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Aus: Ausgabe vom 06.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Am Wendepunkt

Faschistische Krawalle in Großbritannien. Gastkommentar
Von Morning Star
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Die Pogrome waren von den ultrarechten Brandstiftern gut organisiert (Rotherham, 4.8.2024)

Die Welle extrem rechter Ausschreitungen reißt nicht ab. Der schreckliche Angriff auf ein Hotel, in dem Asylsuchende in Rotherham untergebracht waren, und der gezielte Versuch, Flüchtlinge zu verbrennen, sind ein Wendepunkt.

Kein Versuch, diese Grausamkeit zu rationalisieren, ist akzeptabel. Die (schnell gelöschte) Erklärung einer in dieses Amt gewählten Polizeibeamtin von den Tories, die behauptete, die Banden seien durch den »Wunsch motiviert, die Souveränität Großbritanniens zu schützen (…) die britischen Werte zu bewahren und (…) die illegale Einwanderung zu stoppen«, war ein beschämender Versuch, den Rassenhass zu verschleiern. Es war eine Rechtfertigung dafür, dass Menschen andere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe angreifen und zu töten versuchen.

So wird eine ernsthafte Analyse der Wurzeln des anwachsenden Faschismus verhindert. Erstens sind da die tiefen sozialen und wirtschaftlichen Missstände, die die britische Gesellschaft ab 2008/2009 erfasst haben. Die Folgen von 45 Jahren Deindus­trialisierung und Niedergang des öffentlichen Dienstes – sinkender Lebensstandard und die Erosion stabiler Gemeinwesen durch den Verlust sicherer Arbeitsplätze – haben den Boden bereitet, auf dem der Faschismus gedeihen kann.

Erschwerend kommt hinzu, dass die etablierten politischen Parteien keine schlüssige Alternative bieten. Keine langfristige Strategie, um der extremen Rechten eine Niederlage zu bereiten, kann die Notwendigkeit ignorieren, mit dem neoliberalen Alptraum zu brechen und eine Wirtschaftsstrategie zu verfolgen, die die Ungleichheit bekämpft, für allgemeine Beschäftigung sorgt und den öffentlichen Sektor wieder aufbaut. Um der extremen Rechten die Wachstumschancen zu nehmen, sind eine Strategie für Industrieinvestitionen und der Wiederaufbau der produktiven Ökonomie unabdingbar.

Zweitens haben Politiker verzweifelte Flüchtlinge zu Feindbildern erklärt, um von der eigenen Mittäterschaft in einem Wirtschaftssystem abzulenken, das die Mehrheit der Bevölkerung über den Tisch zieht. Aussagen von Politikern, sie würden in Sachen Einwanderung hart vorgehen, haben direkt zu dem beigetragen, was in Rotherham passiert ist.

Die Schrecken in Rotherham zeigen, dass die Krawalle nicht einfach ausgesessen werden können, dass man nicht darauf vertrauen kann, dass die Polizei Flüchtlinge, Muslime oder schwarze Gemeinden schützt. Für einen Großteil der Linken und für die Gewerkschaftsbewegung bedeutet dies angesichts der sehr realen Bedrohung durch die Gewalt der Faschisten, dass sie die Methoden früherer Generationen neu erlernen müssen, um die Neonazibedrohung zu isolieren, zu widerlegen und, wo nötig, direkt zu konfrontieren.

Gekürzte Fassung eines redaktionellen Kommentars, den der Londoner Morning Star am Sonntag veröffentlichte. Übersetzung aus dem Englischen und Bearbeitung: Arnold Schölzel

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