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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 4 / Inland
Wahlkampf im Osten

Frieden als Skandal

Wahlen im Osten: BSW sorgt mit Koalitionsbedingung »Diplomatie« für wütende Reaktionen
Von Nico Popp
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BSW-Chefin Sahra Wagenknecht (Berlin, 27.1.2024)

Verlautbarungen von Parteien zur Frage, unter welchen Bedingungen sie nach einer Wahl in eine Regierung eintreten würden, regen gemeinhin die Leute nicht auf. Das BSW sorgt aber auch in diesem Punkt vor den anstehenden ostdeutschen Landtagswahlen für mächtig Welle: Die Ankündigung der Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht, sich nur dann an einer Landesregierung zu beteiligen, wenn diese »auch bundespolitisch klar Position für Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitung bezieht«, zog am Montag zahlreiche Reaktionen nach sich – und zwar überwiegend wütende. Bleibt das BSW in dieser Frage stabil, wird die Partei, das zeigen die Reaktionen, kaum in eine Landesregierung eintreten können.

»Die Friedensfrage ist sehr wichtig«, hatte Wagenknecht, deren Partei in Thüringen, Sachsen und Brandenburg in Umfragen zur Zeit bei 15 bis 20 Prozent gesehen wird, der Nachrichtenagentur dpa gesagt. Viele Menschen seien zu Recht beunruhigt, »weil die Bundesregierung unser Land immer mehr zur Kriegspartei im Ukraine-Krieg macht und bisher jedes Bemühen um diplomatische Lösungen vermissen lässt«. Auch der Kovorsitzende des Thüringer BSW-Landesverbandes, Steffen Schütz, bekräftigte: »Wir stehen zu unseren Idealen.«

Für einen Skandal halten solche Aussagen vor allem die Grünen. Die aus Thüringen stammende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt warf Wagenknecht (und der AfD) Unehrlichkeit vor. »Sie sagen, sie wollten Frieden, aber eigentlich geht es ihnen nicht um einen gerechten Frieden in der Ukraine oder Frieden mit Russland, sondern darum, dass man selbst in Frieden gelassen wird«, sagte sie gegenüber dpa. Wagenknechts »Rezepte« liefen »auf eine Instabilität der Region und damit auf eine Verlängerung des Krieges hinaus«. Göring-Eckardts Parteifreundin Madeleine Henfling, Spitzenkandidatin in Thüringen, donnerte via X: »Ganz sicher werden wir in Thüringen nicht die Solidarität zur Ukraine opfern!« Das erwarte sie auch »von SPD und CDU«.

Die ließen sich nicht lange bitten. Der Thüringer SPD-Chef Georg Maier erklärte, »keine ernstzunehmende Partei im Bund« werde sich »dahingehend erpressen lassen, die Unterstützung für ein demokratisches Land einzustellen, das von Russland brutal überfallen wurde«. Der CDU-Transatlantiker Roderich Kiesewetter nutzte die Gelegenheit, um gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland eine Zusammenarbeit mit dem BSW »auf jeder Ebene« für »undenkbar« zu erklären. Er beschimpfte die Partei als »Kreml-Ableger«; sie wolle »russische Interessen zu deutscher Politik« machen. Zurückhaltend äußerte sich der Thüringer CDU-Chef Mario Voigt: Eine CDU-Landesregierung werde sich »natürlich auch für Diplomatie in diesem Land einsetzen«. Er wünsche sich auch persönlich Frieden.

Voigts Reaktion zeigt, dass er im Gegensatz zu Kiesewetter die offene Flanke der BSW-Konkurrenten kennt, die erneut durch die Intervention Wagenknechts offengelegt wird. Die Ukraine-Politik der Bundesregierung ist im Osten ausgesprochen unpopulär, und in Thüringen hat sich auch Linkspartei-Ministerpräsident Bodo Ramelow, der Waffenlieferungen befürwortet (im April 2023 hatte ein Landesparteitag diese Position gebilligt), auf den Boden dieser Politik gestellt. Die Ampelparteien, die Union, deren Bundesparteispitze beim Thema Russland/Ukraine noch aggressiver agiert als die Regierung, und die Linkspartei haben alle ein Interesse daran, dass das Friedensthema nicht die Landtagswahlkämpfe beherrscht. Dieses Kalkül durchkreuzt Wagenknecht. Sie macht es damit auch der AfD unmöglich, das Friedensthema allein zu besetzen.

Auch Ramelow hat offenbar Berater, die ihm die drohende Gefahr erläutert haben. Vor einigen Wochen bereits signalisierte er, die Gespräche des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán in Moskau und Beijing, die wilde Ablehnungsbekundungen im gesamten liberalen Meinungsspektrum – an dem sich Ramelow gewöhnlich orientiert – nach sich gezogen hatten, nicht zu missbilligen. Am Montag beschwerte er sich allerdings gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass das BSW den »Ukraine-Krieg hier in Thüringen stoppen« wolle.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (31. Juli 2024 um 11:38 Uhr)
    Die wertlose Worthülse vom »brutalen Krieg Russlands« kann niemand, der eins und eins zusammenrechnen kann, ernst nehmen. Nur wer völlig geschichtsresistent ist, wie Kiesewetter, die Grünen und andere Entscheider innerhalb der Ampel, wiederholt diese sinnlose Behauptung. Dass Wagenknecht das Thema Krieg oder Frieden zum Wahlkampfthema macht, ist ein geschickter Schachzug und völlig richtig. Lockt sie doch damit die selbsternannten »wertebasierten« Parteien aus der Deckung, die sich nun bekennen müssen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (29. Juli 2024 um 21:58 Uhr)
    Wenn Frau Wagenknecht/das BSW sagt: »Die Friedensfrage ist sehr wichtig« und man sich die Reaktionen darauf anschaut, drängt sich unweigerlich der Schluss auf, dass alle anderen die Friedensfrage für nicht wichtig halten und sie nicht Bestandteil ihrer Ideale ist. Wie dümmlich die Argumentation ist, sieht man am beschränkten Horizont (»Ukraine«) der Göring-Eckardt- und Henfling-Äußerungen. Als ob mit der beschlossenen Stationierung neuer Waffensysteme in Deutschland der Frieden nicht in Frage gestellt würde. Zum Trost fällt mir ein, dass es verfemte Leute wie Willi Bleicher waren, die ab Mai 1945 für einige Zeit die Karre aus dem Dreck gezogen haben, bis das Gesindel wieder aus der Deckung auftauchte. Ob nach einem dritten Weltkrieg noch eine Karre übrig bleibt, ist fraglich. Wer dann daran ziehen und wer in Deckung gehen würde: Das soll sich am 6. und 9. August jedeR selber überlegen.

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