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Aus: Ausgabe vom 29.07.2024, Seite 8 / Inland
Gesundheitspolitik

»In vielen Regionen gibt es nicht genug Apotheker«

Apothekengewerkschaft einigt sich auf neuen Gehaltstarif. Beruf für Nachwuchs unattraktiv. Ein Gespräch mit Tanja Kratt
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Kundgebung von Apothekern gegen Lieferengpässe und Honorarkürzungen in Düsseldorf (14.6.2023)

Die Apothekengewerkschaft hat sich nach längeren Verhandlungen auf einen neuen Gehaltstarifvertrag geeinigt. Was hat die Verhandlungen so schwierig gemacht?

Die finanzielle Situation der öffentlichen Apotheken ist in großem Maße abhängig von der Honorierung für verschreibungspflichtige Arzneimittel durch die gesetzlichen Krankenkassen – und diese ist seit mehr als 1zehn Jahren nicht mehr erhöht worden. Für 2023 und 2024 gilt sogar eine Absenkung. Dabei sind in dieser Zeit die Kosten für die Apotheken sukzessive gestiegen – durch die allgemeinen Preissteigerungen und auch die vergangenen Tariferhöhungen. Entsprechend haben die Betriebsergebnisse der Apotheken nicht mit anderen Entwicklungen mithalten können. Die Vorgaben für diese Sparpolitik macht die jeweilige Bundesregierung.

Was bedeutet das für die Beschäftigten?

Auf der einen Seite gab es daher die berechtigten Erwartungen unserer Mitglieder auf angemessene Gehaltserhöhungen, gerade nach Jahren mit sehr hoher Inflation. Auf der anderen Seite standen die durchaus nachvollziehbaren Sorgen der Apothekeninhaberinnen und -inhaber. Das war eine große Herausforderung für unsere Tarifkommission. Und die Verweigerungshaltung der Politik gegenüber den Apothekenteams war auch keine Hilfe.

Dass jetzt beiden Seiten, Apothekengewerkschaft wie Arbeitgeberverband, zum Teil heftige Kritik einstecken müssen, zeigt: Es ist ein Kompromiss unter sehr ungünstigen Rahmenbedingungen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Der Arbeitgeberverband ADA spricht von einem sich zuspitzenden Fachkräftemangel. Sehen Sie das auch so, und falls dem so ist, worauf führen Sie diesen zurück?

Ja, in vielen Regionen gibt es nicht genug Apotheker, aber auch zu wenige pharmazeutisch-technische Assistenten. Erfahrene Kräfte wandern in andere Bereiche ab, in denen man bei günstigeren Arbeitszeiten mehr verdienen kann. Und die im Branchenvergleich niedrigen Gehälter und Ausbildungsvergütungen schrecken Schulabsolventen und Berufsnachwuchs ab.

Dazu kommen in manchen Bundesländern zu niedrige Studienplatzzahlen für Pharmazie. Und für die schulische Ausbildung fehlt die Ausbildungsvergütung. Nicht zuletzt wurden über lange Zeit zu wenig pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte, also PKA, ausgebildet. Das rächt sich jetzt, denn gute PKA entlasten das pharmazeutische Personal, und sie sind gerade auch bei den aktuellen Lieferengpässen wichtige Teammitglieder.

Welche positiven Ergebnisse konnten für die Beschäftigten im Gehaltstarifvertrag erreicht werden?

Zum 1. Juli 2024 gibt es einen Sockelbetrag für alle Apothekenberufe: 150 Euro für die Berufseinsteigerinnen und -Einsteiger, 100 Euro mehr für alle weiteren Berufsjahresgruppen. Auch die Ausbildungsvergütungen wurden um 50 bis 60 Euro erhöht. Und zum 1. Januar 2026 haben wir eine weitere Gehaltser­höhung um drei Prozent vereinbart.

Zum 1. August 2024 wurde auch ein neuer Bundesrahmentarifvertrag vereinbart. Wie bewerten Sie ihn?

Auch hier gibt es zwei Punkte, die den tariflichen Stundenlohn ab August 2024 noch einmal erhöhen: eine Reduzierung der tariflichen Vollzeit von 40 auf 39 Stunden pro Woche; sowie ein zusätzlicher Urlaubstag, also jetzt 35 Werktage. Wer mindestens vier Jahre in der gleichen Apotheke beschäftigt ist, bekommt noch einen Zusatztag und hat damit ab diesem Jahr Anspruch auf volle sechs Wochen Urlaub. Anspruch auf Zuschläge für Mehrarbeit haben jetzt auch Teilzeitkräfte. Und für die Auszubildenden gibt es einen Fahrtkostenzuschuss.

Was muss Ihrer Einschätzung nach darüber hinaus passieren, um das Apothekensterben aufzuhalten?

Die Vor-Ort-Apotheken sind für die Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar, das wissen wir allerspätestens seit der Pandemie. Wir haben dem Bundesgesundheitsminister vorgeschlagen, im geplanten Apothekenreformgesetz einen gesetzlichen Personalzuschlag zu verankern. Denn wenn kein zusätzliches Geld ins System kommt, dann wird es weitere Apotheken treffen. Wer will unter diesen düsteren, unsicheren Vorzeichen schon als junger Pharmazeut eine Apotheke übernehmen?

Tanja Kratt ist Bundesvorstand der Apothekengewerkschaft Adexa und Leiterin von deren Tarifkommission

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