75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Dienstag, 17. September 2024, Nr. 217
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 31.07.2024, Seite 4 / Inland
IS-Prozess in Düsseldorf

Zelle mit internationalen Verbindungen

NRW: Verdächtige aus Zentralasien wegen IS-Unterstützung vor Gericht. Offenbar Kontakte in Türkei
Von Philip Tassev
Beginn_Staatsschutzv_82941797.jpg
Soll den russischen Angriff genutzt haben, um aus der Ukraine in die BRD zu gelangen: Einer der Angeklagten am Dienstag in Düsseldorf

Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat am Dienstag der Prozess gegen sieben mutmaßliche Mitglieder der dschihadistischen Organisation »Islamischer Staat« (IS) begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft den aus Zentralasien stammenden Männern im Alter von 21 bis 47 Jahren – fünf tadschikische, ein kirgisischer und ein turkmenischer Staatsbürger – vor, in der BRD eine IS-Zelle aufgebaut zu haben, um gemeinsam mit einem in den Niederlanden Beschuldigten in Westeuropa »öffentlichkeitswirksame Anschläge im Sinne des IS« zu verüben.

Die Beschuldigten waren im Juli 2023 festgenommen worden und sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Konkrete Anschlagspläne habe es nicht gegeben. Sechs der Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft außerdem »Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung« vor, nämlich des IS-Ablegers »Islamischer Staat – Provinz Khorasan« (ISPK). Sie sollen mehrere tausend Euro an die Gruppe überwiesen haben, die ein islamisch-fundamentalistisches Kalifat auf dem Gebiet der historischen Region Khorasan, die Teile des Irans, Afghanistans, Turkmenistans, Usbekistans und Ta­dschikistans umfasst, errichten möchte. Die sieben Angeklagten hätten sich laut Staatsanwaltschaft bis zum Frühjahr 2022 in der Ukraine aufgehalten und seien kurz nach dem russischen Einmarsch in die BRD ausgereist. Das Gericht hat für den Prozess 45 Verhandlungstage angesetzt.

Einer gemeinsamen Recherche von SWR und BR zufolge sollen die Angeklagten auch Verbindungen in die Türkei unterhalten haben. Mit dem IS-Chef in der Türkei hätten die Angeklagten im telefonischen Kontakt gestanden. In der BRD eingenommene Gelder sollen sie über Finanzdienstleister wie Western Union nach Istanbul transferiert haben, wo der ISPK gut organisiert ist. Des weiteren hätten einige der Beschuldigten Diebesgut in die Türkei geschmuggelt, die Erlöse seien direkt in die Kassen des ISPK geflossen. Die Gelder seien dazu genutzt worden, gefälschte Pässe für IS-Kämpfer zu besorgen und gefangene IS-Angehörige im nordostsyrischen Lager Al-Hol zu unterstützen. Auch die beiden Attentäter, die am 28. Januar das Feuer auf Besucher der Sonntagsmesse in der Marienkirche im Istanbuler Stadtbezirk Sarıyer eröffneten, sollen von den in Düsseldorf Angeklagten finanziert worden sein. Bei dem Angriff war ein Kirchengänger erschossen worden.

Der »Islamische Staat – Provinz Khorasan« ist einer der aktivsten Zweige des IS, der in seinen einstigen Machtzentren in Syrien und im Irak weitgehend zerschlagen wurde. Von seinen Basen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet verübte er seit 2015 Hunderte Anschläge, vor allem in Afghanistan, die sich hauptsächlich gegen Schiiten und Einrichtungen der afghanischen Kollaborationsregierung und der westlichen Besatzer richteten.

Seit dem überstürzten Abzug der westlichen Truppen im August 2021 kämpft der ISPK auch gegen die neue Taliban-Regierung um die Macht im Land. Auf das Konto des ISPK gehen neben den zahlreichen Anschlägen in Afghanistan und einigen Attentaten in Pakistan auch Angriffe außerhalb seiner ursprünglichen Operationsbasis. Im April und Mai 2022 feuerten ISPK-Kämpfer zumindest laut Eigendarstellung mehrere Raketen auf Ziele in Usbekistan und Tadschikistan ab.

Große internationale Aufmerksamkeit erregten die Anschläge im Iran und in Russland: Am 3. Januar sprengten sich in Kerman inmitten einer Menge von Trauernden am Grab des Generals Kassem Soleimani zwei Attentäter in die Luft und rissen über 100 Menschen mit in den Tod. Zweieinhalb Monate später wurden beim Massaker in der »Crocus City Hall« in Krasnogorsk bei Moskau 145 Konzertbesucher getötet. Für beide Anschläge übernahm der ISPK die Verantwortung. Sowohl die Selbstmordattentäter von Kerman als auch die vier Schützen in der Crocus Hall wurden von den iranischen bzw. russischen Behörden als tadschikische Staatsbürger identifiziert.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Konferenz im »Astana-Format« der Verteidigungsminister Russlands...
    26.04.2023

    Normalisierung in Aussicht

    Damaskus und Ankara nähern sich an. Verteidigungsminister treffen sich in Moskau, Abzug ausländischer Truppen aus Syrien gefordert
  • Partnerschaft auf Augenhöhe? Die Kämpfer der kurdischen YPG erfr...
    13.11.2017

    Great Game

    In Syrien wie im ­gesamten Nahen Osten ringen Regional- und Großmächte um Einfluss. Die Position der USA ist dabei ­schwächer geworden
  • Chinas Initiative einer »Neuen Seidenstraße« sieht den Bau von 8...
    07.03.2016

    Handel statt Krieg

    Im Rahmen der Initiative »Ein Gürtel – eine Straße« kommt Chinas Zentralasienpolitik besondere Bedeutung zu. Die Region entlang der alten Seidenstraße steht damals wie heute im Visier ­geopolitischer Interessen der USA