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Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Comic

Ein urbaner Bacchus

Ein Sachcomic nicht nur für Kenner: Benoist Simmat und Daniel Casanave erzählen »Die unglaubliche Geschichte des Weins«
Von Herbert Bauch
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»Darum singen sie auch mit Ernst die Sänger den Weingott / Und nicht eitel erdacht tönet dem Alten das Lob«

Keinen Geringeren als Bacchus, den römischen Gott des Weines, des Rausches, des Wahnsinns und der Ekstase stellen uns Daniel Casanave und Benoist Simmat, die Autoren des Comicsachbuchs »Die unglaubliche Geschichte des Weins«, als Reisebegleiter an die Seite, um uns durch die Jahrtausende und über die Kontinente zu führen. Sie zeichnen ihn allerdings nicht als angesäuselten ältlichen Trunkenbold, sondern präsentieren ihn als smarten Hipster in kariertem Hemd und Blue Jeans mit Designerbrille und Vollbart. Ein urbaner Bacchus eben; einer, der sich auskennt, häufig aus dem Off kommentiert, aber den Akteuren im Panel auch das Wort lässt.

Glaubt man den Autoren oder dem Alten Testament, soll Noah, kaum der Arche entstiegen, als erstes einen Weinstock gepflanzt haben. Mit dieser Anekdote beginnt ein kurzweiliger Trip »von der Urzeit bis heute«, durch »die unglaubliche Geschichte des Weins«, die eng mit religiösen und mystischen Vorstellungen der Menschen verknüpft ist. So finden sich in der Bibel zahlreiche Begebenheiten, in denen Wein eine wesentliche Rolle spielt, beispielsweise das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana im zweiten Kapitel des Johannesevangeliums.

Die ältesten archäologischen Spuren der Weinherstellung wurden im Fruchtbaren Halbmond, im Nahen Osten und im Kaukasus gefunden. Zuerst domestiziert wurden die wildwachsenden Reben vermutlich in Anatolien. Bei den Sumerern, den Erfindern der Keilschrift, taucht das Wort »Wein« erstmals auf einem Tontäfelchen auf und stellt somit die erste schriftliche Erwähnung des vergorenen Traubensaftes dar. Dort war er noch eine Kuriosität, doch bereits bei den Ägyptern hatte er sich etabliert und wurde als heiliges Getränk verehrt, das allerdings den oberen Klassen vorbehalten blieb. In der Antike war der Wein von sirupartiger Konsistenz und wurde meist mit Wasser gestreckt getrunken. Auch Honig, Öl, Myrte und Brombeeren wurden zugesetzt, um ihn zu würzen und zu versüßen.

Die Praxis der Versüßung hält sich bis heute. 1985 führte es zu einem handfesten Skandal, als bekannt wurde, dass österreichische Winzer ihren Weinen Monoethylenglykol zusetzten, das in Frostschutzmitteln Verwendung findet. So weit ging man in der Antike nicht. Der Wein war Statussymbol und Währung zugleich sowie Bestandteil religiöser Feste. Auch als Medizin fand das Getränk durch den Zusatz von Gewürzen und Kräutern Verwendung.

Kirchen und Klöster kultivierten nach dem Untergang des Römischen Reichs den Weinbau, dessen Konsum sich jetzt auf weitere Bevölkerungskreise verbreiterte. Der Comic zeichnet die Industrialisierung der Landwirtschaft und damit auch des Weinbaus auf, ebenso die Prohibition in den Vereinigten Staaten in den 1920er und 30er Jahren und die neueren Ansätze in der Önologie hin zu »ökologischen« Weinen. Mit einer fast unüberschaubaren Menge an Informationen, Zitaten und Erläuterungen führen die Autoren in elf Kapiteln in die Weltgeschichte des Weins ein. Manchmal etwas oberlehrerhaft, jedoch immer amüsant und gut lesbar.

Benoist Simmat/Daniel Casanave: Die unglaubliche Geschichte des Weins. Von der Urzeit bis heute, 10.000 Jahre Abenteuer. Aus dem Französischen von Yara Haidinger. Bahoe Books, Wien 2023, 292 Seiten, 29 Euro

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