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Aus: Ausgabe vom 02.08.2024, Seite 15 / Feminismus
Völkermord an den Jesiden

»Erinnerung an Opfer lebendig halten«

Der vom IS begangene Genozid an den Jesiden jährt sich zum zehnten Mal. Ein Gespräch mit Layla Mirza
Von Dîlan Karacadağ
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Vom IS ermordet: Bestattungen nach Fund eines Massengrabs (Kojo, 6.2.2021)

Sie haben den Genozid der islamistischen IS-Miliz an den Jesidinnen und Jesiden in Şengal überlebt, bei dem über 10.000 Jesiden getötet oder entführt und mehr als 500.000 vertrieben wurden. Dieser jährt sich nun zum zehnten Mal. Wie geht es Ihnen damit?

Seit ich den Genozid überlebt habe, musste ich unermessliche Herausforderungen bewältigen. Die tiefen seelischen Narben, die diese schrecklichen Ereignisse hinterlassen haben, begleiteten mich lange. Doch ich fand die Kraft, mich diesen Traumata zu stellen und mich nicht von ihnen beherrschen zu lassen. Ich habe gelernt, wieder an die Zukunft zu glauben – eine Zukunft, die ich mir selbst erkämpft habe, trotz der Schatten der Vergangenheit.

Noch bis heute leben über 300.000 Jesidinnen und Jesiden in Geflüchtetencamps. Auch Sie lebten als Kind in einem Flüchtlingscamp. Wie waren Ihre Erfahrungen dort?

Das Leben im Flüchtlingscamp hat meine Welt von Grund auf verändert. Die Ungewissheit und Not dieser Zeit haben mir gezeigt, wie zerbrechlich unser Dasein ist. Doch sie haben mich auch gelehrt, in den dunkelsten Momenten die kleinsten Funken der Hoffnung zu finden. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, inmitten des Chaos nach Frieden zu streben. Sie hat mir eine Stärke gegeben, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Wie hat der Genozid an den Jesidinnen und Jesiden Ihre Sichtweise verändert?

Der Genozid hat meine Sicht auf die Welt tiefgreifend verändert. Er hat mir die schreckliche Fähigkeit des Menschen zu Hass und Zerstörung vor Augen geführt, aber auch die unzerstörbare Kraft der Menschlichkeit und des Überlebens. Ich sehe die Welt nun mit einem tiefen Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit des Lebens und der dringenden Notwendigkeit, für Frieden, Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu kämpfen. Jeder Tag ist ein kostbares Geschenk, das ich niemals als selbstverständlich betrachte.

Noch immer sind mehrere tausend Jesidinnen in IS-Gefangenschaft. Welche Rolle spielt Ihre kulturelle Identität als Jesidin in Ihrem Leben?

Meine jesidische Identität ist mein innerer Kompass und mein tiefster Halt. Sie verbindet mich mit einer reichen Tradition und einer Gemeinschaft, die trotz unsagbaren Leids ihre Würde bewahrt hat. Diese Identität gibt mir die Kraft, weiterzukämpfen und das Erbe meines Volkes zu ehren.

Die Truppen der Peschmerga flohen 2014 vor dem heranrückenden IS und überließen Şengal und die Jesiden der grausamen Herrschaft der Dschihadisten. Wie können wir als Gesellschaft dazu beitragen, ähnliche Greueltaten in der Zukunft zu verhindern?

Als Gesellschaft müssen wir wachsam sein und aktiv gegen Hass und Intoleranz eintreten. Bildung und Aufklärung sind unerlässlich, um Vorurteile abzubauen und ein tieferes Verständnis und Mitgefühl zu fördern. Es bedarf mutiger politischer Maßnahmen und internationaler Solidarität, um Menschenrechte zu schützen. Wir müssen Minderheiten aktiv schützen und dürfen sie nicht vergessen.

Die Bundesregierung plant, in der BRD lebende Jesiden in den Irak abzuschieben. Was bedeutet es für Sie, am Gedenktag des Genozids an den Jesiden über Ihre Erfahrungen zu sprechen?

Am Gedenktag über meine Erfahrungen zu sprechen, ist für mich von tiefer emotionaler Bedeutung. Es ist eine Gelegenheit, die Erinnerungen an die Opfer lebendig zu halten und ihnen die Ehre zu erweisen, die sie verdienen. Es ist auch ein Aufruf an die Welt, niemals zu vergessen und aktiv gegen Unrecht und Gewalt einzutreten.

Layla Mirza ist eine Überlebende des Genozids an den Jesiden. Sie arbeitet als Model und Schauspielerin.

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