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Aus: Ausgabe vom 03.08.2024, Seite 15 / Geschichte
Geschichte des Kalten Krieges

Seltsame Partner

Vor 70 Jahren unterzeichnete das blockfreie Jugoslawien mit den NATO-Ländern Griechenland und Türkei einen »Balkanpakt«
Von Knut Mellenthin
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Verhandlungen über das Verhältnis zur NATO: Tito mit dem britischen Admiral Mountbatten, Oktober 1954

Es ist eine seltsame und wenig bekannte Episode, die fast gar keine praktischen Folgen hatte und schon bald wieder der Vergangenheit angehörte. Vor 70 Jahren, am 9. August 1954, unterzeichneten Regierungsvertreter der Türkei, Jugoslawiens und Griechenlands im landschaftlich schön gelegenen nordjugoslawischen Luftkurort Bled einen Vertrag, der sie nicht nur zur ständigen militärischen Zusammenarbeit, sondern darüber hinaus zum gegenseitigen Beistand im Fall eines Angriffs verpflichtete. Seltsam und im Rückblick befremdlich erscheint der Vorgang dadurch, dass Griechenland und die Türkei seit dem 18. Februar 1952 Mitglieder der NATO waren, während Jugoslawien sich als sozialistisch definierte und unter Führung seiner Kommunistischen Partei fest mit der Sowjetunion verbunden gewesen war, bevor es 1948 zu einem äußerst scharfen öffentlichen Bruch kam. Nur wenige Jahre nach dem Vertrag von Bled, spätestens seit der Belgrader Gipfelkonferenz der »Blockfreien« in der ersten Septemberwoche 1961, agierte Jugoslawiens Staats- und Parteichef Josip Broz Tito bis zu seinem Tod 1980 als einer der prominentesten Sprecher und Führer dieser Staatengruppe.

Annäherung an die NATO

Dem 1954 geschlossenen militärischen Bündnis war ein Abkommen der drei Staaten über »Freundschaft und Zusammenarbeit« vorausgegangen, das am 28. Februar 1953 in der türkischen Hauptstadt Ankara unterzeichnet worden war. Gelegentlich werden beide Verträge zusammen als »Balkanpakt« bezeichnet, obwohl die heutige Türkei nur mit großer Mühe noch als Balkanstaat gelten kann, was der Vorgängerstaat, das Osmanische Reich, im 19. und frühen 20. Jahrhundert zweifellos noch gewesen war. Schon beim Abschluss des Ankara-Abkommens war eindeutiger Konsens, dass in naher Zukunft auch Vereinbarungen zur militärischen Zusammenarbeit folgen sollten. Die Gespräche darüber liefen damals bereits. Der Titel »Balkanpakt« bezog sich historisch auf ein Beistandsabkommen, das Jugoslawien, Griechenland, Rumänien und die Türkei am 9. Februar 1934 geschlossen hatten und das hauptsächlich dazu dienen sollte, revisionistische Gebietsansprüche Bulgariens – einer der territorialen Hauptverlierer des Ersten Weltkrieges – gemeinsam zurückzuweisen und notfalls auch militärisch abzuwehren.

Jugoslawiens Annäherung an die USA, an die NATO und damit eng verbunden an das Nachbarland Griechenland und an die Türkei war eine Folge des Bruchs, den die Sowjetunion und damals mehr oder weniger zwangsläufig auch die gesamte »kommunistische Weltbewegung« ohne eine einzige Ausnahme vollzogen hatten. Üblicherweise wird der zugrundeliegende Konflikt auf die Personen Stalin und Tito reduziert, was zwar nicht völlig falsch ist, aber für sich genommen keine Auskunft über die Ursachen des Streits gibt, die immer noch nicht als ausreichend erforscht und analysiert gelten können. Interne Dokumente, die erst nach der Auflösung der Sowjetunion bekanntwurden, lassen es so erscheinen, als seien Pläne zur Einschmelzung des Nachbarlands Albanien in die föderativ strukturierte Republik Jugoslawien und Titos Festhalten an der Unterstützung der griechischen Kommunisten im Bürgerkrieg zentrale Streitpunkte mit Stalin gewesen.

Tatsache ist jedenfalls, dass das Kommunistische Informationsbüro (Kominform), das am 30. September 1947 als Nachfolger der 1943 aufgelösten Kommunistischen Internationale gegründet worden war, als erste wichtige gemeinsame Handlung am 28. Juni 1948 den Ausschluss Jugoslawiens aus der Gemeinschaft wegen nicht genau bezeichneter schwerer Verfehlungen bekanntgab. Ohne öffentliches Aufsehen hatte die Sowjetunion schon im März 1948 Militärberater aus dem Land abgezogen. Die kollektive Verurteilung Jugoslawiens hatte den Beginn politischer »Säuberungen« gegen »Titoisten« und andere »Abweichler« in den sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas zur Folge.

Erheblich verschärft wurde der Konflikt im November 1949 durch eine weitere Erklärung der Kominform, in der es hieß, die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ) befinde sich »in der Gewalt von Mördern und Spionen«, und »die Tito-Clique« sei »zum Faschismus übergegangen«. Hintergrund der Vorwürfe war die aus der erzwungenen Isolierung des Landes resultierende Annäherung an das »imperialistische Lager« und die harte Repression gegen Zehntausende Mitglieder der KPJ, die an der traditionellen Verbundenheit mit der Sowjetunion und der »kommunistischen Weltbewegung« festhalten wollten.

Seit Herbst 1948 erhielt Jugoslawien in wachsendem Umfang Nahrungsmittel-, Finanz- und Wirtschaftshilfe aus den USA. Am 14. November 1951 wurde ein Militärhilfeabkommen zwischen beiden Staaten geschlossen. Die USA verpflichteten sich, ohne dass im eigentlichen Vertrag Zahlen festgelegt waren, zur Lieferung von militärischer Ausrüstung, Material und Dienstleistungen. Im Gegenzug sollte Jugoslawien die USA – und praktisch gesprochen US-amerikanische Unternehmen – beim Abbau von Rohstoffen auf seinem Territorium, deren Weiterverarbeitung zu Halbfertigprodukten und ihrem Transport unterstützen. Die Unterstützung der griechischen Kommunisten hatte Tito schon im Juli 1949 einstellen lassen, was rasch zur Beendigung des dortigen Bürgerkrieges führte.

Der Beistandsvertrag von Bled postulierte zwar nicht die Integration Jugoslawiens in die NATO, ließ aber hinsichtlich der gegenseitigen Bündnisverpflichtungen im Kriegsfall Fragen offen, die in einigen Mitgliedstaaten für Nervosität sorgten. In Italien wurde die Aufwertung Jugoslawiens als Partner der westlichen Allianz grundsätzlich kritisch gesehen, solange der Territorialkonflikt zwischen beiden Ländern im Großraum Triest nicht gelöst war.

Wiederannäherung an Moskau

Praktische Bedeutung erlangte das Abkommen allerdings nicht. Nach dem Tod Stalins am 5. März 1953 gab es seitens seiner Nachfolger sehr bald Signale, dass die Sowjetunion an einer Verbesserung der Beziehungen zu Belgrad hochgradig interessiert war. Noch im selben Jahr tauschten beide Staaten Botschafter aus und nahmen die Wirtschaftsbeziehungen wieder auf. Nach einem längeren Briefwechsel kam der neue sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow im Juni 1955 zu Gesprächen in die jugoslawische Hauptstadt. Gemeinsam mit Tito unterschrieb er die »Belgrader Erklärung«. Darin garantierte die Sowjetunion ihre »Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens« und erkannte das Recht auf unterschiedliche Interpretationen der Formen sozialistischer Entwicklung an.

Kernpunkte des Militärpakts Jugoslawien–Griechenland–Türkei (9. August 1954)

Die Vertragsparteien vereinbaren, dass jeder bewaffnete Angriff auf einen oder mehrere von ihnen in irgendeinem Teil ihrer Territorien als Angriff gegen alle Vertragsparteien betrachtet werden soll und dass diese folglich in Ausübung ihres Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen sofort gemeinsam und einzeln der angegriffenen Partei oder den angegriffenen Parteien mit allen Mitteln, die ihnen zur wirksamen Verteidigung nötig erscheinen, einschließlich des Einsatzes bewaffneter Gewalt, zur Hilfe kommen sollen.

Die Vertragsparteien verpflichten sich (…), keinen Friedensschluss oder andere Maßnahmen mit dem Angreifer zu vereinbaren, sofern nicht eine wechselseitige Vereinbarung zwischen ihnen vorausgegangen ist. (…)

Im Fall einer ernsten Verschlechterung der internationalen Lage, insbesondere in Gebieten, wo diese Verschlechterung direkte oder indirekte Auswirkungen auf ihre Sicherheit haben könnte, werden sich die Vertragsparteien beraten, um die Lage zu untersuchen und ihre Haltung zu bestimmen. (…)

Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf ein Land, gegenüber dem eine oder mehrere Vertragsparteien zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrages zu gegenseitigem Beistand verpflichtet sind, werden sich die Vertragsparteien hinsichtlich der in Übereinstimmung mit den Zielen der Vereinten Nationen zu unternehmenden Maßnahmen beraten. (…)

Die Vertragsparteien bekräftigen ihre Entschlossenheit, sich an keiner Koalition zu beteiligen, die sich gegen einen von ihnen richtet, und keine Verpflichtungen einzugehen, die mit den Bestimmungen dieses Vertrages unvereinbar sind. (…)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael P. aus Berlin, Michael Polster (4. August 2024 um 11:35 Uhr)
    Eine Anmerkung sei gestattet: Die Belgrader Erklärung vom 1. Juni 1955, die nach intensiven Verhandlungen erreicht wurde, ist als ein großer Erfolg von Tito anzusehen, darin sind sich die Historiker weitgehend einig, obwohl er in der Zeit davor versucht hatte engere Kontakte zu den sozialdemokratischen Parteien Westeuropas herzustellen, wobei er auch um Aufnahme des Bundes in die Sozialistische Internationale bat, dieser Wunsch wurde aber kategorisch abgewiesen. Die Belgrad-Reise von Nikita S. Chruschtschows (Mai 1955) manifestierte die neue Ebene der Beziehungen beider Länder. Tito selbst fühlte sich bestärkt in seiner Haltung zur Sowjetunion in den Jahren seit 1947 und wähnte sich im »7. Himmel«, hatte er doch den Kampf zwischen »David und Goliath« gewonnen, wie meinte. Am 17. April 1956 wurde die Kominform aufgelöst und man schloss sich der These an, die in der Belgrader Erklärung formuliert war, dass diese Organisation anachronistisch geworden war. Es folgte ein Kooperationsabkommen zwischen beiden Staaten und Tito schlug vor, aus den Feierlichkeiten zu seinem Geburtstag nun einen »Tag der Jugend« zu machen, damit der Personenkult um seine Person ein Ende fände. Fußnote der Geschichte, gab es noch 1944 zum Galadinner mit Stalin russischen Kaviar, russischen Wodka und gegrilltes russische Hühnchen, so kredenzte man anlässlich des Besuches von Chruschtschows Kaviar mit Roggenbrötchen und Hühnerleber in gebratenen Speck, dazu gab es einen zwölf Jahre alten russischen Cognac.

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