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Aus: Ausgabe vom 02.08.2024, Seite 10 / Feuilleton
Konsum

Leerer Tempel

Am Mittwoch schloss nach beinahe 30 Jahren in Berlin-Mitte die erste Auslandsdependance der französischen Kaufhausfirma Galeries Lafayette
Von Gisela Sonnenburg
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Ganz oben war schon alles zu. Die Stühle vom Café im Untergeschoss: hinter Baustellenband gestapelt. Kuchen? Ab sofort nur noch zum Mitnehmen. Ein Kaufhaus als Exkaufhaus: Wenige Tage vor seiner endgültigen Schließung am 31. Juli war das französische Luxuskaufhaus Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße bereits fast tot.

Wände, die früher vor adrett dekorierter Ware nur so strotzten: nun surreal leer. Hier und da noch Schaufensterpuppen – nackt wie Gott oder wer auch immer sie schuf. Deckenhohe Regale protzten mit Hochwertigkeit. Das Nichts hätte keinen Makel verdeckt. In der Schuhabteilung lagen noch Paare herum; sie haben den meisten Kundinnen wohl nicht gepasst. Zwei BHs mit Spitzeneinsatz, drei Bikinis: die Reste der legendären Lingerieabteilung. Ein tailliertes Jäckchen, zwei Trenchcoats. Tee und Gläser gab es noch, kurz vorm Ausgang zum Quartier 205. Wo ebenfalls der Leerstand triumphiert.

Die Stimmung: trostlos. Man kann kaum fassen, dass dieser Konsumtempel verschwand. An frustrierten Tagen genügte allein das Flanieren hier für gute Laune. Schnäppchen hielten die Freundschaft aufrecht. Mal gab es eine Mütze, dann einen herabgesetzten Rock mit Blumenmuster. Im Notfall holländische Haribo.

Tishman Speyer ist schuld. Der reiche New Yorker kaufte 2022 die Immobilie, die die französische Kaufhausfirma gepachtet hatte. Speyer weigerte sich, den auslaufenden Vertrag zu verlängern. Das Kaufhaus bot an, mehr Pacht zu zahlen. Die Geschäfte liefen ja gut, es drohte keine Pleite wie deutschen Kaufhäusern. Speyer lehnte ab. Man rätselte, wieso.

Dann kam Berlins Kultursenator. Er will hier die Landesbibliothek plazieren. Nun arbeiten Wissenschaftler heute meistens digital. Die hohe Miete in bester Lage dürfte da überzogen sein. Es wird wohl auch nichts damit. Aber für die kommenden Kriege ergibt das Vertreiben des Kaufhauses durchaus Sinn. Kaufhäuser haben große Keller: optimale Bunker. Ein leeres Kaufhaus wird überhaupt ein toller Militärstützpunkt. Mit Abwehrsystem auf dem Dach.

400 Sirenen bestellte der Kanzler für Berlin. Der Gendarmenmarkt in Sichtweite, der wird umgebaut und rundum barrierefrei. Gut für Panzer und Haubitzen. Rollstühle kamen im südlichen Teil auch vorher auf den Platz. Aber jetzt wird hier die Unterkellerung ausgebaut. Wofür, wird nicht gesagt.

Noch ein Luxusladen der Gegend schließt am Jahresende: Das Hotel »Regent’s«, gerade erst zu »Germany’s Leading Hotel« gekürt. Hier wurde die Pacht abstrus erhöht. Spekulantenkalkül. Große Kellerräume und freie Dächer sind im Kriegsfall eben heißbegehrt.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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