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Heldinnen und Helden

Von Helmut Höge
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»Unglücklich das Land, das Helden nötig hat«, schrieb Bertolt Brecht. Jetzt ist das deutsche Land endlich unglücklich, mit so ziemlich allem – von der Stationierung US-amerikanischer Raketen und den eskalierenden Ukraine-Gaza-Jemen-Kriegen bis zur Fußball-EM.

Und da kommen uns auch schon – quasi wie bestellt – ein paar Eventkanonen mit einer fetten Ausstellung samt Katalog über das »Prinzip Held«. Es ist selbstverständlich eine kritische Ausstellung, diachronisch und synchronisch sowieso, zudem legt sie nahe, dass die Wahrheit des Heldentums heute vielfältig ist, eine Multitude geradezu: Helden für jeden und in jeder Lebenslage. Solch eine Vielfalt verdanken wir, als Habenichtse, der angloamerikanischen Globalisierung (während ihre neoliberalen Profiteure allerdings eher die Einfalt preisen).

Die einen aus dem Prekariat schwärmen nun für ihre Helden im »Dschungelcamp«, für den Fußballer Lionel Messi oder für den Hitler-Attentäter Stauffenberg, die anderen für einen schwulen Formel-1-Fahrer, für Donald Trump oder für den ermordeten Martin Luther King, und wieder andere für Greta Thunberg, Carola Rackete oder Taylor Swift. Für kurze Zeit auch für drei junge Männer einer freiwilligen Feuerwehr in Sachsen, die mutig alle Brände löschten, aber dann als Brandstifter entlarvt wurden. Wir wollten als Helden dastehen, entschuldigten sie sich vor Gericht.

All diese Vorbilder und noch viele mehr werden in der Ausstellung (bis 3. November 2024) auf dem ehemaligen französischen Flugplatz in Berlin-Gatow, der nun ein militärhistorisches Museum ist, präsentiert. Drumherum befindet sich auf dem Freigelände eine der weltweit größten Sammlungen von militärischen Großgeräten. Sie umfasst Flugabwehrsysteme (Flugabwehrkanonen und Flugabwehrraketen), Radargeräte, aber auch andere Erfassungssysteme und Zielhilfen, Transport-, Schlepp- und Wartungsfahrzeuge, Fernmeldesysteme und ortsfeste Anlagen.

Für die Ausstellung »Helden« sind die Veranstalter tief in die Geschichte des Heldischen eingestiegen: Angefangen mit dem mythischen Helden Herakles, der Griechenland einst löwenfrei machte, und dem biblischen Helden David, der den Riesen Goliath bezwang, wenn man dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel glauben darf.

Aber wer ist das, der nun diese ganzen Helden dummdreist ins Spiel bringt? Das ist zum einen der Sonderforschungsbereich 948 der Universität Freiburg, von dem ich immer dachte, dass da knallharte Militärforschung betrieben wird – aber nein: doch eher weiche. Denn mit Geld von der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde in diesem »DFG-Projekt Nummer 181750155« zwölf Jahre lang über »Helden. Heroisierungen. Heroismen« geforscht, d. h. gegrübelt und Material gesammelt – bis entweder das Geld ausging oder man sich sagte: Nun ist genug. Vielleicht meinte aber auch das mitbeteiligte Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, wo man statt in weißen Kitteln in olivfarbenen Uniformen forscht: Jetzt müssen wir endlich mal Nägel mit Köpfen machen!

Eben eine Ausstellung. Der Sprecher des Sonderforschungsbereichs, ein klassischer Archäologe, bekam einen neuen Job: als Sprecher des Direktoriums des Freiburg Institute for Advanced Studies. Und für die Gestaltung der Ausstellung gewann man (mit viel Geld?) die linke, aufklärerische Künstlergruppe Rimini Protokoll, wie Wikipedia das dreiköpfige Berliner Autoren-Regie-Team nennt. Das freilich normalerweise eher die »Antihelden« feiert/featured, denn »die Helden wurden inzwischen von Antihelden verdrängt, da diese wesentlich attraktiver zu sein scheinen. Dies liegt daran, dass sie verletzlich, unglücklich und größtenteils das Produkt einer gescheiterten Gesellschaft sind«, wie es auf gedankenwelt.de heißt.

Der russisch-israelische Schriftsteller Alexander Goldstein wollte diese Verdrängungsleistung allerdings nicht hinnehmen. In seinem Roman »Denk an Famagusta« (2004; auf deutsch 2016) fragt er sich deswegen, ob »die Kultur« nicht am Ende ist, »wenn fette, Operettenballetteusen beweihräuchernde Börsenspekulanten die Helden sind«. An anderer Stelle bedauert Goldstein: »Der Familienvater ist der heutige Held.« Also, wenn es um »Helden des Alltags« geht – wird dann nicht das »Prinzip Held« ausgehebelt? Für die Militärköppe könnte das bedeuten, dass sie nur noch Kretins als Menschenmaterial verheizen können. Schauen wir mal.

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