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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Zerstörung des Regenwaldes

Verheerende Monokultur

Ökologische Folgen des Sojabooms in Lateinamerika
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
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Soja, so weit das Auge reicht (Ernte auf einer Plantage in Rio Grande do Sul, April 2024)

Kaum eine andere Nutzpflanze hat das südliche Lateinamerika in den vergangenen 40 Jahren so stark verändert wie die Sojabohne. Ihr großflächiger Anbau für den Export verwandelte artenreiche Landschaften in menschenleere Agrarsteppen, gespickt mit in den Himmel ragenden, stählernen Speichersilos, den neuen Kathedralen von Nordbrasilien bis Nordargentinien.

Noch in 1950er Jahren waren Sojabohnenfelder eine Seltenheit in Südamerika. Heute breiten sie sich auf 1,2 Millionen Hektar in Uruguay und 1,6 Millionen Hektar in Bolivien aus. In Paraguay sind es 3,6 Millionen, in Argentinien 15,5 Millionen und in Brasilien gigantische 46 Millionen Hektar. Dabei blieb selbst Amazonien nicht vom Sojaboom verschont. Die asiatische Bohne bedeckt heute eine Fläche von mehr als vier Millionen Hektar im brasilianischen sowie im bolivianischen Amazonasgebiet.

Abholzung und Pestizide

Die sichtbarste Umweltfolge des Sojaanbaus ist der Verlust an Artenvielfalt durch direkte Abholzung und Flächenumwandlung. Betroffen davon sind Südamerikas Waldökosysteme Amazonas, Atlantischer Regenwald, Cerrado, Chaco, Chiquitania, Pantanal, Caatinga sowie die Pampa. Laut einer 2021 veröffentlichten Studie der University of Maryland betrug der Waldverlust durch direkte Flächenumwandlung für Soja zwischen 2001 und 2016 insgesamt 3,4 Millionen Hektar.

Noch größer, aber schwerer zu quantifizieren ist die vom Sojaboom ausgelöste indirekte Abholzung. Nur wenige Sojafarmer roden selbst den Wald. Statt dessen kaufen oder übernehmen sie bereits gerodetes Land von Kleinbauern oder Rinderzüchtern, die dann weiter ziehen und neue Flächen abholzen. So dienten weite Gebiete im Cerrado zuvor der extensiven Rinderhaltung, die weniger schädigende Folgen für das Ökosystem hat als der mit schweren Maschinen und hohem Pestizid- und Düngemitteleinsatz betriebene Sojaanbau.

Abholzungen erfolgen auch für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur. »Sojabohnen sind noch viel schädlicher als andere Monokulturen, denn sie rechtfertigen massive Transportinfrastrukturprojekte, die eine Kette von Ereignissen entfesseln und zur Vernichtung von Natur über weite Gebiete führen, zusätzlich zu den Flächen, die direkt dem Sojaanbau dienen«, schreibt der Wissenschaftler Philip M. Fearnside vom Amazonasforschungsinstitut INPA in seiner 2001 veröffentlichten Studie zu den Folgen der Sojabohnenexpansion. Das Agrobusiness benötige diese Infrastruktur für Verarbeitung und Abtransport der Ernte sowie für die Zufuhr von Pestiziden und Kunstdünger. »Andere Landnutzungen wie beispielsweise die extensive Rinderzucht nehmen zwar auch weite Flächen in Anspruch«, erläutert der Amazonasforscher, »sie haben aber nicht das politische Gewicht, um die Regierung zum mit öffentlichen Geldern finanzierten Bau von Wasserstraßen, Eisenbahnlinien und einem weiten Netz von Überlandstraßen zu bringen.«

Weitere Umweltfolgen sind Bodenerosion, Veränderung des natürlichen Wasserhaushalts sowie Reduzierung von Insekten, im Boden lebenden Organismen, Fischen und Krustentieren durch die eingesetzten, oft auch für die terrestrische Fauna und den Menschen schädlichen Pestizide.

Pro Hektar bringen die Sojafarmer in Brasilien im Schnitt 6,5 Kilogramm Pflanzenschutzmittel meist per Flugzeug aus: 69 Prozent davon sind Herbizide, 16 Prozent Insektizide und 15 Prozent Fungizide. Die Umweltauswirkungen dieser Giftfracht seien aber noch weitgehend unbekannt, so die Studie »Pesticide footprint of Brazilian soybeans« der schwedischen Chalmers Universität aus dem Jahr 2020.

Nicht gentechnisch veränderte Sojabohnen, die etwa zehn Prozent der Anbaufläche ausmachen, erhielten Behandlungen mit mehreren verschiedenen giftigen Herbiziden, während die Felder der Genbohnen das umstrittene Totalherbizid Glyphosat bekommen. Nahezu alle versprühten Insektizide seien toxisch für Bienen und Wasserorganismen. Laut der schwedischen Studie habe darüber hinaus der Einsatz des gerade für Süßwasserorganismen schädlichen Malathion während des Untersuchungszeitraums von 2009 bis 2018 stark zugenommen. Auch die Fungizide seien für die Wasserfauna toxisch. Darüber hinaus könnten sie genetische Mutationen und Schäden an Föten zur Folge haben. Forscher fanden bereits hohe Konzentrationen der Ackergifte, insbesondere Glyphosat, im Blut von Wildtieren und Menschen im Sojahauptanbaugebiet, dem Cerrado auf dem zentralbrasilianischen Hochplateau.

Akuter Wassermangel

Da diese Region Brasiliens wichtigstes Quellgebiet ist, sind davon ebenso die von ihr gespeisten Flusssysteme und insbesondere das Pantanal betroffen. Mit den saisonalen Regenfällen gelangt die Pestizid- und Sedimentfracht der Monokulturen in die weltgrößte tropische Überschwemmungslandschaft mit noch kaum untersuchten Folgen.

Seit Anfang dieses Jahres steht das Pantanal wie noch nie zuvor in Flammen. Es sind die schlimmsten Brände in der Geschichte dieses artenreichen Feuchtgebiets. Mehr als 4.000 Brandherde zählte das brasilianische Weltraumforschungsinstitut INPE von Januar bis Ende Juli dieses Jahres. Die meisten Feuer sind von Menschenhand gelegt, um Weide- oder Ackerland zu gewinnen oder schlicht um Müll zu verbrennen. Doch im Pantanal fehlt es Jahr für Jahr mehr an Wasser, weshalb sich die Feuer stärker ausbreiten und häufiger außer Kontrolle geraten. Auch daran ist das »Soja-Meer« Mitschuld – nicht nur der Klimawandel.

Die von den Monokulturen verursachte Bodenerosion lässt die Zuflüsse und das Pantanal verschlammen. Die Flüsse werden flacher und verändern den Wasserkreislauf, die Wasserstände sinken. Laut Daten des wissenschaftlichen Netzwerks Mapbiomas verzeichnete das Pantanal im Jahr 1985 noch eine wenigstens sechsmonatige Wasseroberfläche von 1,9 Millionen Hektar. 2023 waren es nur noch 382.000 Hektar. Ein Rückgang um mehr als 80 Prozent. Im ähnlichen Zeitraum verlor der Bundesstaat Rio Grande do Sul etwa 3,5 Millionen Hektar natürliche Vegetation während der Sojabohnenanbau in diesem Zeitraum von 1,3 Millionen Hektar auf 6,3 Millionen zulegte.

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