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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Umweltschutz in Kolumbien

Einsatz unter Todesangst

Naturschützer in Kolumbien leben gefährlich. Das Land hat weltweit die höchste Mordrate an Umweltaktivisten
Von Sara Meyer, Bogotá
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Legaler und illegaler Bergbau richten in Kolumbien große Schäden an (Magüí Payán, 20.4.2021)

Wer sich in Kolumbien für sauberes Wasser, Nahrung und Boden für die lokale Bevölkerung einsetzt, lebt gefährlich. Das lateinamerikanische Land weist die höchste Mordrate an Umweltschützern weltweit auf. Allein 2022 wurden 60 Aktivisten getötet – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Ein Großteil der Morde bleibt straflos. Umweltaktivisten sehen sich nicht nur tödlichen Angriffen ausgesetzt, sondern auch Drohungen, Überwachung und Kriminalisierung.

Am bekanntesten ist der Fall der Kohlemine El Cerrejón, aus der auch Deutschland Steinkohle bezieht. Berichte über durch Wasserverschmutzung verursachte Krankheiten und Todesfälle häufen sich. Aktivisten, die sich gegen die Mine einsetzen, werden schikaniert – nächtliche Hausbesuche Vermummter, die verlangen, sich nicht weiter gegen das Geschäft wehren, sind keine Seltenheit.

Nicht nur die Kohlemine gefährdet die Lebensgrundlage vieler Kolumbianer: Illegaler Abbau von seltenen Erden, Gold und Smaragden, die Abholzung der Regenwälder und der Anbau von Monokulturen zerstören die empfindliche Ökologie der Region. Dabei handelt es sich oft um Waren, die für den Export produziert werden.

Die diesjährige Preisträgerin des Amnesty International Menschenrechtspreises, Yuly Velásquez, ist eine derjenigen, die sich gegen die Ausbeutung der Natur einsetzt. Die 39jährige Fischerin ist Vorsitzende des Fischereiverbands Fedepesan und lebt für den Schutz des längsten Flusses des Landes, dem Río Magdalena. Sie lehnt sich gegen das größte Ölunternehmen des Landes, Ecopetrol, auf und geht mit ihrem Verband rechtlich gegen die Verschmutzung und das Artensterben in den angrenzenden Gewässern vor.

Diesen Einsatz bezahlt sie mit Todesangst: Velásquez hat bereits drei Attentate hinter sich, ihrem Sicherheitsmann sei vor ihren Augen ins Gesicht geschossen worden, berichtet sie. Ihr Fischerdorf hat sie inzwischen verlassen und lebt unter Polizeischutz in der nächsten Großstadt Barrancabermeja. Es habe Momente der Verzweiflung gegeben, Tage, an denen sie das Bett nicht verlassen wollte, Augenblicke, in denen sie weglaufen wollte, letztendlich sei Aufgeben aber keine Option für die Fischerin. »Ich komme aus einer Region, die sehr durch den Bürgerkrieg beeinträchtigt wurde. Heute führen die Gewalt durch bewaffnete Gruppen und das Fehlen staatlicher Kontrolle zu Panik und Angst bei der Ausübung unserer Arbeit. Besonders Frauen, die sich öffentlich gegen die Umweltverschmutzung wehren, gehören zu den am meisten gefährdeten Personen«, erklärt Velásquez ihre Arbeit. Dennoch zeigt die Umweltschützerin Zuversicht. Die Kraft, weiterzumachen, schöpft sie aus dem Gefühl, »nie allein gelassen zu werden«. Stets sei sie in Begleitung anderer Fischer, ihrer Kinder oder ihres Ehemanns.

Dem ersten linken Präsidenten des Landes, Gustavo Petro, der seit nunmehr zwei Jahren im Amt ist, bescheinigt sie »den Willen, die Dinge anders zu gestalten«, dennoch stoße er auf zu viele Widerstände.

Der Kampf der Umweltaktivisten in Kolumbien ist nicht nur ein Kampf gegen die Zerstörung der Natur, sondern auch ein Kampf für soziale Gerechtigkeit und die Rechte indigener und bäuerlicher Gemeinschaften. Viele der betroffenen Gemeinden gehören zu den ärmsten und marginalisiertesten Bevölkerungsgruppen des Landes. Ohne Anbauflächen und Zugang zu nahegelegenen Gewässern bekommen sie kein Essen auf den Tisch. Für sie geht es ums Überleben.

Trotz der vielen Herausforderungen erzielten Umweltaktivisten in Kolumbien auch Erfolge. Gerichte stoppten mehrfach Bergbau- und Ölprojekte aufgrund von Umweltschäden und Verletzungen der Rechte indigener Gemeinschaften. Ein bekanntes Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2018 erkannte den Amazonasregenwald als Rechtssubjekt an, was die Regierung verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz des Amazonasökosystems zu ergreifen.

Velásquez schildert, wie ihre Gemeinschaft kreativ auf die Herausforderungen des Klimawandels und der Überfischung reagiert hat. Im Zentrum stehen die Stärkung der Frauen, der Aufbau alternativer Einkommensquellen und das Engagement zum Schutz der Natur. »Wir Fischerinnen spielen eine entscheidende Rolle dabei, unseren Planeten zu schützen«, betont die Aktivistin. »Wir haben Frauen in unserer Gemeinschaft gestärkt und neue, nachhaltige Einkommensquellen jenseits der Fischerei erschlossen – etwa durch Gastronomie und Ökotourismus. So können wir den dramatischen Rückgang der Fischbestände auffangen und zugleich die Natur bewahren, von der wir alle abhängen.«

Hintergrund: Schutz von ­Umweltaktivisten

Jeden Tag werden in Kolumbien Umweltschützer für ihren Einsatz für die Natur schikaniert. Trotz internationaler Anerkennung des Problems und nationaler Bemühungen bleiben Umweltaktivisten im Land stark gefährdet. Die Bundesrepublik Deutschland, ein großer Abnehmer von kolumbianischer Kohle, profitiert von Ressourcen, deren Gewinnung oft mit schweren Menschenrechtsverletzungen einhergeht. Der Preis, den Kolumbien für diese »schmutzige Kohle« zahlt, ist hoch – Aktivisten riskieren täglich ihr Leben, um die Zerstörung ihrer Heimat zu verhindern. Eine sorgfältigere Kontrolle der Lieferketten, wie die Bundesrepublik oftmals angekündigt hatte, ist unabdingbar für den Schutz dieser Menschen.

Allein in den letzten Tagen meldete Tierra Digna acht lebensgefährliche Bedrohungen ihrer Schützlinge. Die kolumbianische Nichtregierungsorganisation begleitet Naturschützer bei ihrem Kampf für eine intakte Umwelt.

Ein erster Schritt wäre die strikte Umsetzung und Verstärkung des Escazú-Abkommens. Dieses nach sechsjähriger Verhandlung 2022 in Kraft getretene Abkommen garantiert den Zugang zu Umweltinformationen und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, Mechanismen zum Schutz von Menschenrechts- und Umweltaktivisten vor Bedrohungen einzuführen. Obwohl Kolumbien das Abkommen als eines von zwölf lateinamerikanischen Ländern ratifiziert hat, mangelt es noch an der konsequenten Umsetzung und Durchsetzung der darin enthaltenen Bestimmungen. Erschwerter Zugang zu Gerichten, Straflosigkeit oder ignorierte Urteile stellen nicht die Ausnahme, sondern die Regel dar.(sm)

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