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Aus: Ausgabe vom 02.08.2024, Seite 12 / Thema
Weimarer Republik

Wegbereiter der Diktatur

Vor 90 Jahren starb Paul von Hindenburg. Hinter dem Generalfeldmarschall und nachmaligen Reichspräsidenten versammelte sich eine »Einheitsfront der Reaktion« zur Zerstörung der Republik
Von Erhard Korn
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Von den reaktionären Gegnern der Weimarer Republik zur Lichtgestalt erhöht, war Paul von Hindenburg als Militär wie als Politiker bestenfalls eine mediokre Figur (Aufnahme von 1917)

Vor 110 Jahren, im Juli 1914, drängte die deutsche Militärführung Österreich zum Krieg gegen Serbien und zielte so auf einen Präventivkrieg gegen das noch nicht kriegsbereite Russland.¹ Am 28. Juli erklärte Österreich Serbien den Krieg, am 1. August Deutschland Russland. In seiner berüchtigten Thronrede beklagte der deutsche Kaiser am 4. August einen wohlgeplanten feindlichen Überfall und mobilisierte für einen Verteidigungskrieg. Am selben Tag rückten preußische Truppen ins neutrale Belgien ein. In einem Blitzkrieg sollte nun Frankreich im Westen besiegt, danach sollten die Kräfte im Osten konzentriert werden.

Mythos Tannenberg

Zwei vorrückende russische Armeen lösten im August 1914 im kaiserlichen Hauptquartier Panik aus. Der draufgängerische und strategisch ambitionierte Erich Ludendorff sollte die Situation retten, da man ihm aber noch kein Oberkommando übertragen konnte, wurde ihm der als phlegmatisch geltende General Hindenburg beigegeben. Am Sieg über die anrückenden russischen Armeen hatte Hindenburg keinen Anteil, die bei seinem Eintreffen fertiggestellten Planungen von Oberstleutnant Max Hoffmann und Erich Ludendorff nickte er nur ab. Auf seinen Wunsch firmierte die katastrophale Niederlage der zerstrittenen russischen Generäle als »Schlacht bei Tannenberg«, als Revanche für die Niederlage des Deutschen Ritterordens von 1410, als »Sieg über die slawischen Raubmassen«.² Angesichts des gescheiterten Vormarschs im Westen richteten sich nun »die Hoffnungen der Nation« nach Osten. Als »Befreier Ostpreußens« und »Russenschreck« wurde Paul von Hindenburg propagandistisch »zum Heros des deutschen Wehrgeistes« aufgebaut.³

Paul von Hindenburg und von Beneckendorff war keineswegs ein Spross des preußischen Militäradels, der traditionell das Offizierskorps stellte. Schon mit elf Jahren musste Hindenburg die eher bescheiden lebende Familie verlassen und sich der Zucht einer Kadettenanstalt unterwerfen. Als junger Leutnant dufte er 1871 im Spiegelsaal von Versailles an der Kaiserkrönung teilnehmen, stieg dann unspektakulär zum General auf und wünschte sich vergeblich, noch einmal als Sieger durchs Brandenburger Tor zu reiten. 1911 hatte er mit 64 Jahren seinen Abschied genommen. Auch der erhoffte Ruhestand als Gutsherr des Familienguts blieb dem landlosen Landedelmann zunächst versagt. Erst 1927 wird »das deutsche Volk« dem Präsidenten nach einer von den ostelbischen Junkern angeregten Spendenaktion bei Großindustrie und Kriegervereinen das gepfändete Familiengut zum 80. Geburtstag schenken, 1933 erhielt er vom preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring noch das Nachbargut.

Das Hindenburg–Programm

Der vergebliche Versuch, an der Westfront wieder in die Offensive zu kommen, kostete vor Verdun etwa 400.000 deutsche Soldaten das Leben, weitere Hunderttausende starben in der englischen Gegenoffensive an der Somme. Gleichzeitig zeigte die Demonstration vom 1. Mai 1916, auf der Karl Liebknecht ausrief: »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!«, eine wachsende Unruhe unter der arbeitenden Bevölkerung.

Hindenburg und Ludendorff wurden nun als Chefs der Obersten Heeresleitung (OHL) eingesetzt und mit diktatorischen Kompetenzen ausgestattet. Hindenburgs Nimbus als »Vaterfigur« vertrauten noch weite Teile der Bevölkerung. Durch ein zentrales Kommando und die totale Ausrichtung des Landes auf den Krieg erhoffte sich die OHL einen Siegfrieden. Ludendorff sprach später vom »totalen Krieg«, und Goebbels griff diesen Slogan 1943 bei seiner berüchtigten Rede im Sportpalast nicht zufällig wieder auf. Die Wirtschaft wurde einer zentralen Planung unterworfen, beginnend mit der Bewirtschaftung von Lebensmitteln und Rohstoffen. Die Ebenen des Staats, des Militärs und der Unternehmensführungen verschmolzen.

Architekt dieses im Volksmund »Hindenburg-Programm« genannten Konzepts war der württembergische General Wilhelm Groener, Leiter des Kriegswirtschaftsamts. Er registrierte die zunehmende Unruhe, die sich in Russland im Februar 1917 mit dem Sturz des Zaren und im April mit den ersten großen Metallarbeiterstreiks in Berlin zeigte. Gegen die Streikenden ließ Groener ein Plakat anschlagen: »Unser Heer braucht Waffen und Munition! Wer wagt es, dem Rufe Hindenburgs zu trotzen? Ein Hundsfott, wer streikt, solange unsere Heere vor dem Feinde stehen.«⁴ Groener band aber auch die Führungen der Gewerkschaften zur Beendigung der Streiks ein, um »deren Einfluss auf die Massen für den Fall revolutionärer Unruhen zu stärken«, berief sie in die zentralen Lenkungsgremien und bildete Schlichtungsausschüsse und Betriebsausschüsse. Die Gewerkschaftschefs sahen darin Schritte zur Demokratisierung, ja eine Art »Kriegssozialismus«.

Als Groener plante, gegen »die ungehemmte Raffgier zahlloser Kriegsgewinnler« vorzugehen, die die Opferbereitschaft des Volkes und der Front lähme, setzte ihn Hindenburg nach einem »Kesseltreiben« der »rheinisch-westfälischen Großindustrie« kurzerhand ab.⁵ Hindenburg und Ludendorff wollten Streikende – »Landesverräter und Terroristen« – lieber durch den Einsatz des Heeres bekämpfen, was allerdings dem kaiserlichen Kriegsminister noch als undenkbar erschien, anders als seinem sozialdemokratischen Nachfolger 1919.⁶

Im Zuge der Novemberrevolution konnte Groener als Nachfolger Hindenburgs seine Bündnispolitik mit dem »Groener-Ebert-Pakt« fortsetzen. Zunächst aber kommandierte er als Chef der Heeresgruppe Kiew den Eroberungszug im Osten. Die baltischen Länder, weite Teile Weißrusslands und der Ukraine sollten zu einer Art ein »Imperium Germaniae« werden, nicht nur um »angesichts steigender Knappheit das reiche landwirtschaftliche und industrielle Potential Südrusslands zu sichern«⁷, sondern, so Ludendorff, um einen riesigen Siedlungsraum zu schaffen als »Zuchtstätte für Menschen, die für weitere Kämpfe nach Osten nötig sind«. Die Krim sah man schon als »deutsche Riviera«, praktischerweise mit dem Flottenstützpunkt Sewastopol als Ausgangspunkt für eine weitere Osterweiterung.

Hindenburg setzte mit dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg ab dem 1. Januar 1917 eine »Abenteuerpolitik« durch, die zum Kriegseintritt der USA und damit letztlich zur Kapitulation führte. Der warnende Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg wurde im April auf Druck von Hindenburg abgesetzt, Vorschläge eines demokratischen Parteienblocks im Reichstag für einen »Frieden der Verständigung« ohne »erzwungene Gebietserwerbungen« als defaitistisch beiseite geschoben. Die Räumung des neutralen Belgiens, das von England als Pufferstaat angesehen wurde, lehnte Hindenburg brüsk ab und versprach den zögernden Abgeordneten einen Frieden der Stärke. Im Frühling 1918 mobilisierten Hindenburg/Ludendorff die letzten Kräfte für eine Offensive, die nach wenigen Wochen steckenblieb und im Sommer durch die Gegenoffensive in eine verheerende Niederlage mündete. »Ludendorff hat das letzte Spiel gewagt und hat es verloren«, kommentierte Groener.

Ludendorff bekundete nun, dass der Krieg »militärisch nicht mehr zu gewinnen sei und es Aufgabe der Politik sei, ihn zu beendigen«. Damit schob die OHL die Verantwortung für den Zusammenbruch der völlig überrumpelten Regierung zu, die sie über die tatsächlichen Kräfteverhältnisse getäuscht hatte. Die Regierung versuchte, sich durch eine Parlamentarisierung eine neue Basis zu schaffen. Max von Baden wurde »Prinzkanzler« und holte liberale und sozialdemokratische Vertreter ins Kabinett – zu spät, um die Revolution noch aufhalten zu können.

Der Pakt

Die Revolution begann mit der Meuterei der Matrosen in Kiel. Der Kaiser verkündete noch am 8. November 1918 großspurig, er denke nicht daran, wegen »der paar 100 Juden und der 1.000 Arbeiter« den Thron zu verlassen. Er werde »die Antwort mit Maschinengewehren auf das Pflaster schreiben lassen, auch wenn er sein eigenes Schloss beschießen lassen müsste«. Aber der OHL fehlten angesichts der vordringenden Alliierten und der ausgedünnten Heeresverbände die Möglichkeiten, die Unruhen niederzuschlagen.

Hindenburg berief nun, nicht ohne Gespür, Wilhelm Groener, der zudem aus der Ukraine die Dynamik revolutionärer Bewegung kannte, als Nachfolger Ludendorffs, und unterstützte dessen Alternativplan zur Verhinderung einer sozialen Revolution: »Angesichts der Gefahr des Bolschewismus bleibe nur der Versuch, dass die Führer des Heeres ein Bündnis mit den führenden Mehrheitssozialdemokraten suchten, um die gefährlichen ›Radikalinskis‹ der äußersten Linken unschädlich zu machen und schließlich bei einem Wiedererstarken der militärischen Machtmittel die sozialistische Bewegung ganz abzuwürgen.«⁸

Am 8. Dezember schrieb der Feldmarschall an Friedrich Ebert, »in diesem Sinne habe ich mich mit Ihnen verbündet für den ›Neuaufbau des Reichs‹ und bin bereit, und mit mir das ganze Heer, Sie rückhaltlos zu unterstützen«. In einem historisch gewordenen Telefongespräch hatten zuvor Ebert und Groener in der Nacht vom 9. auf den 10. November ihren Pakt geschlossen, den Hindenburg am nächsten Morgen abnickte. Ebert stimmte darin dem »Erhalt des Offizierskorps in seiner Geschlossenheit und Autorität« zu, also der Ausschaltung der Soldatenräte. Beschlüsse der Arbeiter- und Soldatenräte zur Schaffung einer »Volkswehr« konnte Ebert, der jeden Abend mit Groener telefonierte, »abbiegen«. Ebert, von Max von Baden als kaiserlicher Reichskanzler eingesetzt, war seit dem 9. November eigentlich nur Mitglied des Rates der Volksbeauftragten. Mit Unterstützung des Militärs und der Ministerialbürokratie, der Partei und der Gewerkschaftsführung agierte er allerdings wie ein Kanzler und drängte die Volksbeauftragten der USPD bald aus der Regierung.

Nach dem Vertrag von Versailles trat Hindenburg mit 72 Jahren zum zweiten Mal in den Ruhestand. Eine Flut von Feiern und Reden, Büchern und Artikeln pflegte das Ansehen der »Heldengestalt«. Kindern, die ihm das Deutschland-Lied vortrugen, prophezeite er, sie würden noch »die herrlichen Zeiten des großen Krieges erleben« und siegreich in Paris einziehen.⁹

Der zaghafte Versuch des Reichstags, ihn als Zeugen zu den Hintergründen des uneingeschränkten U-Boot-Krieges befragen zu lassen, geriet zur Farce: Ehrfürchtig erhoben sich alle bei Hindenburgs Erscheinen. An den Schluss seiner Verteidigung setzte er ein erfundenes Zitat eines englischen Generals: »Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.«¹⁰ Dem wiedererstarkten Nationalismus lieferte er so die wichtigste Propagandaformel.

Vater des Vaterlands

Auf den neuen Reichspräsidenten Friedrich Ebert gingen nun die weitreichenden Kompetenzen des Kaisers über, die Befehlsgewalt über die bewaffnete Macht, die Einsetzung des Kanzlers und vor allem die Notstandsbefugnisse nach Artikel 48, mit denen Ebert 1923 die linken Landesregierungen in Thüringen und Sachsen mit Hilfe der Reichswehr absetzen ließ. Groener behauptete später, Ebert den Gebrauch von Macht gelehrt zu haben – als sicher darf gelten: Er hat ihn darin unterstützt.

Als Hindenburg Ebert 1925 als Reichspräsident nachfolgte, ermöglichten ihm die Amtskompetenzen eine schrittweise Aushöhlung der Demokratie ohne Verletzung der Weimarer Verfassung. Vor der Beteiligung an putschistischen Abenteuern hatte ihn Groener gewarnt. Der Kapp-Putsch 1920 habe gezeigt, dass eine gemeinsame Gegenwehr der Arbeiterbewegung eine Dynamik entwickeln könne, die die Eigentumsordnung und den militärischen Machtapparat gefährde. Die »Hindenburg-Groener-Linie« (Wolfgang Ruge) setzte daher auf die Schaffung einer »Einheitsfront der Reaktion«, die 1925 überhaupt erst Hindenburgs Sieg im zweiten Wahlgang ermöglichte. Dabei war Hindenburg überzeugt, »dass der Parlamentarismus ein baldiges Ende nehmen müsste«¹¹, aber eben durch eine »reaktionäre Realpolitik«.

»Gegen den Lärm seiner Klasse« (Emil Ludwig) unterstützte er den nationalen Außenminister Gustav Stresemann, der dem Reich durch geschicktes Taktieren den Abzug von Besatzungstruppen im Rheinland und eine Reduzierung der Reparationen von 120 auf drei Milliarden Reichsmark, die dann auch nie bezahlt wurden, aushandelte. Mit dem rechten Zentrumspolitiker Heinrich Brüning begann ab 1930 die Reihe der Präsidialregierungen, die in der Notlage nach der Weltwirtschaftskrise soziale Kürzungen durchsetzen und die Arbeiterklasse pauperisierten. Hindenburg ließ damals verkünden, dass »das Volk in dieser Notzeit eine durch keine Abhängigkeit von Parteien gebundene Regierung brauche«. ¹² Nur noch dem Reichspräsidenten sollten die Minister verantwortlich sein. Insbesondere die Reichswehr betrachtete Hindenburg als sein Terrain und hatte schon 1928 Groener zum Reichswehrminister ernannt. Der von Hindenburg und Groener vorangetriebene Bau des Panzerkreuzers A, der 1931 vom Stapel lief, wurde zum Symbol eines deutschen »Wiederaufstiegs« und einer neuen Aufrüstungspolitik. Nach innen betrieb Hindenburg mit viel Pomp die Militarisierung der Gesellschaft. Universitäten und Schulen wurden in diesem Sinn ausgerichtet, Kriegsgegner entlassen, Vereine und nationale Feiern propagierten Wehrbereitschaft, kritische Medien wurden verboten.

1932 wurde Hindenburg mit 53 Prozent der Stimmen gegen Hitler mit 37 Prozent erneut gewählt, unterstützt von Kanzler Brüning, den Hindenburg einen Monat später fallen ließ, und der SPD, die vorgab, so Hitler verhindern zu können. Der klassenbewusste Hindenburg warf Brüning vor, er habe »den Adel zurückgesetzt. Das geht ja nicht«. In einem bescheidenen Siedlungsprojekt in Ostpreußen sah der frischgebackene Gutsherr schon den »Agrarbolschewismus« heraufdämmern.¹³

Reichskanzler Kurt von Schleicher, Hindenburgs Vertrauensmann in der Reichswehrführung, suchte nach Wegen einer Querfront von NSDAP bis ADGB und scheiterte schließlich als Kanzler bei dem Versuch ein solches Bündnis zu schmieden. Als Schleicher zuließ, dass der Rechnungshof bei der Aufdeckung des »Osthilfeskandals«, bei dem sich der Großgrundbesitz auf Kosten der Kleinbauern saniert hatte, auch die Familie Hindenburg belasten könnte, ließ ihn Hindenburg fallen.

Mehr und mehr setzte Hindenburg auf Hitler, da er nur mit Unterstützung dieser stärksten Massenbewegung sein Werk der Volksgemeinschaft würde krönen können, fasst Wolfram Pyta die Entwicklung im Herbst 1932 zusammen. Im November erörterte der Reichspräsident mit Hitler die Möglichkeiten: »Hindenburg will Hitler mit Kabinettumbildung betrauen. Bewogen durch Einflüsse der Industrie, Landwirtschaft«, notierte sein Staatssekretär Otto Meißner.¹⁴

Schließlich fädelte der »Herrenreiter« Franz von Papen, eingeheiratet in eine Familie von Stahlindustriellen, ein Bündnis der rechten Parteien für die von Hindenburg gewünschte Regierung der »nationalen Konzentration« ein, und der Reichspräsident ernannte Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. »Es war ja immer meine Meinung, dass das Heil für Deutschland nur im Zusammenschluss aller Parteien zu einer gemeinsamen Vaterlandspartei liege. Das ist Hitler nun gelungen.« So lautete Hindenburgs Begründung.

»Mein Kanzler Adolf Hitler«

Vorgegeben hatte Hindenburg, dass er die Hoheit über Wehrmacht und Außenpolitik behielt. Die Innenpolitik und die preußische Polizei allerdings lieferte er den Nazis aus. Mit der »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des deutschen Volkes« legitimierte Hindenburg nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar am 4. Februar die Ausschaltung der Opposition, suspendierte sämtliche Grundrechte und unterwarf auch die Länder der Diktatur Hitlers. Terror und Massenverhaftungen, die Einsetzung der SA als Hilfspolizei, Folterkeller und KZ folgten. Erst mit dem vom Reichstag beschlossenen und von Hindenburg unterzeichneten Ermächtigungsgesetz gingen seine Kompetenzen auf Hitler über, und Hindenburg zeigte sich erleichtert darüber, dass »jetzt ein für allemal mit der Wählerei Schluss ist«.¹⁵

Der Generalität versprach Hitler am 3. Februar Aufrüstung, Wehrpflicht und Expansion, anknüpfend an die Kriegsziele Hindenburgs vor allem aber die »Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung«. Beim aufwendig inszenierten Tag von Potsdam legte Hitler am 21. März 1933 ein Treuegelöbnis ab, das Hindenburg zu Tränen rührte: »In einer einzigartigen Erhebung hat das Volk die nationale Ehre wiederhergestellt und dank Ihrem Verstehen, Herr Reichspräsident, die Vermählung vollzogen zwischen den Symbolen der alten Größe und der jungen Kraft.« Die junge Kraft war der Nazifaschismus, der den alten imperialistischen Zielen wieder eine Massenbasis verschaffte.

Der Generalfeldmarschall sagte in einer Rundfunkansprache vom 12. November: »Dank der mutigen, zielbewussten und kraftvollen Führung des am 30. Januar dieses Jahres von mir berufenen Reichskanzlers Hitler und seiner Mitarbeiter hat Deutschland sich selbst wiedergefunden und die Kraft gewonnen, den Weg zu beschreiten, den ihm seine nationale Ehre und seine Zukunft vorschreiben.«

Unzufrieden war Hindenburg nur über die »revolutionären Unruhestifter«, die SA, und forderte Hitler am 21. Juni 1934 auf, etwas gegen die Wehrmachtskonkurrenz zu unternehmen. Am 30. Juni 1934 ließ dann Hitler die Führung der SA ausschalten. General Schleicher, der 1931 mit dem SA-Chef Ernst Röhm gegen Hitler konspiriert hatte, wurde wie Edgar Jung, rechte Hand des Vizekanzlers Papen, am 30. Juni 1934 beim »Röhm-Putsch« gleich mit beseitigt. Der Reichspräsident dankte Hitler in einem Telegramm für sein »entschlossenes Zugreifen« und sprach ihm »tiefempfundenen Dank und aufrichtige Anerkennung« aus.

In seinem politischen Testament vom 11. Mai bilanzierte Hindenburg: »Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzuführen, einen entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan. Ich scheide von meinem deutschen Volk in der festen Hoffnung, dass das, was ich im Jahr 1919 ersehnte und was in langsamer Reife zu dem 30. Januar 1933 führte, zu voller Erfüllung und Vollendung der geschichtlichen Sendung unseres Volkes reifen wird.«

Beigesetzt wurde Hindenburg im Tannenbergdenkmal, Hitler ließ den Sarg angesichts des Vormarschs der Roten Armee in einem Salzbergwerk einlagern, die Amerikaner brachten ihn 1945 in die Elisabethkirche Marburg.

Anmerkungen

1 Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Düsseldorf 2002 (1987), S. 48

2 Ebd., S. 77

3 Gerhard Schulz-Pfaelzer: Hindenburg. Ein Leben für Deutschland, Berlin 1934, S.83

4 Wolfgang Ruge: Hindenburg. Portrait eines Militaristen, Berlin 1974, S. 107

5 Dorothea Groener-Geyer: General Groener. Soldat und Staatsmann, Frankfurt 1955, S. 51, 68

6 Walter Görlitz: Hindenburg, Paderborn 2005, S. 178

7 Erhard Korn: Das Gemetzel von Taganrog, junge Welt, 10.06.2022, S.12

8 Groener-Geyer, a.a.O., S. 220

9 Ruge, a.a.O., S. 211

10 Fritz Endres (Hrsg.): Hindenburg. Briefe, Reden, Berichte, Ebenhausen bei München 1934, S.129

11 Ruge, a.a.O., S. 233

12 Erich Macks: Paul von Hindenburg als Staatsmann, Berlin 1932, S.220

13 Emil Ludwig: Hindenburg. Legende und Wirklichkeit, ­Hamburg 1962 (1935), S. 245

14 Wolfram Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007, S. 14

15 ebenda, S. 819

Erhard Korn schrieb an dieser Stelle zuletzt am 6. November 2023 über Wolfgang Koeppens ­Roman »Das Treibhaus«.

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  • Leserbrief von Monika Engelhardt-Behringer und Dieter Behringer aus Ettlingen (19. August 2024 um 14:47 Uhr)
    Ein großartiger Artikel, der unserem Ettlinger Bündnis gegen Rassismus und Neonazis weitere Argumente liefert für die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft des ehemaligen Reichspräsidenten in Ettlingen.
    Seit zwei Jahren kämpfen wir für unser Anliegen und versuchten durch Briefe an Oberbürgermeister und Stadträte, durch Veröffentlichungen in der örtlichen Presse, die eine Masse von uns unterstützenden Leserbriefen nach sich zogen, und durch eine Aktion vor dem Rathaus die Entscheider zu überzeugen, dass Hindenburg von einem faschistischen Gemeinderat seine Auszeichnung erhalten hatte und er sich um unsere Stadt keinerlei Verdienste erworben hat, dem Steigbügelhalter des Faschismus und Feind jeder Demokratie also die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen ist. Die Reaktion der Entscheider war Aussitzen und schließlich das Hinzufügen einer Erklärung, in der der Gemeinderat darlegte, dass man sich distanziere, aber die Geschichte durch Aberkennung nicht verfälschen wolle. Mit diesem Argument hätte natürlich auch die Ehrenbürgerschaft Hitlers 1945 nicht aberkannt werden müssen.
    Zusammen mit dem Verfasser der Themenseite werden wir einen weiteren Anlauf nehmen und mit ihm als Referenten einen Vortrag organisieren, zu dem wir Stadträte und Öffentlichkeit einladen. Wir lassen nicht locker! Sie reden von »Nie wieder ist jetzt!«, aber Hindenburg soll Ehrenbürger bleiben.
  • Leserbrief von Wolfram P. Kastner aus München/Berlin (5. August 2024 um 14:49 Uhr)
    Hindenburg war Wegbereiter der Naziverbrechen und steht im 1. Weltkrieg für Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung (»Alberich-Gebiet«/verbrannte Erde). Er war Lügenpropagandist und verbreitete die »Dolchstoßlegende«, derzufolge das Heer unbesiegt geblieben wäre ohne den Dolchstoß der kriegsmüden Bevölkerung. Dafür wird er in der Bundeshauptstadt Berlin immer noch geehrt: mit einer 3.000 Meter langen Straße und einem Platz im Olympiapark. In Frankfurt, München, Nürnberg und Stuttgart wurden Hindenburgstraßen 1946 abgeschafft und umbenannt. In Bonn und Kiel und Münster in jüngster Zeit. Wir fordern die Umbenennung des H....damms in Edith-Jacobson-Damm, die in Berlin als Ärztin und Psychoanalytikerin Widerstand gegen die Nazis leistete, verhaftet und verurteilt wurde und dem Tod durch Flucht entkommen konnte. Bürgermeister Wegner findet unser »Anliegen mehr als nachvollziehbar und begrüßenswert«, ist aber nicht verwalterisch zuständig. CDU und Grüne in Steglitz wollen H..burg behalten. Unsere Petition hat inzwischen 10.300 Unterschriften: https://www.change.org/p/benennen-wir-den-hindenburgdamm-in-berlin-in-edith-jacobson-damm-um. Für den H...platz im Olympiapark schlagen wir eine Umbenennung in Helene-Mayer-Platz vor. Die Fechterin errang 1936 eine Silbermedaille, galt als »halbjüdisch« und floh vor dem sicheren Tod. Es ist ein irrsinniger Skandal, wenn in der aktuellen gefährlichen Situation der Zerstörer der Demokratie von innen immer noch in Berlin geehrt wird, wo Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundestag sitzen und appellieren, die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Unsere experimentelle Umbenennung des Hi..damms wurde von der Polizei in einem Großeinsatz beendet – wegen eines Verdachts auf eine kriminelle Tat. Es bedarf wohl noch einiger Unterstützung für ein deutliches Zeichen für Demokratie und gegen Faschismus in der Bundeshauptstadt Berlin. (Es gibt Fotos unserer Aktion.)

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