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Aus: Ausgabe vom 02.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Klinik Service GmbH (KSG)

41 Tage Streik in Erlangen

Seit einem Jahr kämpfen Servicebeschäftigte an der Uniklinik Erlangen für höhere Löhne und gegen Repressalien gegenüber streikenden Kollegen
Von Hendrik Pachinger
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Tarifflucht stoppen: Sommerlicher Protest engagierter Gewerkschafter im fränkischen Erlangen

Am Uniklinikum Erlangen sind die Fronten verhärtet. Seit gut einem Jahr kämpfen die Beschäftigten der Klinik Service GmbH (KSG) für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Mittlerweile haben sie 41 Tage gestreikt, zuletzt am Montag und Dienstag. Die KSG ist seit ihrer Gründung vor fast 20 Jahren am Uniklinikum in Erlangen für Aufgaben wie Reinigung, Stationsservice, Sterilisation, Logistik oder Spülküche zuständig. Die Gründung von auslagerten Servicegesellschaften war seit den neunziger Jahren und um die Jahrtausendwende ein beliebtes Mittel, das Kliniken und anderen öffentlichen Einrichtungen von Beraterfirmen wie McKinsey empfohlen wurde. Meist befinden sich die Gesellschaften vollständig in der Hand der Kliniken, manchmal sind es Konsortien mit Beteiligung privater Unternehmen. Dies ist auch im Fall der KSG so, die zu 51 Prozent dem Uniklinikum selbst gehört. Die restlichen 49 Prozent besitzen zu gleichen Teilen die Firmengruppen Sodexo und Dorfner-Gruppe. Das französische Konglomerat Sodexo ist der weltweit größte Anbieter derartiger Serviceleistungen und hatte 2023 einen Umsatz von über 21 Milliarden Euro. Die Dorfner-Gruppe wiederum ist ein deutsches Unternehmen mit Sitz in Nürnberg, sie erwirtschaftete 335 Millionen Euro, u. a. mit Beteiligungen an diversen Klinikgesellschaften.

Ausgliederung mit System

In diesen Gesellschaften wurden die Beschäftigten mit neuen Verträgen eingestellt, für die nicht mehr etwa der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) gilt, sondern günstigere Verträge der Servicedienstleistungen. In der KSG orientiert sich die Bezahlung am Branchenmindestlohn für Gebäudereiniger. Mit 13,50 Euro ist der gerade einmal 1,09 Euro über dem gesetzlichen Mindestlohn. Im TV-L hingegen sind die Stundenlöhne deutlich höher, Berufserfahrung wird in Stufen anerkannt. Hinzu kommen weitere Vergünstigungen und Prämien. Die für 2024 und 2025 erzielten Einigungen des TV-L sehen neben einem Inflationsausgleich von 3.000 Euro eine Sockelerhöhung für alle Entgeltgruppen um 200 Euro und 5,5 Prozent mehr Lohn im Jahr 2025 vor. Für die Beschäftigten geht es also um viel Geld, das ihnen vorenthalten wird.

Und es geht um noch mehr. Denn die Frage nach dem Tarifvertrag war selbst bereits ein Politikum. Während sich die KSG mit ihrer geringen Personalfluktuation brüstete und auf den seit Gründung bestehenden Betriebsrat verwies, verneinte sie gleichzeitig die Zuständigkeit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die die Arbeitskämpfe organisiert. Mit dieser Argumentation versuchte das Unternehmen mehrfach vergeblich, Warnstreiks gerichtlich verbieten zu lassen. Bei einer Urabstimmung im April haben sich 81,1 Prozent für den unbefristeten Arbeitskampf entschieden. Doch die Blockadehaltung der KSG hat sich dadurch nur verhärtet.

Schikane von der Gegenseite

Auch nach 41 Streiktagen ist die Geschäftsführung der KSG weiterhin nicht auf die zahlreichen Verhandlungsaufforderungen der Gewerkschaft eingegangen und hat keinerlei Angebot vorgelegt. Im Gegenteil haben streikende Arbeiter gegenüber jW von sich häufenden Schikanen berichtet. Seit Beginn des Arbeitskampfes im August 2023 ist zehn streikenden Kollegen fristlos gekündigt worden. Eltern mit Kindern, die deshalb immer für Frühdienste eingeteilt waren, seien auf einmal für Spätdienste eingetragen. Angestellte, die auf Wochenend- und Feiertagszuschläge angewiesen sind, bekämen diese Schichten nun nicht mehr. Beweisen lässt sich eine repressive Absicht bei den neuen Schichtplänen nur schwerlich, da es keinen betrieblichen Anspruch auf bestimmte Schichten gibt, die besonders attraktiv sind. Allerdings ist Verdi zufolge die Anwaltskanzlei »Schreiner & Partner« involviert, die im Ruf steht, sich auf die Zerschlagung von Gewerkschaften und Betriebsräten spezialisiert zu haben. Einschüchtern lassen wird man sich davon aber nicht, wie Verdi-Sekretär Martin Schmalzbauer gegenüber jW berichtet. Der Kampfeswille der Streikenden sei ungebrochen, die Beschäftigten hätten schließlich mehr verdient und wollten der Geschäftsführung das ungewohnt skrupellose Vorgehen nicht durchgehen lassen.

Schluss mit dem Outsourcing

Die Frage nach dem angemessenen Tarifvertrag hat auch schon andere Servicegesellschaften beschäftigt. So erkämpften die Beschäftigten der ehemaligen KNSG am Klinikum Nürnberg 2021 ihre Wiedereingliederung in das Klinikum und den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD). Das Ergebnis wurde bundesweit verfolgt. Seit diesem Jahr wird die Lohnlücke geschlossen. Kollegen mit alten TVöD-Verträgen von vor der Ausgliederung erhielten teilweise für die gleiche Arbeit 1.000 Euro mehr als die Kollegen, die neu eingestellt wurden.

Ende Juni erreichte Verdi einen Etappenerfolg, als sie sich mit der Unternehmerseite für die Servicegesellschaft der Universitätsklinik Regensburg (KDL) auf Eckpunkte einigte. Dazu gehört die 100prozentige Angleichung des Entgelts an den Tarifvertrag der Länder bis Anfang 2027. Die Angleichung an das TVL-Niveau erfolgt in mehreren Schritten. Die ersten Entgeltsteigerungen sollen zum 1. Oktober 2024 erfolgen. Auch die derzeit geltende 40-Stunden-Woche wird in zwei Etappen bis 2027 um 1,5 Stunden auf 38,5 Stunden verkürzt und an die Arbeitszeiten in den Universitätskliniken angeglichen. Dennoch ist vieles noch offen. Etwa bei der Jahressonderzahlung oder der Altersversorgung. Nicht ausgeschlossen, dass die Beschäftigten dafür noch einmal werden streiken müssen.

Verdi hofft, dass nun auch die Servicegesellschaften der Unikliniken in Erlangen und Würzburg, wo ebenfalls gekämpft wird, ihre Blockadehaltung aufgeben: »Es geht um die Angleichung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen an die Bedingungen in den Mutterhäusern. Es muss Schluss sein mit Dumpinglöhnen im öffentlichen Auftrag, zumal an den Universitätskliniken«, erklärte ­Robert Hinke von Verdi Bayern. (jW)

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