein. Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es einen gemeinsamen Wagen aus fünf Ressorts beim Berliner #CSD. In der #Bundeswehr wird gegenseitiger Respekt ohne Diskriminierung und Gewalt gelebt«, twitterte das Verteidigungsministerium am Samstag.

Nur die CDU kam nicht so gut weg: Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte bei der Eröffnung des CSD im vergangenen Jahr angekündigt, sich für eine Bundesratsinitiative einzusetzen, um den Schutz queerer Menschen ins Grundgesetz aufzunehmen. Aus Sicht der CSD-Organisatoren ist seitdem nicht genug passiert. Wegner hielt deshalb nicht, wie es für den Bürgermeister üblich ist, die Eröffnungsrede.

Sänger Herbert Grönemeyer spielte als »Special Guest« des CSD am Abend vor dem Brandenburger Tor. »Zur Zeit werden Demokratien weltweit auf perfide Art und Weise durch fundamentalistische, faschistische Kräfte attackiert«, sagte er.

Die Polizei zeigte sich zufrieden. Ein Sprecher sagte der dpa, die Beamten blickten in der Hauptstadt in »viele fröhliche und freundliche Gesichter«.

Für weniger fröhliche Gesichter sorgte die Polizei bei der Gegenveranstaltung, der »Internationalistischen Queer Pride« in Berlin-Neukölln. Unter dem Motto »Queers for Palestine« protestierten über zehntausend Menschen für den antikolonialen, antirassistischen und antikapitalistischen Freiheitskampf. Bei dieser Veranstaltung waren statt teuer verzierter Wagen großer Unternehmen Kufijas und selbstgebastelte Schilder zu sehen. »Ich bin traurig, hier sein zu müssen, denn es gab schon wieder ein Massaker in Gaza, bei dem viele Kinder getötet wurden. Wir werden nicht aufhören zu demonstrieren, bis die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Gaza aufhört«, sagte ein Demonstrant gegenüber junge Welt. »Ich bin froh, dass so viele Personen hier sind und nein zum kapitalistischen und zionistischen CSD sagen. Aber ich habe große Angst vor Polizeigewalt«, sagte eine andere Teilnehmerin gegenüber junge Welt. Ihre Sorge war nicht unbegründet.

Die Polizei ist auf der kurzen Strecke rund 20mal gewaltsam in die Demo eingedrungen, um Leute festzunehmen, meistens wegen Äußerungen, die klar unter die Meinungsfreiheit fallen, wie »from the river to the sea«, sagte Benjamin Düsberg, der als anwaltlicher Beistand der Versammlung vor Ort war, am Sonntag im jW-Gespräch. Auf seine Frage, warum das geschehe, obwohl es sich um eine nicht strafbare Äußerung handele, wurde geantwortet, dass die Berliner Staatsanwaltschaft das weiterhin als Straftat bewerte. »Das hat dann die gesamte Situation eskaliert, weil sich dann vereinzelt auch gegen diese rechtswidrigen Eingriffe in die Demo gewehrt wurde, was wiederum zu weiteren Festnahmen geführt hat«, so Düsberg.

Bilder von brutalen Festnahmen und verbotenen Schmerzgriffen verbreiteten sich noch während der Demonstration in den sozialen Medien. Die Polizei habe ständig damit gedroht, die Demo aufzulösen. »Man muss ständig um jeden Meter Versammlungsfreiheit kämpfen gegen rechtswidrige Auflagen«, sagte der Anwalt.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (29. Juli 2024 um 15:41 Uhr)
    Von der #Bundeswehr wurde vor geraumer Zeit ein hoher Offizier gefeuert, weil er Kommunikation auf Augenhöhe mit und Respekt für ein größeres Land auf dieser Erde gefordert hat. Wie soll Bundesgeier aussehen, der auf die Bundeskriegsregenbogenfahne kommt?
  • Leserbrief von B. S. aus Ammerland (29. Juli 2024 um 15:01 Uhr)
    Grönemeyer und Bundeswehr beim CSD, was verlangt das neoliberale & kapital-faschistische Herz mehr? Grönemeyer verlangte mal »Kinder an die Macht« … Herbert, dein großer Wunsch ist bereits in Erfüllung gegangen. Tausende Minderjährige als »gelobtes Menschenmaterial« für die Herren und Damen, die ihre Kinder dafür nicht hergeben würden. Und Grönemeyer reiht sich ein in die Reihe der NATO-Hofsänger um Campino, Niedecken und Co. Oder wer hat schon ein Schloss in Großbritannien? Anstatt sich für Frieden einzusetzen, spielen sie lieber »Augen zu und durch bis Moskau« …Bedauernswerte Multimillionäre.

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