Gretchens Strumpfhosen
Von Gisela SonnenburgDie Welt ist Strumpf. Eigentlich wussten wir das schon immer: Nylonstrümpfe spielen mit der Phantasie von glatter Haut, Beinerotik und viel Schönheit für wenig Geld. Die Künstlerin Miray Seramet aus Berlin, die die Kunsthochschule Weißensee besuchte, weiß noch mehr: Sie vernäht die zarten Textilien sorgfältig zu Bildern und Collagen, zu Installationen und Skulpturen. Die Ergebnisse sind mal lustig-kunterbunt, mal gediegen-elegant in Milchkaffeefarben. Immer aber begehren die Werke auf gegen das Modell des Frauenzimmers, das sich schicklich und nützlich anzustellen hat. »The Urge of Connection« (»Der Drang nach Verbindung«) heißt Seramets Ausstellung in Berlin, die sie – typisch für eine Selfmade Woman ihres Formats – selbst organisierte.
Im Werk triumphiert die Befreiung von weiterer Kleidung. Die Nylons stehen allegorisch für die ganze Frau. Frausein als Luxus, darüber nachzudenken, was Frauen von Männern unterscheidet. Männer haben im Schnitt 30 Prozent mehr Muskelausprägung, Frauen hingegen mehr Fettanteil im Gewebe. In Nylons aber haben sie alle die gleichen Chancen. Solange sie nicht treten oder springen.
Strumpfhosen lieben alle. Und alle Beine werden von Strumpfhosen geliebt. In Miray Seramets Installationen sind sie gut aufgestellt: lang strecken sie sich auf filzigem Grau, wenn sie nicht gerade praktisch-quadratisch gefaltet sind. Söckchen mit Spitzensaum setzen Akzente. Zusammengeknüllt und aufgerüscht ergeben sie Gebilde, die manchmal Aliens ähneln. Und Arbeiten an zwei Wänden beziehen sich auf das naive Gretchen aus Goethes »Faust«. Nur ist die tragische Figur hier weder tragisch noch naiv.
»Hildegard« heißt eine Referenz an die deutsche Oma der Künstlerin, »Havva« das Pendant, das der türkischen Großmutter huldigt. Diese wurde von ihrem Mann auf der Flucht vor Krieg in die neue Heimat getragen. Darum liegen hier strumpfbezogene, dazu fellüberzogene Gummireifen in der Nähe der Bilder. Das Tierische, Animalische, Kräftige der Männlichkeit dient der Weiblichkeit. So soll es sein.
Miray Seramet: »The Urge of Connection«, featured by Galerie PS 120, Potsdamer Str. 124, 10783 Berlin, bis 16. August 2024
Zur Finissage am Freitag, den 16. August, erhellt um 19.30 Uhr eine Tanzperformance mit Jorinde Juschka die Sinne: Was einer Weltenbummlerin in Strumpf so alles passieren kann
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