Militär in der Defensive
Von Thomas BergerVereinzelte Schusswechsel wurden zwar auch am Wochenende noch gemeldet, doch der bisher größte militärische Erfolg der vielen Gegner der Herrschenden in Myanmar scheint festzustehen: Wie die Armee der Nationalen Demokratischen Allianz Myanmars (englische Abkürzung: MNDAA) bereits am vergangenen Donnerstag mitteilte, ist es ihr gelungen, das Verwaltungszentrum Lashio einzunehmen. Es handelt sich mit 150.000 Einwohnern um die größte Stadt im nördlichen Shan-Staat mit einem von 14 Regionalkommandos der Armee. Wichtige Stützpunkte der Regierungsarmee haben die verschiedenen bewaffneten Gruppen der allein 135 offiziell anerkannten ethnischen Minderheiten sowie die von der oppositionellen Untergrundregierung (NUG) ein halbes Jahr nach dem Putsch vom 1. Februar 2021 als alternative Streitkräfte gegründeten Volksverteidigungskräfte (PDF) zwar schon zuhauf überrannt, eine solche Eroberung, in diesem Fall des Nordostkommandos, stellt aber eine Premiere dar.
Vor der Einnahme galten 30.000 Einwohner durch Gefechte im Umfeld der Stadt als eingeschlossen. Zehntausende weitere waren vor den sich intensivierenden Kämpfen in der Gegend geflohen. Zahlreiche zivile Todesopfer waren seit Beginn der Teiloffensive auf Lashio am 3. Juli zu beklagen: Immer wieder gerieten Stadtviertel unter Beschuss – wobei die Bewohner gegenüber Reportern selten ausmachen konnten, von wem genau das Feuer ausging. Die Regierungstruppen flogen zudem Luftangriffe. Selbst der Austausch des regionalen Militärchefs hatte am Ende aber nicht mehr geholfen: Noch am Dienstag vergangener Woche war Generalmajor Soe Tint durch Brigadegeneral Soe Hlaing ersetzt worden, als sich der Ring der Aufständischen um Lashio immer weiter zuzog. Die Regierung hat nun erklärt, die Stadt zurückerobern zu wollen. Um in Lashio eines ihrer Verbindungsbüros zu schützen, rückten überdies Einheiten der »neutralen« Vereinigten Armee des Wa-Staats (UWSA) ein, die enge Kontakte nach China hat.
Die MNDAA wird von der Volksgruppe der Kokang dominiert. Sie ist Teil der Three Brotherhood Alliance, die am 27. Oktober die nach diesem Datum benannte »Offensive 1027« gestartet hat. Auch die verbündete Nationale Taang-Befreiungsarmee (TNLA) hat seither große Geländegewinne verbuchen können. Ebenso die Arakan-Armee (AA), die im nördlichen Shan-Staat unterstützend aktiv ist, ihre eigentliche Basis jedoch im westlichen Teilstaat Rakhine hat, der nunmehr zu größeren Teilen von ihr kontrolliert wird. Im Norden des Landes hat auch die Kachin-Unabhängigkeitsarmee (KIA) ihr Hauptquartier, die ein weiterer Schlüsselverbündeter des oppositionellen Lagers ist. Die TNLA konnte derweil in Kooperation mit lokalen PDF-Einheiten die Bergarbeiterstadt Mogok einnehmen, das Zentrum der myanmarischen Förderung von Rubinen.
Bemerkenswert sind derweil zwei Schritte auf politischer Ebene: Weil der amtierende Präsident Win Swe seit Monaten gesundheitlich angeschlagen ist und sein Zustand sich zuletzt weiter verschlechtert hat, übernahm zu Wochenbeginn Militärchef Min Aung Hlaing zusätzlich zumindest bis auf weiteres auch dieses eher rein repräsentative Amt. Zugleich scheint der Anführer des Putsches von 2021 zunehmend besorgt über eine mögliche Intrige zu seiner Absetzung. Zumindest stellt sich dies als schlüssigste Erklärung dafür dar, dass nahezu das komplette Spitzenteam der früheren Militärdiktatur unter besondere Beobachtung gestellt wurde: Das betrifft den Exjuntachef Than Shwe ebenso wie die einstige Nummer zwei, Maung Aye, und Shwe Mann, der seinerzeit Generalstabschef war. Ein weiterer Betroffener ist Exgeneral Thein Sein, nominell erster ziviler Präsident in der Übergangszeit zum demokratischen Neuanfang ab 2011. Thein Sein war erst vor wenigen Tagen von einer Reise nach China heimgekehrt. Der Trip hatte bisher unbewiesene, aber schlüssig erscheinende Spekulationen befeuert, der wegen der Erfolge der bewaffneten Opposition unter Druck stehende Min Aung Hlaing könnte entweder durch seinen Vize Soe Win, der kurz danach in China war, oder aber durch Thein Sein ersetzt werden.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 01.02.2024
Im Kreuzfeuer
- 15.11.2023
Unübersichtliche Lage in Myanmar
- 02.11.2023
Rebellen im Vormarsch
Mehr aus: Ausland
-
Stimmung machen kostet
vom 30.07.2024 -
Warum der 7. Oktober?
vom 30.07.2024 -
Verwirrung um Piroğlu
vom 30.07.2024 -
Melonis »heikle Mission«
vom 30.07.2024 -
Israel bereitet Schlag gegen Libanon vor
vom 30.07.2024 -
Zuhause nicht sicher
vom 30.07.2024