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Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 5 / Inland
Arbeitsrecht und »Dritter Weg«

Kirchliche Extrawürste

Krankenhausträger in Weimar will Streiks juristisch unterbinden
Von Gudrun Giese
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Hängt da ein Kreuz, darf nicht gestreikt werden: Die Diakonie ging erfolgreich gegen den Arbeitskampf von Verdi vor

Vergangene Woche musste die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einen Warnstreik am Klinikum Weimar absagen, weil die Krankenhausträger Evangelische Kirche, Diakonie und die Leitung des Sophien- und Hufeland-Klinikums das Arbeitsgericht angerufen hatten, um dauerhaft Arbeitskämpfe zu unterbinden. Seit Jahrzehnten existieren für Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft Sonderregeln. Nach dem »Dritten Weg« dürfen Gewerkschaften dort nicht als Tarifpartner tätig werden und die Beschäftigten nicht streiken.

Bernd Becker, der bei Verdi Thüringen für den Gesundheitsbereich zuständig ist, kritisierte laut MDR vom 31. Juli das Vorgehen. So habe das Arbeitsgericht Erfurt die mündliche Verhandlung zum Eilverfahren erst nach dem geplanten Streik vom 1. August terminiert. »Dieses Verfahren haben wir so noch nicht erlebt«, erklärte er. Die Krankenhausträger wollen mit ihrem Antrag beim Arbeitsgericht klarstellen lassen, dass Streiks in kirchlichen Einrichtungen unzulässig seien. Das evangelische Krankenhaus sei nicht befugt, Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft zu führen, zitierte der MDR aus einer Mitteilung der Träger.

Seit Monaten setzen sich die Beschäftigten des Weimarer Klinikums für bessere Bezahlung und mehr Mitsprachemöglichkeiten ein. Nach Gewerkschaftsangaben liegen die Entgelte dort zum Teil sehr deutlich unter den Tarifen des öffentlichen Dienstes. Im Aufruf von Verdi zum ganztägigen Warnstreik am 1. August war deutlich geworden, dass viele Beschäftigte den »Dritten Weg« ablehnen.

Sie hätten »sich in großer Zahl bei Verdi organisiert und uns ein klares Mandat zu Tarifverhandlungen erteilt«, betonte Bernd Becker dort. »Sie wollen selbst auf ihre Arbeitsbedingungen Einfluss nehmen – in Tarifverhandlungen auf Augenhöhe.« Vor allem langjährige Beschäftigte und Hilfskräfte seien durch die kirchlichen Regelungen gegenüber den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes schlechter gestellt. Die innerkirchliche Gestaltung von Arbeitsbedingungen erfülle nicht die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an einen »gleichgewichtigen Konfliktlösungsmechanismus«, führte Verdi-Arbeitsrechtler Daniel Stach aus.

Gewerkschaftssekretär Becker empörte sich über die schon länger andauernden Versuche der Klinikleitung, Warnstreiks juristisch zu unterbinden. »Die Beschäftigten nehmen lediglich ihr demokratisches Grundrecht in Anspruch. Es ist ein Unding und völlig aus der Zeit gefallen, dass die Kirche im Jahr 2024 das immer noch bestreitet.« Das Grundgesetz garantiere das Recht der Koalitionen, »Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tariflich zu regeln und notfalls auch streikweise durchzusetzen«, unterstrich Verdi-Jurist Stach.

Zudem verhalte sich die Klinikleitung scheinheilig, wenn sie Sonderrechte nach dem »Dritten Weg« für sich einfordere, dann aber agiere wie jedes x-beliebige Wirtschaftsunternehmen, so Becker. »Beschäftigte in den Bereichen Essensversorgung, Cafeteria und Reinigung sind in Tochtergesellschaften ausgegliedert, nur um die Löhne zu drücken.« Für Angestellte im Labor sowie die Mehrzahl der Hebammen gelte das weltliche Arbeitsrecht, für andere aber nicht. »Das passt hinten und vorne nicht«, sagte der Verdi-Sekretär. Statt die Belegschaft zu spalten und auf kirchliche Privilegien zu pochen, sollte die Geschäftsleitung des Klinikums endlich den Willen und die demokratischen Rechte der Beschäftigten respektieren.

Die Krankenhausträger verwiesen auf Entgelterhöhungen am Klinikum um 4,9 Prozent Anfang des Jahres und die Senkung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 39 Stunden. 2025 sollen die Entgelte um 5,4 Prozent steigen. Dennoch liegen die Löhne deutlich unter den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Mit einem Durchschnittsstundenlohn von 22,81 Euro für Pflegekräfte mit mindestens dreijähriger Ausbildung rangiert Thüringen nach einer AOK-Statistik aus dem vergangenen Herbst deutlich hinter Hamburg, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo überall ein Stundenlohn von mehr als 24 Euro gezahlt wird.

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