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Aus: Ausgabe vom 08.08.2024, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Vorstoß nach Russland

Ukraine greift Grenzbezirk Kursk an. Einige russische Dörfer besetzt, Kämpfe um Kreisstadt Sudscha
Von Reinhard Lauterbach
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Zerstörtes Haus nach ukrainischem Beschuss am Dienstag abend in der russischen Region Kursk

Seit Dienstag greifen ukrainische Truppen das Gebiet des russischen Grenzbezirks Kursk an. Nach Meldungen russischer Militärblogger kontrollieren sie zum Stand von Mittwoch mittag ein halbes Dutzend grenznahe Dörfer und versuchen, die Kreisstadt Sudscha zu erobern. Die Lage sei »ernst« und bei weitem nicht unter Kontrolle, schrieb am Mittwoch früh das Bloggerkollektiv War Gonzo; andere Autoren schließen sich dieser Einschätzung im wesentlichen an. Stellungnahmen von offizieller ukrainischer Seite gab es bis zum Mittwoch nicht.

Beim Beschuss russischer Grenzdörfer sind nach Angaben aus Kursk an den ersten beiden Tagen des Angriffs fünf Zivilisten getötet und 28 verletzt worden, darunter sechs Kinder. Womöglich sind die realen Zahlen höher, weil auch gemeldet wurde, dass Ärzte aus Moskau und St. Petersburg in die angegriffene Region abgeordnet worden seien. In Kursk wurde die Bevölkerung aufgerufen, Blut zu spenden.

Der ukrainische Angriff unterscheidet sich von früheren derartigen Vorstößen dadurch, dass er von deutlich größeren Verbänden vorgetragen wird. Die Rede ist von doppelter Bataillonsstärke, also zirka 1.000 Mann, und angeblich einer zusätzlichen Brigade als Reserve auf ukrainischem Gebiet. Russische Truppen beschießen die Angreifer mit »allem, was fliegt und explodiert«, wurde gemeldet.

Für das in 50 Kilometern Luftlinie von der Grenze gelegene Atomkraftwerk in der Stadt Kurtschatow südwestlich von Kursk bestand zunächst offenbar keine Gefahr. Am Mittwoch hieß es, die Anlage arbeite nach Plan. Zwar waren in der Nacht zum Mittwoch über Kurtschatow Explosionen zu sehen und zu hören, aber es wurden keine Schäden gemeldet. Vermutlich dürfte es sich um Schüsse der russischen Luftabwehr gehandelt haben. In den letzten Tagen war auf ukrainischer Seite darüber spekuliert worden, dass eine ukrainische Offensive auf das seit Frühjahr 2022 russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja in Energodar am ehemaligen Stausee von Kachowka vorbereitet werde. Während diese Anlage seit Monaten stilliegt, wären Kämpfe um eine laufende Atomanlage mit wesentlich höheren Umwelt- und Gesundheitsrisiken verbunden. Denkbar ist, dass die Ukraine mit einem Angriff auf das AKW in Kurtschatow ihrer Forderung an die Adresse Russlands Nachdruck verleihen will, das AKW Saporischschja an die Ukraine zurückzugeben. Es hat vor dem Krieg 20 Prozent des ukrainischen Stroms produziert; nach den Zerstörungen am ukrainischen Energiesystem könnte die Ukraine diese Kapazität gut gebrauchen.

An anderen Frontabschnitten als im Grenzgebiet zu Kursk konnte die Ukraine keine größeren Erfolge verzeichnen. Am Südwestende der Front scheiterte offenbar eine Landungsoperation ukrainischer Spezialkräfte auf einer Nehrung am russisch besetzten Südufer des Dnipro. Es sollen drei Landungsboote versenkt worden sein. An der Front im Donbass eroberten russische Truppen offenbar die Ortschaft Nju-Jork (sie heißt erst seit 2015 so) östlich der Industriestadt Torezk. Schon vor einigen Tagen hatten russische Truppen, wie inzwischen auch von westlicher Seite bestätigt, in der seit Monaten umkämpften Stadt Tschassiw Jar westlich von Awdijiwka einen Kanal überschritten und kämpfen jetzt in den Hochhausvierteln westlich des Wasserlaufs. Der Ukraine gelang der Abschuss eines russischen Militärhubschraubers, der 20 Verletzte ins Hinterland bringen sollte. Alle 20 Insassen kamen ums Leben.

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  • Leserbrief von René Osselmann aus Magdeburg (8. August 2024 um 14:01 Uhr)
    Ich muss gestehen, ich frage mich einerseits: Woher kommt auf einmal die militärische Stärke der ukrainischen Streitkräfte, und das nicht nur bei dem Material, sondern auch bei dem Personal, dass sie nun in russisches Gebiet vordringen können? Aber darum geht es mir jetzt eher weniger. Vielmehr macht es mir Sorgen, wenn in diesem Gebiet auch ein Atomkraftwerk steht, und da ist es egal, welche Seite dort mit ihren Angriffen aktiv ist! Egal, wo ein AKW steht, wenn dort Kampfhandlungen stattfinden, ist die Gefahr absolut nicht ausgeschlossen, dass es dort zu einer Umweltkatastrophe kommen könnte! Es zeigt sich hier wieder einmal, in einem Krieg heutzutage müssen keine Atomwaffen eingesetzt werden, damit es zu einer atomaren Katastrophe kommt, denn schnell kann ein AKW zum Ziel von Kampfhandlungen werden! Wer solch eine Tragödie verhindern will, setzt sich dafür ein, dass dieser Krieg am Verhandlungstisch beendet wird und nicht auf dem Schlachtfeld, wo es eventuell überhaupt keinen Sieger mehr gibt!
    • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (8. August 2024 um 15:13 Uhr)
      Herr Osselmann, die Gefahr, dass die von Ihnen befürchtete Situation eintritt, ist relativ gering. Weil das dann verseuchte Gebiet nicht nur das generische, sondern auch das eigene Territorium umfassen würde. In diesem Fall wäre das gesamte Gebiet für Jahrzehnte (bis Jahrhunderte?) unbewohnbar, siehe Tschernobyl. Und zwar gleichermaßen unbewohnbar für Russen auf der einen und Ukrainer auf der anderen Seite! – Falls also jemand, egal auf welcher Seite, mit dem Gedanken spielt, auf den bewussten »Knopf« zu drücken, sollte ihm das klar sein. Sodass er von diesem Vorhaben ablässt, wenn er kein Selbstmörder ist!
      • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (8. August 2024 um 17:09 Uhr)
        Werter Herr Pfannschmidt, Ihrer so scheinbar zwingend rationalen Argumentation liegt leider ein fundamentaler Irrtum zugrunde, die implizite Annahme nämlich, dass der Mensch ein primär rationales Wesen sei. Diese Überschätzung des Rationalen, ein offensichtlicher und bis in die Gegenwart nachwirkender geistiger »Erbschaden« der europäischen Aufklärung, kam Europa bis heute immer wieder verdammt teuer zu stehen. »Sapere aude!« alleine schützt eben noch nicht vor fatalen Fehlhandlungen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (8. August 2024 um 12:07 Uhr)
    »Heftige Kämpfe auf russischem Gebiet« – so lauten die Schlagzeilen in den Medien über die überraschende ukrainische Offensive in der Grenzregion Kursk. Die Ukraine befindet sich an der gesamten Front in einer schwierigen Lage. Mit solchen Propagandaaktionen versucht sie durch die Medien zusätzliche Unterstützung als gerechtfertigt darzustellen.

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