Blinder Aktionismus
Von Susann Witt-StahlDie Absage der Werbetournee der ukrainischen »Asow«-Sturmbrigade in Berlin, Hamburg und Köln sorgt für zufriedenes Aufatmen. Aber zu Kundgebungen gegen die Nazishows hatten vorher auffallend wenige Gruppen, vorwiegend aus dem antimilitaristischen Spektrum, mobilisiert. Es bleibe »die zentrale Frage«, warum die Partei Die Linke, die VVN-BdA, das Hamburger Bündnis gegen rechts etc. geschwiegen haben, so die ernüchternde Bilanz von Mehmet Yıldız, Martin Dolzer und Metin Kaya, die als einzige Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft protestiert hatten.
Eine Antwort liefern jahrelange (Nicht-)Positionierungen etablierter Antifastrukturen zum ukrainischen Faschismus. Trotz der Durchsetzung des Militär- und Sicherheitsapparats der Kiewer Regierung mit Banderisten und Neonazis wie Andrij Bilezkij, Kommandeur der »Asow«-Sturmbrigade, und der staatsoffiziellen Glorifizierung von Hitlerkollaborateuren: Einige stellen sich taub, andere spielen herunter – und was nicht zu leugnen ist, wird relativiert. Zum Beispiel kam die Autorin Lara Schultz, die in diversen Antifamagazinen publiziert, in der Ausgabe 195 von Der rechte Rand (April 2022) zu der »Schlussfolgerung, dass derzeit auf beiden Seiten Nazis kämpfen, auch gegeneinander«.
Die Aachener Ortsgruppe der »Omas gegen rechts« empfindet vor allem die Aktionen »linker und einiger ›friedensbewegter‹ Gruppen« als »besonders verstörend«, wenn diese Waffenlieferungen in die Ukraine sowie Sanktionen gegen Russland ablehnten und den Austritt aus der NATO forderten. Denn »dabei wird der Angriffskrieg Putins häufig relativiert, indem man die Schuldigen für diesen Konflikt im Westen und bei unseren Politiker*innen sucht«. Solcher Aktionismus gegen die antiimperialistische Linke und ausschließlich gegen die rechten Kräfte, die den Machtinteressen des Westens im Wege ist, dient derselben deutschen Bundesregierung, die sich 2023 ausdrücklich geweigert hat, verbündete faschistische Strukturen als »rechtsextrem« einzustufen: Etwa die »Asow«-Einheiten, obwohl diese Symbole der Waffen-SS verwenden, ebenso die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die einst deren Gehilfin beim Holocaust war, im Kalten Krieg für die »Organisation Gehlen« arbeitete und bis heute existiert.
Was der Politikwissenschaftler Reinhard Kühnl in den 1970er Jahren den bürgerlichen Faschismustheorien der Bonner Republik bescheinigte, trifft heute allemal auf das Gros des Antifaestablishments in der kriegstüchtigen »Zeitenwende«-Gesellschaft zu: Es fungiert als integrierender Faktor der Restaurationsideologie des deutschen Imperialismus – in dessen Schoß sich wieder der ukrainische Faschismus wiegt. Und so veranstaltete die »Ukrainian Freedom Force Foundation« nur zwei Tage nach Absage des »Asow«-Spektakels in München am Grab des Vernichtungsantisemiten Stepan Bandera eine Mahnwache – genehmigt von den Behörden der »wehrhaften Demokratie« und ungestört von deren Antifaschisten.
Spätestens seit 2022 agiert die Bandera-Lobby in Deutschland nach Belieben. Das belegt beispielsweise das Bremer Friedensforum mit dieser Zeitung zur Verfügung gestelltem Fotomaterial. Dieses zeigt, wie sich ukrainische Nationalisten regelmäßig auf dem Marktplatz der Hansestadt versammeln und unter anderem die Fahne des von »Asow«-Veteranen gegründeten Sabotageregiments »Kraken« schwenken. Es verwendet in seinem Truppenkennzeichen den gleichen nach oben gerichteten weißen Pfeil auf schwarzem Grund wie damals die 32. SS-Freiwilligen-Grenadier-Division »30. Januar«.
Wenn ukrainische Faschisten bei Aufmärschen in deutschen Städten, wie bei der Fußball-EM, »Asow«-Banner präsentieren und das »Gebet« der OUN brüllen, in dem Rache für Banderas Tod geschworen wird, dann schaut und hört nicht nur die deutsche Polizei weg – auch die imperiale Linke. Am 24. Februar 2024, dem zweiten Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine, hatten sich rund 150 von ihnen einer Großkundgebung von ukrainischen Rechten am Brandenburger Tor – mit OUN-Symbolen sowie Reden von Roderich Kiesewetter (CDU) und anderen Kriegspropagandisten – angeschlossen, darunter auch Aktivisten mit der Fahne der Antifaschistischen Aktion.
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