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Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 7 / Ausland
»9/11«

11. September ist Chefsache

USA widerrufen Strafvereinbarung mit mutmaßlichem »9/11«-Drahtzieher
Von Knut Mellenthin
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US-Verteidigungsminister Lloyd Austin (4.7.2024)

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat am Freitag die vorgerichtlichen Vereinbarungen mit dem angeblichen Hauptorganisator der Angriffe vom 11. September 2001, Khalid Sheich Mohammad, und zwei seiner Mitangeklagten widerrufen. Die Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung hatte das Pentagon erst am Mittwoch gemeldet. In einem kurzen Memorandum an die Verantwortliche für die Einberufung der Militärtribunale im US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba, Brigadegeneralin Susan Escallier, stellte Austin klar, dass nur er selbst das Recht habe, über derartige Vereinbarungen zu entscheiden. Das Eingreifen des Pentagonchefs wurde von den Republikanern lautstark begrüßt, die das Thema für den Präsidentschaftswahlkampf auszuschlachten versuchen.

Mohammad wird als »Mastermind« des 11. September, aber auch wegen vieler anderer Anschläge, beschuldigt. Den mit ihm zusammen angeklagten Walid bin Attasch und Mustafa Al-Hawsawi werden zentrale Rollen bei der Vorbereitung der Angriffe vorgeworfen. Hawsawi soll sich um die Finanzierung der geplanten »Operation« gekümmert haben, Attasch habe Flugzeugentführer ausgebildet.

Alle drei wurden vor über 20 Jahren von US-Spezialkräften in der pakistanischen Metropole Karatschi festgenommen: Mohammad und Hawsawi am 1. März 2003, Attasch am 29. April 2003. Anschließend wurden sie mehrere Jahre lang in geheimen Folterstätten gefangengehalten, die der Auslandsgeheimdienst CIA in mehreren Ländern unterhielt, bevor sie nach Guantanamo verlegt wurden. Die Existenz dieser geheimen Haftanlagen und die exzessive Anwendung von Foltermethoden können sich offenbar auf einen so breiten Konsens in der US-amerikanischen Gesellschaft stützen, dass sie bis heute nicht kritisch aufgearbeitet wurden und niemand in diesem Zusammenhang zur Rechenschaft gezogen wurde.

Über den Inhalt der von Escallier unterzeichneten und von Austin widerrufenen Abmachungen mit den Anwälten der drei Gefangenen gibt es weder in der Pressemitteilung vom Mittwoch noch in der vom Freitag irgendwelche Aussagen. Anders verhält es sich offenbar mit einem Brief des zuständigen Chefanklägers an die Familien der Todesopfer des 11. September, den die New York Times am Mittwoch durch einen Link öffentlich machte. Die Angeklagten hätten zugestimmt, sich in einem Prozess in allen Punkten schuldig zu bekennen, wenn garantiert wird, dass sie nicht zum Tod verurteilt werden, heißt es in diesem Brief.

23 Jahre nach dem 11. September wurde erst ein einziger Prozess gegen einen Beschuldigten abgeschlossen: Zacarias Moussaoui wurde im Mai 2006 mit der Begründung, er habe die Absicht gehabt, an den Flugzeugentführungen teilzunehmen, zu lebenslanger Haft verurteilt. Er war schon mehrere Wochen vor dem 11. September 2001 festgenommen worden, weil er sich bei Flugstunden verdächtig benommen haben soll.

Ein Versuch während der Amtszeit von Präsident Barack Obama, das Lager in Guantanamo zu schließen und Prozesse vor ordentlichen Gerichten in den Vereinigten Staaten, statt vor Militärtribunalen auf Kuba durchzuführen, scheiterte im Mai 2009: Mit 90 gegen sechs Stimmen entschied der US-Senat, das Lager bestehen zu lassen, und verbot, auch nur einen einzigen Gefangenen von dort in eine Haftanstalt auf dem Gebiet der USA zu verlegen. Die meisten Demokraten im Senat stimmten damals mit den Republikanern gegen Obama.

Aufgrund der Schwierigkeit, einzelnen Angeklagten eine konkrete Schuld in Zusammenhang mit dem 11. September nachzuweisen – zumal nach mehrjährigen Folterungen, die frühere »Geständnisse« entwerten –, finden seit mindestens 27 Monaten Verhandlungen über vorgerichtliche Abmachungen statt. Im September vorigen Jahres wurde bekannt, dass US-Präsident Joseph Biden es abgelehnt hatte, den Bedingungen mehrerer Anwälte zu entsprechen. Diese wollten für ihre Klienten eine Garantie aushandeln, dass ihnen die Todesstrafe erspart bleibt, sie nicht in Einzelhaft gehalten werden und sie Behandlungen wegen der posttraumatischen Folterschäden bekommen können.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (5. August 2024 um 09:36 Uhr)
    Irritierend hier der sprachliche Umgang mit Kuba. Guantanamo ist eine Völkerrechtswidrig durch die USA besetzte Halbinsel und nicht Kuba, so viel Zeit muss sein. Danke

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