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Aus: Ausgabe vom 02.08.2024, Seite 5 / Inland
Berliner Haushalt

Behördenpingpong im Haushaltsloch

Lücke in Berliner Finanzplanung wird durch voraussichtlich sinkende Steuereinnahmen wachsen
Von Alexander Reich
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Gewitterwolken über der Bundeshauptstadt: Landespolitiker können nicht haushalten (Berlin, 26.3.2018)

Die Berliner CDU-SPD-Landesregierung steuert mit Karacho auf einen Abgrund zu. Denn das Haushaltsloch, das sich vor ihr auftut, wird größer und größer: Im laufenden Jahr muss die Verwaltung bereits 600 Millionen Euro einsparen. »Pauschale Minderausgaben« in dieser Höhe hat der Senat in den Haushalt eingestellt. Wo das Geld nicht eingespart werden kann, steht fest.

Am Ende muss bei öffentlichen Aufgaben gekürzt werden, etwa bei Hochschulen, Verkehrsdienstleistern, aber vor allem sozialen Trägern, die die Grundversorgung gewährleisten. Weil die Zuwendungen für Caritas und Co. dabei längst schon zu niedrig sind, um noch das Nötigste zu gewährleisten, gab es zuletzt Anfang November eine große Protestkundgebung vor dem Abgeordnetenhaus. Bereits jetzt können viele Einrichtungen die Mieten für ihre Räume nicht mehr bezahlen, für stetig steigende Anforderungen gibt es zudem immer weniger Beschäftigte – und derlei Probleme mehr.

Was die Lage noch dramatischer macht: Das 600-Millionen-Euro-Loch ist recht klein im Vergleich zu dem des kommenden Jahres. Für 2025 wurde das Defizit lange auf etwa drei Milliarden Euro geschätzt. Dann wurde mit Veröffentlichung des Zensus 2022 Ende Juni amtlich, dass in Berlin deutlich weniger Menschen leben als angenommen. Die Folge: Jährlich erhält die Stadt 550 Millionen Euro weniger aus dem Länderfinanzausgleich.

Als wäre das nicht genug, verkündete der Tagesspiegel Anfang dieser Woche unter Berufung auf die Berliner Finanzverwaltung zusätzliche Mindereinnahmen von jährlich etwa 450 Millionen Euro durch von der Bundesregierung beschlossene Steuersenkungen. Das Kabinett hatte in der vergangenen Woche einen Gesetzentwurf beschlossen, mit dem Einkommensteuertarife, Grund- und Kinderfreibeträge angehoben werden sollen. Das führt zu niedrigeren Steuereinnahmen auch im schon mehr als klammen Berlin. Dort liegt das Defizit für 2025 nun also schon bei vier Milliarden Euro. Wer weiß, was noch kommt. Ein Sozialkahlschlag scheint programmiert.

Für Berliner Grundschulen soll es bereits kein kostenfreies Schulessen mehr geben. Nun zeigten Vergleichsarbeiten bundesländerübergreifender Tests (Vera), dass knapp die Hälfte der Berliner Drittklässler den Mindeststandard beim Lesen und Rechnen schon jetzt nicht erreichen konnte, berichtete der RBB am Mittwoch. Bei Achtklässlern waren demnach sogar 74 Prozent der Schüler an Mindestanforderungen in Mathe gescheitert, beim Lesen 62 Prozent. Mit leerem Magen werden sie wohl nicht besser lernen. Noch Ende Juni hatte die Gewerkschaft GEW die Berliner Lehrkräfte zum Streik für kleinere Klassen und einen Gesundheitstarifvertrag aufgerufen. Der Senat trage eindeutig die Verantwortung für das fehlende Personal an Schulen, hatte die Gewerkschaft dabei kritisiert.

Während der haushaltspolitische Sprecher der Linke-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Schlüsselburg, einen Kassensturz und einen Nachtragshaushalt forderte – »Die Hinterzimmerpolitik von CDU und SPD muss beendet werden!« –, warnten Personalräte der Verwaltung eindringlich vor Stellenabbau und steigender Arbeitsbelastung. In einem Brief an Senat und Abgeordnetenhaus, der am Mittwoch dem RBB vorlag, wird »jede Form von finanziellen Einsparungen zulasten des Personals« abgelehnt.

Berlin sei wieder »pleite«, beginnt das an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) adressierte Schreiben. Die personelle Ausstattung in Behörden sei in den vergangenen Jahren »zu keinem Zeitpunkt auskömmlich« gewesen. Viele Beschäftigte arbeiteten bereits »im ständigen Zustand der Überlastung«, was die hohe Krankenquote im öffentlichen Dienst erkläre. Das Personal trage aber keine Verantwortung für das »typische Berliner Behördenpingpong«.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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