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Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Vor der US-Präsidentschaftswahl

Dem Zollkrieg zuvorkommen

Unterhändler der EU bereiten Handelsplan mit möglicher US-Regierung unter Donald Trump vor. Der Republikaner kündigte drastische Maßnahmen an
Von Gerrit Hoekman
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Ort informeller Gespräche: Deutsche Transatlantiker gingen beim Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee auf Tuchfühlung

Die Europäische Union sieht einem möglichen Wahlsieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl im November mit Sorge entgegen. Der Republikaner habe gedroht, »einen protektionistischen Schutzwall um die USA zu errichten«, schrieb Hubertus Bardt vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Juli in einer Analyse. Mit einem zweistufigen Handelsplan wähne sich die EU diesmal allerdings besser gewappnet als vor Trumps erster Amtszeit, berichtete die Financial Times vergangene Woche.

Sollte Trump die Wahl gewinnen, will die EU ihm schnell ein Handelsabkommen anbieten, hieß es. Noch lange vor einer möglichen Vereidigung im Januar sollen Unterhändler vorfühlen, was er von der EU erwartet, um Strafzölle abzuwenden. Trump »würde Zölle als Druckmittel einsetzen, um kurzfristige Vorteile für die USA zu erzielen, und multilaterale Regelsysteme und Institutionen missachten oder gar aufgeben«, ist Bardt sicher. »Europäische Interessen können mit einem Dealmaker-Präsidenten Trump nur durch eine klare Positionierung gewahrt werden.«

Angeblich sind EU-Politiker bereits mit Trumps Umfeld im Gespräch. »Berlin, andere EU-Staaten und Brüssel haben einen stillen Kontakt zu möglichen Beratern Trumps und möglichen Amtsträgern einer Regierung Trump aufgenommen«, sagte der Politikwissenschaftler Karl Kaiser von der Universität Harvard am 27. Juni in einem Interview mit dem Tagesspiegel. »Überall wird für diesen Fall geplant.«

Trump oder Harris? Die deutsche Bundesregierung bereite sich intensiv auf beide möglichen Wahlausgänge vor, sagte der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link (FDP), am 22. Juli im ZDF-»Morgenmagazin«. Er selbst sei Gast beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee gewesen, als Trump zum Kandidaten gekürt wurde. Man suche »so viel wie möglich Kontakte mit Republikanern« – dem Team von Trump, aber auch mit Senatoren und Gouverneuren – zu machen, so Link. Ziel sei ein »starker und belastbarer Kontaktring«.

»Wir müssen zeigen, dass wir für die USA ein Partner und kein Problem sind«, zitiert die Financial Times einen hochrangigen, nicht namentlich genannten EU-Beamten. »Wir werden nach Deals suchen, aber wir sind bereit, uns zu verteidigen, wenn es darauf ankommt. Wir werden uns nicht von Angst leiten lassen.« Soll heißen: Falls Trump an keinem Handelsabkommen interessiert ist, packt Brüssel statt Zuckerbrot die Peitsche aus. Bis zur Wahl im November will die Europäische Kommission eine Liste mit US-Importen erstellen, auf die ein Strafzoll von 50 Prozent oder mehr erhoben werden kann.

Welche Produkte dies beträfe, wird vorerst unbekannt bleiben. Eine mögliche Trump-Regierung soll sich auf etwaige Retourkutschen der EU zu US-Strafzöllen nicht vorbereiten können. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Trump sich von Vergeltungsmaßnahmen beeindrucken lässt: Radikaler Protektionismus ist einer der wichtigsten Pfeiler seiner »America first«-Agenda. Im aktuellen Wahlkampf kündigte er bereits einen Mindestzoll von zehn Prozent auf alle ausländischen Importe an. Auf chinesische Waren sogar bis zu 60 Prozent.

Das Trump-Lager ist diesmal deutlich besser auf eine Regierungsübernahme vorbereitet. Die extrem rechte Heritage Foundation hat bereits einen großen Überblick über linientreue Apologeten, die Trump nutzen kann, um Ämter in Politik und Behörden zu besetzen. Es geht das Gerücht um, nach einem Wahlsieg sollen rund 10.000 Beamte gegen Loyalisten ausgetauscht werden. Während der ersten Amtszeit war der völlig unvorbereitete Trump noch gezwungen, auf Mitarbeiter zurückzugreifen, die mäßigend auf ihn einwirkten.

Die EU und die USA sind füreinander die größten Handelspartner. Laut Statistischem Bundesamt sind die USA für die BRD seit 2015 der wichtigste Exportmarkt. Die Bilanz ist für die USA aber in beiden Fällen defizitär. Trump deute Handelsbilanzdefizite als Resultat unfairer Praktiken und wolle die USA davor mit Zöllen schützen, erklärte Samina Sultan vom IW im Juli bei NTV. Von einer möglichen zweiten Amtszeit sei also eine Verschärfung des Handelskonflikts zwischen EU und USA zu erwarten. Die BRD erwarte einen Gesamtschaden von 110 bis 132 Milliarden Euro.

EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis zeigte sich der Financial Times gegenüber zuversichtlicher. »Wir glauben, dass die USA und die EU strategische Verbündete sind«, erklärte er. »Insbesondere im gegenwärtigen geopolitischen Kontext« sei es wichtig, im Handelsbereich zusammenzuarbeiten. Brüssel sei offen für »gezielte Abkommen«, um das US-Handelsdefizit von 156 Milliarden Euro zu reduzieren. Ein Zollkrieg würde die Inflation in den USA mehr anheizen als in der EU, erklärte Jan Hatzius, deutscher Chefökonom der US-Investmentbank Goldman Sachs. Das würde dann in erster Linie die Wähler von Trump treffen.

Der gestiegene EU-Import von Flüssigerdgas (LNG) verleihe den USA »eine neue Macht über Europa«, hatte das britische Magazin The New Statesman schon im Februar festgestellt. Doch mittlerweile steht Russland bei Gaslieferungen in die EU wieder an erster Stelle. Die Abkehr von russischen Energielieferungen betrifft vor allem Westeuropa, mehrere osteuropäische Staaten beziehen dagegen nach wie vor einen großen Teil aus Russland. Eine Trump-Regierung könnte hier ansetzen, um diesen Keil tiefer in die EU zu treiben.

Hintergrund: Maßnahmen der Trump-Regierung

Während seiner ersten Amtszeit wusste Donald Trump die Schwächen und Abhängigkeiten seiner Handelspartner auszunutzen. Er scheute sich auch nicht, sicherheitspolitische Abhängigkeiten seiner Gegenüber in die Waagschale zu werfen. Als etwa das Freihandelsabkommen mit Südkorea neu verhandelt wurde, drohte Trump mit einem Abzug von US-Truppen. Im Oktober 2018 erhoben die USA Zölle auf EU-Waren im Wert von rund sieben Milliarden Euro als Reaktion auf Subventionen der EU für den Flugzeughersteller Airbus. Die Zölle belasteten den Absatz von Stahl und Aluminium, aber auch von Waschmaschinen und Solarmodulen.

Die EU konterte mit erhöhten Zöllen unter anderem auf Jeans, Orangensaft, Erdnussbutter, Bourbon-Whiskey aus Kentucky und Motorräder der Marke Harley-Davidson. Die Auswahl der Produkte zielte auf die Stammwählerschaft der Republikaner und sollte Wahlkreise wichtiger republikanischer Senatoren treffen. In Bundesstaaten, wo Republikaner die Gouverneure stellten, sollten diese dazu gebracht werden, mäßigend auf Trump einzuwirken. Bevor die Zölle der EU in Kraft traten, wurde jedoch Joseph Biden Präsident. Aktuell sind sie ausgesetzt, weil Biden bis Ende März 2025 auf von Trump erlassene Metallzölle verzichtet.

Trump hatte auch mit hohen Belastungen für Autoimporte aus Europa gedroht und die EU zu Verhandlungen über ein bilaterales Handelsabkommen gezwungen. Ziel war, mehr Agrarprodukte aus den USA in die EU zu exportieren. Im Juli 2018 kam es zu einer vorläufigen Einigung. »Vertreter der Europäischen Union sagten mir, sie würden sofort damit beginnen, Sojabohnen von unseren großartigen Landwirten zu kaufen. Außerdem werden sie riesige Mengen LNG kaufen«, jubelte Trump laut Reuters. Die Nachfrage nach amerikanischem Flüssigerdgas blieb seinerzeit aber gering, weil noch billigeres Erdgas über Pipelines in die EU strömte.(gh)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. August 2024 um 20:45 Uhr)
    An Örtlichkeiten, wie auf dem Bild zum Artikel gezeigt, habe ich Schrifttafeln mit besserem Text gesehen: Treten Sie näher, denn er ist kürzer als Sie denken. Zum Tenor des Artikels: Was hat den Joey wesentlich anders gemacht als Donny? Zum Beispiel keine Pipeline in der Ostsee gesprengt und keine Stationierung von neuen Waffensystemen in der BRD durchgesetzt. Mehr fällt mir spontan nicht ein. Probleme definiert sich Donny selber, da braucht er keinen »hochrangigen, nicht namentlich genannten EU-Beamten« dazu, seine Partner sucht er sich auch selber. Ich betrachte solche EU-Beamte mit Flausen im Kopf allmählich als größeren Angstfaktor als Donny.

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