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Aus: Ausgabe vom 05.08.2024, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Dritter Anlauf

Zu jW vom 29.7.: »Moskau zieht nach«

Die sogenannte Kubakrise 1962 konnte gelöst werden, weil es einen Deal gab, den die Sowjetunion gemeinsam mit den USA vereinbart hatte. Kurz: keine Stationierung von nuklear bestückbaren Raketen auf Kuba. Im Gegenzug, zeitverzögert und gesichtswahrend, Abbau der US-Mittelstreckenraketen in Norditalien und in der Türkei. Jahre später wollten die USA Erstschlagswaffen (»Pershing II«), diesmal auf bundesdeutschem Territorium, stationieren. Die bis dahin größte Friedensbewegung wurde zu einer Widerstandsbewegung, die selbst den Bundeskanzler Helmut Schmidt so in die Enge trieb, dass er einen möglichen Verzicht der Modernisierung des sowjetischen Nukleararsenals den USA als Verhandlungsmasse vorschlug. Im weiteren Verlauf wurde unter Federführung Ronald Reagans und Michail Gorbatschows die Nullösung geboren: keine SS-20, aber auch keine »Pershings« und Cruise-Missiles. Nun also der dritte Anlauf. Und endlich ein in sich stimmiger Satz des Bundeskanzlers: »Ich begrüße die Entscheidung der USA, die Raketen in Deutschland zu stationieren.« Weil Deutschland allen Gebetsmühlen zum Trotz kein souveräner Staat ist und weil die Ampel dies auch gegenüber den USA stolz verkündet, darf Scholz sich dieser Klartextsyntax bedienen und im Alleingang entscheiden, auch ohne das Notstandsgesetz abrufen zu müssen. Würde Scholz Souveränität simulieren und seinem geleisteten Amtseid Folge leisten, müsste er zumindest den Satz so beginnen. »Ich nehme den Wunsch der USA zur Kenntnis, diese Raketen … stationieren zu wollen.« Dann müsste er aber noch hinzufügen: »Ich muss nur noch schnell meine Leute (Parlament) der guten demokratischen Fassade wegen befragen. Die große Mehrheit beherrscht aber das Kopfnicken genauso gut wie ich.« Ja, und dann? Dann wird es nicht möglich sein, Täter und Opfer aus nuklearer Asche herauszudestillieren.

Hans Schoenefeldt, per Mail

Unkenntnis oder Missachtung?

Zu jW vom 17.7.: »Vereinsgesetz gegen Compact«

Natürlich ist die Zeitschrift Compact fürchterlich und enthält wahrscheinlich auch Artikel, die mit den Grundgedanken des Grundgesetzes nicht vereinbar sind. Dagegen vorzugehen, geht aber nur mit rechtsstaatlichen Mitteln. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat mit ihrem Verbot der Zeitschrift gezeigt, dass sie das Grundgesetz entweder nicht kennt oder bewusst missachten will. Dort ist nämlich eindeutig geregelt, unter welchen Voraussetzungen nach Artikel 9 Absatz 2 eine Vereinigung verboten werden kann, und weiter in Artikel 21, unter welchen Voraussetzungen eine Partei verboten oder von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden kann, und schließlich in Artikel 18, welche Grundrechtseinschränkungen eine Person in Kauf nehmen muss, wenn sie die Pressefreiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht. Dann kann eine Verwirkung des Grundrechts auf Pressefreiheit eintreten, die ein Verbot der Herausgabe einer Zeitung zur Folge hätte. In Artikel 18 steht aber auch, dass ein so schwerwiegender Eingriff in die Pressefreiheit nur durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden kann. Eine Bundesinnenministerin, die das im Grundgesetz nicht nachlesen kann oder will und sich statt dessen die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts anmaßt, sollte zurücktreten.

Hans-Henning Adler, per Mail

Frage der Perspektive

Zu jW vom 20./21.7.: »Neues aus der Grauzone«

Weil hier zweimal der schwammige Begriff »Rechtsstaat« vorkommt: Man denkt unwillkürlich an das Begriffspaar Rechtsstaat/Unrechtsstaat, also BRD gleich Rechtsstaat, DDR gleich Unrechtsstaat. Was Recht ist und was Unrecht, kommt immer auf die Perspektive an. Der fortschrittliche Arbeiter, der sieht, wie der Kapitalist von der Ausbeutung seiner Arbeitskraft immer reicher wird, wird sich die »Expropriation der Expropriateure« herbeisehnen. Der Ausbeuter wird das als himmelschreiendes Unrecht empfinden. Deshalb auch die nie endende Propaganda vom Unrechtsstaat DDR.

Franz Schoierer, per Mail

Kaum beachtet

Zu jW vom 22.7.: »Historische Entscheidung«

In den meisten deutschen Massenmedien fand dieses IGH-Gutachten bisher nur kurz Erwähnung, obwohl es eindeutig die Wurzel des palästinensisch-israelischen Konflikts beschreibt. Seitdem wird darüber geschwiegen, während gleichzeitig jeder »propalästinensische« Protest – den es ohne die völkerrechts- und menschenrechtsverletzende israelische Besatzung der Palästinensergebiete gar nicht gäbe – zur antisemitischen Ausschreitung verzerrt und skandalisiert wird. Keine offiziellen Stellungnahmen des Bundeskanzlers und der Außenministerin, keine Besprechungen und Diskussionen in den großen Tageszeitungen und Magazinen, kein »ARD-Brennpunkt«, kein »Maybrit Illner«, keine Sondersendungen zum Thema, im Gegensatz zu anderen, weniger bedeutsamen Entscheidungen internationaler Gerichte. Es wird einfach darüber geschwiegen. Man geht darüber hinweg und macht Business as usual. Der Tagesspiegel bat zusätzlich zur Nachrichtenmeldung noch einen deutschen Völkerrechtler um einen bewertenden Kommentar, welcher das Urteil voll und ganz bestätigte. Bei der Frankfurter Rundschau beließ man es bei der einmaligen Meldung mit dem Titel: »Besatzung illegal – UN-Gericht bringt Israel in Misskredit« (!). In demselben Text wurden unmittelbar daran anschließend die zerstörerischen Angriffe der »Huthis« und der Hisbollah auf israelisches Territorium beschrieben, so als würden diese Israels Besatzungspolitik in irgendeiner Weise relativieren.

Marc Pilz, Cottbus

Sympathisant

Zu jW vom 19.7.: »Anschlag auf die Pressefreiheit«

Es fehlt nur noch, dass jemand, der Aristoteles liest, vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Denn der hat a) sich an die Logik gehalten, b) sich für vernünftige Argumentation stark gemacht und c) ganz andere Verfassungen diskutiert und vorgeschlagen. Ich gebe zu, dass ich sehr mit Aristoteles sympathisiere.

Dieter Kaufmann, Heidelberg

Der fortschrittliche Arbeiter, der sieht, wie der Kapitalist von der Ausbeutung seiner Arbeitskraft immer reicher wird, wird sich die ›Expropriation der Expropriateure‹ herbeisehnen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!