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Aus: Ausgabe vom 31.07.2024, Seite 1 / Inland
Wahlrechtsreform

Karlsruhe modifiziert Ampelwahlrecht

Rückkehr der Grundmandatsklausel: CSU und Linkspartei mit Urteil zufrieden. Regierung auch
Von Nico Popp
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Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Wahlrechtsreform der Ampel zunächst einmal durchkreuzt (Karlsruhe, 30.7.2024)

Mit dem vorgeblichen Ziel, eine »weitere Aufblähung« des Bundestages auf möglicherweise 800 Abgeordnete zu verhindern, hatte die Ampel nach mehrjähriger Debatte 2023 Änderungen am Bundestagswahlrecht beschlossen. Diese »Wahlrechtsreform« hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Teilen als verfassungswidrig verworfen. Insbesondere erklärten die Karlsruher Richter die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel bei gleichzeitigem Festhalten an der Fünfprozenthürde für unzulässig. Die Streichung der Überhang- und Ausgleichsmandate – mit der Folge, dass künftig ausschließlich das Zweitstimmenergebnis über die Zahl der Abgeordneten entscheidet – billigte das Gericht allerdings.

Vor allem die Partei Die Linke und die CSU, die beide in Karlsruhe geklagt hatten, verstanden die Änderungen als Angriff auf ihre parlamentarische Existenz auf Bundesebene. Vertreter beider Parteien zeigten sich in ersten Reaktionen zufrieden mit dem Urteil. Der Kovorsitzende der Linke-Gruppe im Bundestag, Sören Pellmann, sprach von einer »Klatsche für die Ampel« und ihre »unausgegorene und demokratiefeindliche Politik«. Das Wahlgesetz habe das Ziel gehabt, Linkspartei und CSU »willkürlich aus dem Parlament zu kegeln«. Die Linke werde »weiter die Partei sein, die das Grundgesetz verteidigt«. Pellmann kündigte zudem an, dass die Partei für eine Absenkung der Sperrklausel kämpfen werde; im europäischen Vergleich seien das drei Prozent.

CSU-Chef Markus Söder erklärte nach dem Urteil, die »Wahlmanipulation der Ampel« sei »entlarvt und richterlich verworfen worden«. Das Gericht habe mit der Grundmandatsklausel das »Kernanliegen« der CSU bestätigt, so der bayerische Ministerpräsident. Das Ende der Überhang- und Ausgleichsmandate sei ein »Wermutstropfen«.

Dass diese Regelung Bestand hat, reichte den Regierungsparteien am Dienstag, um ebenfalls eine Siegermiene aufzusetzen. Die Verkleinerung des Bundestages sei »vollbracht und verfassungsgemäß«, jubelte etwa der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Francisco H. aus Gießen (31. Juli 2024 um 17:50 Uhr)
    Angenommen, meine Wenigkeit entschlösse sich, zur nächsten Bundestagswahl als Direktkandidat anzutreten. Falls ich nun überraschenderweise die Stimmenmehrheit bekäme, wäre mir doch nach dem neuen Wahlrecht kein Mandat mehr sicher. Das heißt, es wird die absolute Dominanz der Parteien in der Politik betoniert. In einem Zitat auf lto.de aus der Urteilsbegründung heißt es: »Interessant vor allem die Ansicht, es sei ›verfehlt‹, Wahlkreisabgeordnete als Delegierte ihres Wahlkreises anzusehen. Schließlich seien alle Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) Vertreter des ganzen Volkes und dabei keinem Auftrag, sondern allein ihrem Gewissen unterworfen.« Schön, wenn es mit dem Gewissen so wäre, aber wir erinnern uns mit Schrecken, wie seinerzeit Merkel »den Fraktionszwang (!) aufhob«, als es um die Abstimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe ging – ein prominentes Beispiel, wenn man »Fraktionszwang« googelt. Ansonsten werden in der real existierenden bundesrepublikanischen Demokratie abhängige Listenplatzschranzen mehr oder weniger sanft von den Parteioberen auf Kurs gebracht. Meines Erachtens ein schwarzer Tag für die – verbal so strapazierte – Demokratie.