75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. September 2024, Nr. 219
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 12 / Thema
Kunst in der DDR

Kein Grund zur Bescheidenheit

Bildende Kunst der DDR als Teil der deutschen Kunstgeschichte (Teil II und Schluss): Mit der Historie verbunden und in der Tradition großer Vorgänger
Von Peter Michel
12-13.jpg
Antifaschismus und Humanismus als Auftrag: Fritz Cremers Bronzeskulptur zu Ehren der Widerstandskämpfer im KZ Buchenwald in der heutigen Gedenkstätte Buchenwald

Politisch intendierte allgemeine Urteile über die Kunst aus der DDR, die stets Vorurteile waren, bestimmten lange Zeit die Diskussion. Sie sind bis heute nicht überwunden. Doch sie behindern den genauen Blick auf bildende Künstler und ihr Schaffen, auf das einzelne Werk, auf das künstlerische Individuum und sein Verhältnis zur gesellschaftlichen Realität, auf seine Wirkungsabsichten, auf seine Beziehungen zu kunsthistorischen Epochen oder konkreten Vorbildern aus der fernen oder nahen Kunstgeschichte.

Vielfältige Bezüge

Der Leipziger Maler Werner Tübke äußerte einmal, er sei ein Maler, dem der Sinn für historische Distanz fehlt. Die Menschheit habe viele tausend Jahre gebraucht, um sich auf den Höhepunkt der Renaissance hochzuarbeiten. Im 19. Jahrhundert habe ein Formzerfall eingesetzt, dem er sich nicht anschließen wolle.¹ Sein Panoramagemälde auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen, eingeweiht 1989, ist heute eine beliebte und stark frequentierte Attraktion für Besucher aus ganz Deutschland und dem Ausland, obwohl man in der »Wendezeit« zunächst nicht wusste, wie man damit umgehen sollte. Dieses Rundbild ist noch immer das größte auf Leinwand gemalte Ölgemälde der Welt und nicht auf ein historisches Ereignis, sondern auf eine ganze Geschichtsepoche fixiert.

Es steht sowohl mit seinem geistigen Anspruch als auch mit seiner Formauffassung für eine bestimmte Richtung in den kunstgeschichtlichen Bezügen der in der DDR entstandenen Kunst. Für Tübke waren es vor allem die italienischen Manieristen des 16. und 17. Jahrhunderts, die ihn anregten: Rosso Fiorentino, Jacopo da Pontormo, Parmigianino und Agnolo Bronzino. Diese Formensprache griffen wenige auf. Heinz Zander, Günter Glombitza und andere entwickelten auf jeweils eigene Art eine ähnliche, von der Malerei der Renaissance inspirierte Kunst. Anklänge an solch detailverliebte, streng an der Wirklichkeitserscheinung bleibende, zu Übertreibungen der Form neigende Malerei gibt es auch bei Arno Rink, in dessen Bildern ästhetisierende Gebärden zunächst einen artifiziellen Eindruck hinterlassen. Er verstand es jedoch, solche Mittel für zutiefst humanistische Sujets zu nutzen, etwa für seine sinnlichen Menschendarstellungen oder für Bilder zum faschistischen Terror in Chile. Sein gesamtes Wirken hinterließ in der jüngeren Generation Spuren, die heute noch zum Beispiel im Schaffen Neo Rauchs und Michael Triegels spürbar sind.

Andere suchten im Phantastischen Realismus mit surrealen Zügen ihre Anregung. Das war kein äußerlicher, nur an bestimmten Formzusammenhängen interessierter Vorgang; er hatte seine Ursache in der Persönlichkeitsstruktur von Künstlern. Es ging ihnen nicht darum, etwas nachzuahmen; es ging um ein subjektiv notwendiges Erfassen des geistigen Gehalts und um die Anverwandlung für die eigenen künstlerischen Absichten. So mischen sich zum Beispiel in Horst Sakulowskis Malerei – unter anderem in seinen Gemälden »Die Verantwortung« oder »Der Traum des Diktators« – realistische und surreale Elemente zu einer Einheit, die zwar an Salvador Dalí erinnert, aber keinen Surrealismus hervorbringt. Er versucht durch provozierende, aufstörende Kombinationen und absurde Realitätszerstörungen die scheinbar heile Welt bürgerlicher Verhältnisse zu desillusionieren. Mit der geistigen Hintergründigkeit und visionären Kraft solcher Werke wird eine Tradition fortgesetzt, die bei Albrecht Altdorfer, Jörg Ratgeb, Hans Baldung Grien und Matthias Grünewald beginnt.

So vereinen sich – nicht nur bei Sakulowski – im Akt des Bildermachens das tief verinnerlichte Wissen um eine reiche, spannungsvolle Kunstgeschichte und die Selbstvergewisserung in einer widersprüchlichen Gegenwart. Kunst entsteht eben nicht nur als Reaktion auf die Wirklichkeit, sondern auch im Blick auf andere Kunst.

Die Impressionisten beeinflussten in unterschiedlicher Weise nicht nur den bekannten Usedomer Maler Otto Niemeyer-Holstein, sondern auch solche Künstler wie Dieter Rex, dessen Gemälde oder Pastelle sich durch feinste Farbverläufe auszeichneten, Werner Haselhuhn, der von manchem Kollegen der »heimliche van Gogh der DDR« genannt wurde, oder Günter Brendel, der in seinen Stadtlandschaften und Stilleben fest in dieser Überlieferung stand. Vor allem aber war die Dresdener Malschule bis zur »Wende« eng mit impressionistischen Traditionen verbunden. Hier wurde die Überlieferung unter anderem von Robert Sterl aufgegriffen und vital im Werk von Bernhard Kretzschmar, Theodor Rosenhauer und anderen weitergeführt; Siegfried Klotz kann man als den letzten großen Repräsentanten dieser Schaffensrichtung bezeichnen, und es ist sehr zu bedauern, dass sie nach 1990 nicht weitergeführt wurde.

Die andere Moderne

Paul Cézanne war für viele Künstler schon während des Studiums der große Anreger und wirkte – zum Beispiel bei Harald Metzkes – bis weit in ihr späteres Schaffen hinein. Er hatte zugleich gewarnt: »Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, die schönen Formeln unserer Vorgänger beizubehalten (…).«² Die klassische Moderne war Vorbild und Anreger für Maler, Graphiker, Bildhauer, Grafikdesigner, Kunsthandwerker, Umweltgestalter und anderen in der DDR, den jeweils eigenen Weg – über unterschiedliche Entwicklungsphasen – zu erkunden. Wenn der Kunstwissenschaftler Peter H. Feist für in der DDR entstandene herausragende Werke den Begriff »die andere Moderne« einführte, so bezog er sich auch auf das Weiterwirken des Erbes von Paul Cézanne, der als »Vater der Moderne« in die Kunstgeschichte einging.

Willi Sitte setzte in seinem Werk den Beginn der Moderne früher an: bei Gustave Courbet, dem er eines seiner großen Bilder – »Mein Atelier« – widmete. Dort zitierte er nicht nur Courbet, sondern stellte auf drastische Art Beziehungen zur Gegenwart von 1976/77 her. Sittes Erbebezüge gingen jedoch weiter: zu Pablo Picasso, Fernand Léger, Eugène Delacroix, Lovis Corinth, Renato Guttuso, Paul Klee, zu den Fauves … Es ist ein ganzer Kosmos, in dem er sich bewegte. Er begann in seinen frühen Jahren unter anderem mit Formen des Realismus seit dem 14. Jahrhundert, befragte die Nazarener und fand später zu beinahe abstrakten Gestaltungen.

Alles das war notwendig, um einen eigenen, unverwechselbaren Stil zu finden, mit dem er ganze Gedankenkomplexe und Erlebniswelten wie in seinen Simultanbildern aufbauen konnte. Zugleich kehrte er immer wieder zur Kunst des Mittelalters, der Renaissance und des Barock zurück. Für seinen »Höllensturz in Vietnam« nutzte er den »Höllensturz« von Peter Paul Rubens als großen Anreger. Auch die sakrale Form des Triptychons taucht in seinem Werk immer wieder auf, teilweise weiterentwickelt zu unterschiedlichen Formen des Mehrtafelbildes, in denen er mit Teilen des Flügelaltars frei umging. So stellte er in seinem Nicaragua-Bild »Sie wollten nur lesen und schreiben lehren« die eigentlich querformatige, den Altar nach unten abschließende Predella senkrecht als Haupttafel in die Höhe, um ein ermordetes Lehrerpaar zu ehren. Es ist heute leider noch immer üblich, Sitte wegen seiner politischen Haltung einen »umstrittenen« Künstler zu nennen. Dabei wird oft vergessen, welch großen Beitrag gerade er für die deutsche Kunstgeschichte leistete. Sittes Freund, der Maler Willi Neubert, fand ebenfalls in Pablo Picasso und Renato Guttuso seine wichtigsten Inspiratoren; seine Diskussionsbilder und sein »Schachspieler« haben ihren Platz nun in der gesamtdeutschen Kunstgeschichte.

Spuren der deutschen romantischen Malerei kann man in Konrad Knebels Bildern finden, in denen der Reiz und die verhaltene Schönheit erzgebirgischer Bergbaulandschaften ebenso zu einem Erlebnis werden wie die elegischen Darstellungen alter, grau gewordener oder zum Abriss bestimmter Berliner Häuser, die Symbole des menschlichen Vergehens sind. Eines dieser Gemälde trägt den Titel »Requiem«. Manche nennen Knebel den »Canaletto vom Prenzlauer Berg«, doch diese Zuordnung trifft nicht den Kern seines Schaffens.

Wer nach Impulsen für die Erneuerung des Historienbildes sucht, wird in reichem Maß bei Bernhard Heisig fündig. Auch seine Bilder wirken simultan: konkrete Ereignisse, Metaphern und mythologische Bezüge durchdringen einander. Sein gesamtes Schaffen wird immer wieder von den Traumata seiner Kriegserlebnisse bestimmt. Er stellt sie in größere geschichtliche Zusammenhänge, wenn er sich zum Beispiel mit der Pariser Kommune oder mit preußischer Geschichte auseinandersetzt – und das alles in einer furiosen, expressiven malerischen Handschrift, die den Betrachter mitreißen kann. Auch in Heisigs Gesamtwerk wirkt ein ganzer Komplex kunsthistorischer Bezüge. Zu Max Beckmanns Kunst hatte er ein besonderes Verhältnis. Seine Bilder und Druckgraphiken sind seit vielen Jahren in ganz Deutschland bekannt. Johannes Heisig führt – wieder auf eigene Weise – das Werk seines Vaters weiter. Hier werden Qualitätsmaßstäbe gesetzt, die für die gesamtdeutsche Kunstgeschichte von Bedeutung sind.

In der Malerei der Neuen Sachlichkeit fanden beispielsweise Wilhelm Lachnit, Erich Gerlach, Wolfgang Mattheuer, Uwe Pfeifer, Monika Geilsdorf, Wilfried Falkenthal und Norbert Wagenbrett ihre Anreger. Otto Dix wirkte mit seiner ­veristischen Formensprache nicht nur auf Hans und Lea Grundig sowie auf Curt Querner, sondern auch auf Norbert Wagenbrett und andere. Der deutsche Expressionismus beeinflusste Angela Hampel, Steffen Fischer, Andreas Dress und andere Künstler vor allem der jüngeren Generation. Anklänge an den sozialkritischen Realismus der proletarisch-revolutionären Kunst erkennt man im Schaffen der Leipziger Malerin Doris Ziegler. Zur Kunst der Naiven hatten Albert Ebert und Rolf Werner eine besondere Neigung; auch Thomas J. Richter findet hier Antriebe für seine eigenwillige, lust- und phantasievolle, für das Glück der Menschen in einer unmenschlichen Umwelt engagierte Kunst.

Sieht man Heidrun Hegewalds Zeichnung »Als Nadine starb«, kommt sofort die Erinnerung an das Blatt »Frau mit totem Kind« von Käthe Kollwitz, wobei Hegewald zwar geistig eng mit dieser großartigen Künstlerin verbunden ist, aber ihre eigene unverwechselbare, aufstörende Formensprache entwickelte. Kollwitz’ Einfluss spürt man auch in einigen steinernen Skulpturen von Marguerite Blume-Cárdenas oder in Gerhard Rommels großer Bronze »Die Illegalen«, einer eng zusammengedrängten Menschengruppe, wie sie auch Kollwitz in ihrer Plastik »Turm der Mütter«² darstellte. Ernst Barlachs Skulpturen, die auch in kleinen Formaten monumental wirken, gehören ebenso zu den großen Anregern. Der Graphiker, Maler und Bildhauer Rolf Kuhrt schlug einen Engel aus Sandstein, der im Geist des »Schwebenden Engels« von Barlach auf einem Friedhof bei Güstrow zur Ehrung der Toten schwer auf die Erde herabsteigt.

Humanistische Zeugnisse

In der Berliner »Ateliergemeinschaft Klosterstraße«, die von 1933 bis gegen Ende des Zweiten Weltkrieges unter komplizierten politischen Bedingungen bestand, arbeiteten rund 40 Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Kunstbereiche, darunter neben Käthe Kollwitz auch die Bildhauer Hermann Blumenthal, Gerhard Marcks und Heinz Worner, deren künstlerisches Erbe in beiden deutschen Nachkriegsstaaten wirkte. Auf dem Boden der DDR griffen zahlreiche Bildhauer deren Vermächtnis konsequent auf und brachten es in die Öffentlichkeit. Waldemar Grzimek, Fritz Cremer, René Graetz, Will Lammert, Heinrich Drake, Theo Balden, Walter Arnold, Ludwig Engelhardt, Gerhard Thieme, Jo Jastram, Werner Stötzer, Helmut Heinze, Ingeborg Hunzinger, Friedrich B. Henkel, Wieland Förster, Claus-Lutz Gaedicke, Klaus Schwabe, Peter Makolies und zahlreiche andere Bildhauer prägten den hohen Anspruch der Plastik in der DDR. Sichtbar ist er in den Mahn- und Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück, in weiteren Denkmal- und Parkanlagen, auf Ehrenfriedhöfen, in Sammlungen von Kleinplastiken, in architekturbezogenen und freistehenden Bildwerken – auch im Ausland: in New York, Wien, Nagasaki, Mauthausen oder im türkischen Antalya. In der Bildhauerei der DDR spürt man den Einfluss von Wilhelm Gerstel, Wilhelm Lehmbruck, Alberto Giacometti, von Ossip Zadkine ebenso wie von Constantin Brâncuși, Hans Arp und Henry Moore. Und schließlich sind in den Arbeiten von Hermann Glöckner – exemplarisch in seinem metallenen »Mast mit zwei Faltungszonen« in Dresden – Bezüge zum Erbe des Bauhauses unverkennbar. Alles das ist Teil einer gesamtdeutschen Kunstgeschichte. Wenn heute Denkmale in derart abstrahierter Form realisiert werden, dass der eigentliche Zweck kaum noch erkenn- und erlebbar ist, kann ein Blick auf die großen Möglichkeiten figürlicher Plastik ein Korrektiv sein. Das humanistische Erbe dieser Bildhauer droht in der Kunst der Gegenwart unterzugehen. Man huldigt heute dem Irrtum, das Neueste sei stets das Beste.

Zur deutschen Kunstgeschichte gehören die maßstabsetzenden Metallarbeiten von Fritz und Achim Kühn, von denen in der »Nachwendezeit« viele zerstört oder gestohlen wurden, oder von Erich John, dem Schöpfer der Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz. Auch von Formgestaltern, Kunsthandwerkern, Plakat- und Buchgestaltern, Typographen, Szenenbildnern und Fotografen gibt es Leistungen, die aus der Kunstgeschichte nicht wegzudenken sind. Die DDR war ein Land, in dem die Handzeichnung und die Druckgraphik eine Blüte erlebten. Namen wie Arno Mohr, Gerhard Kettner, Karl-Georg Hirsch und viele andere stehen dafür. Zu den im gegenwärtigen Deutschland nicht wiederholbaren Leistungen der DDR zählt das von Betrieben, Gewerkschaften und anderen Trägern finanzierte bildnerische Volksschaffen.

Die Karikatur hatte internationales Niveau. Der kürzlich verstorbene Zeichner und Schriftsteller Harald Kretzschmar sorgte dafür, dass Karikaturisten mit kritisch-politischem und künstlerischem Anspruch arbeiten konnten, dass sie lernten, sich gegen Widerstände durchzusetzen, und dass neue Talente gefördert wurden. Die Kunstform der Karikatur kam in den besten Leistungen ohne plumpe Witze aus; sie reagierte sensibler auf Kritikwürdiges, forderte – wie bei der Rezeption anderer Kunstformen – den Intellekt heraus, auch deshalb, weil ihre Betrachter gelernt hatten, zwischen den Zeilen zu lesen. In der Sammlung des »Satiricums« Greiz kann man sich heute davon überzeugen, auch von den engen Verbindungen zur Geschichte der Karikatur.

Internationale Verflechtungen

1967 wurde die erste »Intergrafik«, eine weltoffene Ausstellung engagierter Graphik, gezeigt. Bis zu ihrem Ende 1990 fand sie neunmal in Berlin statt. Zuletzt nahmen 1.258 Künstler aus 68 Ländern teil. Besondere Verdienste um diese weltoffene Ausstellung engagierter Graphik erwarben sich Lea Grundig und Ronald Paris. Die Ostseebiennale in Rostock vereinte seit 1965 Künstler aus allen Ostseeanliegerstaaten, Norwegen und Island. Sie wurde 1996 wieder aufgenommen. Zu den internationalen Veranstaltungen in der DDR gehörten auch das Keramiksymposium im thüringischen Römhild und zahlreiche Bildhauersymposien wie in Hoyerswerda. Künstler aus der DDR nahmen an Ausstellungen, Symposien, Wettbewerben und Leistungsschauen im Ausland teil, unter anderem in Bologna (Italien), Kuopio (Finnland), Kraków (Polen), Gabrovo (Bulgarien), Prag, Brünn und Jablonec nad Nisou (Tschechoslowakei) in Paris und andernorts. Verträge zwischen den Künstlerorganisationen wurden nicht nur mit den ehemals sozialistischen Ländern abgeschlossen, sondern auch mit Frankreich, Finnland, Italien, Österreich, Dänemark und Nicaragua. Es gab Solidaritätsaktionen von Künstlern mit Vietnam, Kuba, afrikanischen Ländern und Nicaragua. Professoren aus Kunsthochschulen der DDR lehrten an Bildungseinrichtungen des Auslands zum Beispiel in China und in der Schweiz. Für einen regen kulturellen Austausch sorgten DDR-Kulturzentren in Schweden und Finnland. Staat und Künstlerverband halfen bei der Finanzierung solcher Aktivitäten. Künstlerfreundschaften, die damals entstanden, halten teilweise bis heute.

Im Ausland verfolgte Künstler fanden in der DDR Zuflucht und Arbeitsmöglichkeiten. Josep Renau und Nuria Quevedo aus dem von Franco beherrschten Spanien gehören dazu; auch Hernando León und viele Kulturschaffende, die nach dem faschistischen Putsch in Chile in die DDR kamen. Junge Leute aus Vietnam, Nicaragua, Indonesien und weiteren Ländern studierten an Kunsthochschulen der DDR. Der italienische Maler, Graphiker und Architekt Gabriele Mucchi pendelte ständig zwischen Mailand und Berlin; er war ein gefragter Partner für anspruchsvolle und eigenwillige Realisten in der DDR.

Die im Dresdener Albertinum 2023/24 gezeigte Ausstellung »Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR« war ein Versuch, sich diesem Thema zu nähern. Sie wurde der Komplexität dieses Gegenstandes nicht gerecht. Die Veranstalter verwiesen selbst darauf, dass weitere Forschungsarbeiten dazu notwendig seien. Hoffentlich konzentriert man sich dann mehr auf die Kunstwerke und nutzt sie nicht nur zur Illustration vorgefasster Thesen.

Dieser historische Rückblick, auch wenn er nicht vollständig sein kann, macht deutlich, dass es keinen Grund gibt, im Prozess der deutschen Einheit bescheiden zurückzutreten oder Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle zu entwickeln. Wer künftig Kunstgeschichte schreibt, kann an dem in der DDR Geleisteten nicht vorbeigehen.³

Anmerkungen

1 Vgl. Peter Michel: Künstler in der Zeitenwende, Bd. I. Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2015, S. 309

2 Diese Plastik entstand 1937/38 und zeigt Mütter, die ihre Kinder schützen. Sie wurde 1938 aus der Weihnachtsausstellung der »Ateliergemeinschaft Klosterstraße« von den Nazis entfernt.

3 Einige Kunstwissenschaftler aus der DDR übergaben in der »Nachwendezeit«, als sich im zusammengeschobenen Deutschland kaum jemand dafür interessierte, dem Kunstforschungszentrum im Getty Center Santa Monica (USA), Chefbibliothekar Mel Edelstein, Dokumente und persönliche Materialien zur weiteren Forschung. Auch an deutschen Universitäten nimmt die Beschäftigung mit Aspekten der Kunstgeschichtsforschung zur DDR zu. April Eisman von der Iowa State University (USA) forschte acht Monate an der Technischen Universität Dresden zur Kunst in der DDR und beschäftigt sich seit langem mit dem Schaffen von Künstlerinnen. Unter dem Titel »Kunst und Politik« erschien ein Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft (Band 2/2020) mit dem Schwerpunkt »Kunst der DDR – 30 Jahre danach«.

Teil I erschien in der Ausgabe vom Wochenende.

Peter Michel ist Kunstwissenschaftler und Publizist. Er leitete von 1974 bis 1987 die Zeitschrift Bildende Kunst.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Das kulturelle Erbe der DDR nicht unbedacht preisgeben. Ronald P...
    03.08.2024

    Unverwechselbar eigenständig

    Bildende Kunst der DDR als Teil der deutschen Kunstgeschichte (Teil I): Selbständig interpretierter Realismus.
  • Ronald Paris: Lob des Kommunismus (1969), 11 x 2 m (Foto: DDR Mu...
    12.08.2023

    Gemalte Utopie

    Ein Hoffnungsbild und ein Totentanz. Dem Realisten Ronald Paris zum 90. Geburtstag
  • Hat die Kunst fest im Griff: Gabriele Mucchi mit Katalog neben s...
    10.05.2022

    Frei von starren Regeln

    Vor 20 Jahren starb der italienische Künstler Gabriele Mucchi