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Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 4 / Inland
Wahlkampf in Sachsen

Nicht verschwinden

Das nötige Direktmandat: Szenen aus dem Linke-Wahlkampf im Leipziger Osten
Von Yaro Allisat
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Will auch nach der Wahl weiter im Stadtteil präsent sein: Leipziger Linkspartei-Kandidat Nam Duy Nguyen

Etwas mehr als 60 Menschen haben sich in einem Park im Leipziger Osten versammelt – genau im Zentrum des Wahlkreises Mitte-Ost, in dem ein neuer Kandidat für die Partei Die Linke antritt. Nam Duy Nguyen ist Sohn ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter, war lange Zeit im Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS) organisiert und will nun mit einem Direktmandat der Linkspartei in den Landtag helfen. Am 1. September wird gewählt. Seit einigen Monaten klingeln er und sein Wahlkampfteam sich durch die Haustüren im Wahlkreis und versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, dem Kandidaten von Die Linke die Erststimme zu geben. Auf einer Versammlung im Juni legten sich das Team und Nachbarn aus dem Wahlkreis auf ihre drei Themen fest: Mobilität, Inflation und Mieten. Damit soll auch eine neue Basisorientierung in der Partei angestoßen werden.

Rund 350 Helfer haben sich anlässlich einer sogenannten Wahlkampfaktionswoche aus ganz Deutschland angekündigt. Unter ihnen ist auch Leon Berg aus Frankfurt am Main. Der Soziologiestudent kennt Nguyen aus seiner eigenen Zeit beim SDS und will ihn nun im Wahlkampf unterstützen. »Ich sehe das hier als Regionallabor. Die Partei erfindet sich neu, auch mit dieser Art von Wahlkampf«, sagt Berg. Vom Park aus fahren wir etwas weiter in den Süden, wo Plattenbauten neben frisch sanierten Altbaufassaden stehen.

Es ist früher Nachmittag, und viele Menschen sind noch gar nicht zu Hause. Unseren ersten Treffer landen wir bei einer Familie in einem schick sanierten Haus. Für das Gespräch an der Tür gibt es einen Leitfaden – das Ganze erinnert an die Organizing-Methoden, bei denen ebenfalls mit vorgeplanten Gesprächen gearbeitet wird, die in einer Entscheidungsfrage münden sollen: »Sind Sie bereit, am 1. September Nam Duy Ihre Stimme zu geben?« Dadurch können auch Menschen, die sich vor Ort nicht auskennen, einfach mitmachen. Wirklich neu ist diese Methode an sich natürlich nicht.

Die junge Familie kommt nur schwer ins Reden. Es ist ihnen offensichtlich unangenehm, über ihre Wahlentscheidung zu sprechen, auch wenn sie natürlich »irgendwie links unterwegs« sind. Im Wahlkreis, so legen es Wählerbefragungen nahe, liefern sich Grüne und Linke ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Direktkandidatur, also die Erststimme. Für die Linkspartei könnte das Mandat entscheidend für den Einzug in den Landtag sein, da sie in Umfragen inzwischen unter fünf Prozent liegt, mit zwei Direktmandaten jedoch trotzdem gemäß Zweitstimmenergebnis einziehen könnte. Das Argument des »taktischen Wählens« zieht teils besser als die Inhalte – auch die junge Familie verabschiedet sich zwar nicht mit einer Wahlzusage, aber bedankt sich für die Information.

Viele andere gehen offener mit ihren Wahlentscheidungen oder auch ihrem politischen Desinteresse um. Ein paar Häuser weiter wird die Tür nur einen Spalt geöffnet. Der junge Mann interessiert sich gar nicht für Politik, Wahlen verpasst er immer. Leon Berg versucht es mit dem Leitfaden, stummes Nicken ist die Antwort. Zehn Minuten sind pro Tür eingeplant. Wie weiter, wenn die Buzzwords nicht funktionieren? Es wird ein Gespräch über Arbeit und Alltag. Am Ende ein Handschlag darauf, zumindest die Wahl dieses Mal nicht zu verpassen.

20.000 Haustüren sollen abgeklappert werden. Die Atmosphäre bei der Aktionswoche ist optimistisch. Leon Berg sagt, er habe bisher trotzdem weniger Zusagen als nötig bekommen. Ein Polizist will Die Linke nicht wählen, »weil die Leute mir auf der Straße den Tod wünschen«. Zeit für Grundsatzfragen ist an der Haustür nicht. Aber auch er hört trotz allem interessiert zu.

Die Kampagne soll den »Grundstein einer neuen Verankerung der Linken im Leipziger Osten« legen. Nguyen hat angekündigt, nach der Wahl nicht »im Parlament verschwinden« zu wollen, sondern weiter im Stadtteil präsent zu sein. Etwas fällt auf: Die Themen Palästina und Frieden, in denen auch die Leipziger Partei nicht einig ist, haben kaum Platz im Wahlkampf. Laut Leon Berg müsse man eben Kompromisse machen: »Eine weitere Spaltung ist gerade einfach nicht drin.«

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