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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 8 / Abgeschrieben
Stationierungsdebatte in SPD

Erhard-Eppler-Kreis warnt vor Stationierung

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Drehscheibe des Todes: Fliegerhorst Büchel der BRD-Armee (18.7.2024)

Der Erhard-Eppler-Kreis »Frieden 2.0« nahm am Sonnabend zur Debatte über die Stationierung weitreichender US-Waffen Stellung:

Wir, die Mitglieder des Erhard-Eppler-Kreises, sind tief besorgt über die Schlagseite, mit der gegenwärtig über Pro und Kontra einer Stationierung von US-Langstreckenraketen in Deutschland und Wege zu einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine debattiert wird.

Der Großteil der medial verbreiteten Einschätzungen geht davon aus, dass ein Waffenstillstand in der Ukraine und der Schutz Europas vor Putins imperialistischem Streben nur durch Abschreckung und gegenwärtig ohne damit einhergehende Aufforderung zum Eintritt in Abrüstungsverhandlungen gelingen kann.

Als Demokraten respektieren wir diese Position. Zu einem demokratischen Ringen um den richtigen Weg gehört aber auch, dass auch unsere und von vielen geteilte gänzlich andere Einschätzung respektiert wird.

Wie Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, warnen wir eindringlich davor, die Gefahren einer Stationierung von Langstreckensystemen mitten in Europa zu unterschätzen.

Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob unser dicht besiedeltes Land zum Ziel eines atomaren Erstschlags werden könnte – eine Frage, die auch die glühendsten Befürworter dieser Art von Abschreckung nicht definitiv ausschließen können. Dessen ungeachtet wird Kritik – in der Sache ebenso wie in bezug auf das Zustandekommen der Entscheidung und ihre Kommunikation – entweder totgeschwiegen oder in einer Weise herabgesetzt, die mit dem Stil einer demokratischen Debatte nicht in Einklang steht.

In der veröffentlichten Meinung wird der Eindruck erweckt, dass nur diejenigen »erwachsen« und Experten seien, die allein auf Abschreckung mit ausschließlich in Deutschland stationierten Lenkwaffen großer Reichweite setzen. Zugleich wird das Plädoyer, »abseits des Schlachtfelds Wege zu einem Ende der Kämpfe« zu suchen (Mützenich), als Aufruf von Träumern diskreditiert, die weiße Flagge zu hissen und dafür die Knechtschaft Putins in Kauf zu nehmen. Das ist ein inakzeptabler Umgang miteinander.

Wer die Suche nach Wegen abseits des Schlachtfelds ausschließt, muss erklären, wie er einen Krieg beenden will, ohne das Schlachtfeld auszuweiten. Der Glaube, Raketenbasen der NATO blieben davon unberührt, wird jedenfalls von Beobachtern in Frage gestellt, die mit Fug und Recht den Titel »Experte« für sich in Anspruch nehmen können.

Was uns befremdet, ist das Schweigen der Führungen von SPD und SPD-Bundestagsfraktion zu der von Rolf Mützenich angestoßenen Debatte. Wir erleben tagtäglich nicht nur an der sozialdemokratischen Parteibasis, wie vielen Rolf Mützenich aus der Seele spricht.

Wir erwarten auch von der Führungsebene der Partei und der Fraktion, Farbe zu bekennen und den Fraktionsvorsitzenden gegenüber abqualifizierenden Vorwürfen zu verteidigen. Und wir würden uns von der Parteispitze gegenüber den Medien mehr sichtbaren Einsatz dafür wünschen, dass kontroverse Positionen in der Stationierungsfrage ohne Vorverurteilung einer Seite fair gegenübergestellt werden. Auch Schweigen ist eine Meinungsäußerung.

Unterzeichner: Gernot Erler, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Norbert Walter-Borjans, Axel Fersen, Cay Gabbe, Albrecht Bregenzer, Herbert Sahlmann

erhard-eppler-kreis.de

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (29. Juli 2024 um 22:08 Uhr)
    So sehr ich diesem Aufruf inhaltlich auch zuzustimmen vermag, so bedauerlich finde ich, dass er dennoch in der Diktion des Mainstreams und der Bellizisten ge- und befangen bleibt, so z. B. mit dem NATO-konformen und undifferenzierten Gebrauch von tendenziösen Formulierungen wie »der Schutz Europas vor Putins imperialistischem Streben«. Auch der redliche Verweis darauf, dass es keine Geschichte ohne Vorgeschichte(n) gibt und folglich der Krieg in der Ukraine nicht erst 2022 begonnen hat, fehlt leider gänzlich.
    • Leserbrief von Wieland König aus Neustadt in Holstein (31. Juli 2024 um 13:54 Uhr)
      Es ist eigentlich zum Verzweifeln. Da geht ein Aufruf hinaus zum Kampf gegen die Biden-/Scholzsche Idiotie, oder besser, gegen diesen Wahnsinn, in Deutschland dieses Dreckszeug von Raketen und Angriffswaffen der Amis zu stationieren, und schon beginnt man sich in der intellektuellen Kaste um Formulierungen zu zerfleischen. Kann man denn, wenn es um die Frage des existenziellen Seins oder Nichtseins in diesem Europa geht, nicht mal alle kleinlichen und selbstdarstellerischen Aspekte in die Tonne treten und sich unter dem kleinsten gemeinschaftlichen Vielfachen, der Frage von Frieden oder Krieg, einigen und einen gemeinsamen Ton gegen die Gesockschaft Scholz, Baerbock, Pistorius, Hofreiter oder Kiesewetter (und wie sie sonst so alle heißen mögen) finden? Ist es nicht fürchterlich egal, ob man im Hinterstübchen gendert, gegen Autobahntoilettengebühren kämpft oder sich legal einen Joint dreht, wenn die existentielle Frage auf der Tagesordnung steht? Muss es erst wieder heißen »Lieber jeden Tag trocken Brot essen als einen Tag Krieg«? Es gab mal ein Lied, das wir noch als junge Leute gesungen haben: »Brüder, in eins nun die Hände.« Aber das widerspricht ja der über allem stehenden freiheitlichen Pluralität.