»Die Mafia hat die Kontrolle übernommen«
Interview: Johannes Wilm, AsunciónEnde Juli stufte die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit Paraguays auf »Investment Grade« herauf. Damit erreicht das Land die erste Stufe des Ratings. Ist Paraguay ein prosperierendes Land?
Nein, die Lage ist schlecht und verschlechtert sich weiter. Die zentralen Kämpfe des Landes drehen sich nach wie vor um die Menschenrechte – politisch, sozioökonomisch und ökologisch. Präsident Santiago Peña versucht, den Extraktivismus als Wirtschaftsmodell zu vertiefen und die diskretionäre Verwaltung öffentlicher und Pensionsgelder zu erweitern, was die Geldwäsche weiter intensiviert. Erst kürzlich hat er eine umstrittene Gesetzesreform zur Verwaltung der Pensionskassen durchgesetzt, was zu einem erheblichen gesellschaftlichen Widerstand geführt hat. Dennoch konnte er das Gesetz durchbringen, was den Unmut, insbesondere unter den Universitätsstudenten, weiter verstärkt hat.
Wie kam es zu dieser Situation?
Im Jahr 2012 orchestrierte Horacio Cartes, ein Drogenschmuggler und Geldwäscher, in Zusammenarbeit mit den USA einen parlamentarischen Putsch, um die fortschrittlichen Prozesse unter dem linken Präsidenten Fernando Lugo zu blockieren, die zu einer Ausweitung der Rechte und einer Verbesserung der Beschäftigung und Lebensqualität geführt hatten. Dank dieses Putsches gewann Cartes 2013 die Präsidentschaft. Heute regiert seine Marionette Santiago Peña, der die wenigen verbliebenen Institutionen weiter untergräbt. Die Narco-Finanzmafia und der Zigarettenschmuggel haben die Kontrolle über Paraguay übernommen, und in dem Land herrscht nun eine Art verdeckte Diktatur, bei der die Presse größtenteils kontrolliert wird.
2008 waren Sie Teil der Regierung des linken Präsidenten Fernando Lugo. Sie sollten die Bedingungen des Itaipú-Staudamms für Paraguay verbessern. Was waren die wichtigsten Aspekte Ihrer Arbeit?
Als Fernando Lugo 2008 zum Präsidenten gewählt wurde, ernannte er mich zum Koordinator der Verhandlungen mit Brasilien über den Itaipú-Staudamm. Dies war zweifellos meine wichtigste Aufgabe auf internationaler Ebene. Wir hatten mehrere Gespräche mit Präsident Lula da Silva, und die Verhandlungen führten schließlich zum erfolgreichen Abschluss des Lugo-Lula-Abkommens im Juli 2009. Zuvor wurde der Itaipú-Vertrag von 1973 als neokolonial angesehen, da er von der brasilianischen Militärdiktatur erzwungen und von dem paraguayischen Diktator Alfredo Stroessner akzeptiert worden war.
Warum hört man in bezug auf erneuerbare Energieträger international so wenig von Paraguay, obwohl es sich mit Brasilien bzw. Argentinien zwei große Wasserkraftwerke teilt?
Einer der wesentlichen Erfolge der Regierung unter Lugo war die Wiedererlangung der Souveränität über die Wasserkraft des Itaipú-Damms durch das Lugo-Lula-Abkommen, das die Entschädigungszahlungen an Paraguay verdreifachte. Seit dem Putsch konzentrieren sich die Regierungen mehr auf ihre illegalen Geschäfte als auf nachhaltige Entwicklung. Sie verkaufen unsere wertvolle Wasserkraft zu Schleuderpreisen, um ihre Verbindungen zu Oligarchen in Brasilien und Argentinien zu sichern, die ihnen im Gegenzug ihre illegalen Aktivitäten ermöglichen.
Wie steht es um die politische Linke in Paraguay?
Es gibt hierzulande leider keine starke Linke. Historisch lag der Stimmenanteil bei etwa zwei Prozent, mit Fernando Lugo erreichten wir auch mal zwölf Prozent. Im Gegensatz dazu gibt es in Ländern wie Brasilien und Argentinien eine weiter entwickelte Arbeiterklasse, während unser Land von einem extraktiven mafiösen Wirtschaftsmodell dominiert wird.
Glauben Sie, dass die Linke wieder an die Macht kommen kann?
Ja, das ist möglich. Wir haben es einmal ohne große Erwartungen geschafft, und wir können es wieder schaffen. Eine zukünftige Regierung müsste jedoch eine breite Koalition aus linker Bewegung und progressiver Bourgeoisie sein. Die nächsten Wahlen sind 2028.
Ricardo Canese ist ein paraguayischer Ingenieur und war von 2008 bis 2023 Mitglied im Parlament des Mercosur
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