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Aus: Ausgabe vom 08.08.2024, Seite 2 / Inland
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»Wir wollen ein Grundsatzurteil erstreiten«

Bayern: Geheimdienst denunziert Beschäftigte bei Bossen. Verein und Aktivisten klagen gegen Regelung. Ein Gespräch mit David Werdermann
Interview: Silke Makowski
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Wer verdächtig ist, entscheidet bei politischen Aktivisten der Inlandsgeheimdienst (Karlsruhe, 20.12.2023)

Anfang August 2024 hat die Gesellschaft für Grund- und Freiheitsrechte, GFF, zusammen mit mehreren Klimaaktivisten Klage gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz eingereicht. Wogegen richtet sich die Klage?

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Vorschrift, die es dem Bayerischen Inlandsgeheimdienst ermöglicht, persönliche Daten unter sehr niedrigen Voraussetzungen an private Stellen wie den Chef oder den Vermieter weiterzugeben. Wir wollen ein Grundsatzurteil erstreiten: Die Weitergabe von Daten an Private soll nur unter strengen Voraussetzungen möglich sein, etwa bei einer konkreten Gefahr für Leib und Leben. Außerdem wollen wir erreichen, dass die Betreffenden über die Datenübermittlung informiert werden.

Was sind die möglichen Konsequenzen einer Datenweitergabe?

Die Weitergabe von Daten kann schwerwiegende Folgen haben: Die potenziellen Konsequenzen reichen von Hausverboten für einzelne Veranstaltungen über den Verlust des Arbeitsplatzes bis hin zur vollständigen sozialen Isolation. Ein Fall aus Sachsen veranschaulicht die Gefahren. Ein muslimischer Wissenschaftler war in den Fokus des sogenannten Verfassungsschutzes geraten. Er verlor mehrere Jobs, musste zeitweise Sozialleistungen beziehen. Erst später fand er heraus, dass der Geheimdienst seine Vorgesetzten kontaktiert hatte.

Damit greifen die Repressionsbehörden tief in die Lebensgestaltung der Betroffenen ein. Ist das mit anderen Maßnahmen vergleichbar?

Der Verfassungsschutz hat sehr weitreichende Überwachungsbefugnisse: Telekommunikationsüberwachung, sogenannte V-Leute, Observationen – das sind Maßnahmen, die tief in die Grundrechte eingreifen. Die Weitergabe der Daten ist ein zusätzlicher Grundrechtseingriff, der nur unter strengen Voraussetzungen zulässig ist.

Es gibt auch eine Parallele zu den sogenannten Verfassungsschutzberichten. Darin werden regelmäßig zivilgesellschaftliche Organisationen und Protestbewegungen als extremistisch diskreditiert. Zuletzt wurde beispielsweise »Ende Gelände« als linksextremistischer Verdachtsfall eingestuft. Auch die junge Welt wird im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Der Inlandsgeheimdienst übersieht dabei regelmäßig, dass das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral ist und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nur der absolute Kern der Verfassung gehört: Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit. Wer den Kapitalismus abschaffen will oder die Polizei kritisiert, darf vom Verfassungsschutz nicht als extremistisch diffamiert werden.

Welche Folgen hat das Vorgehen des Geheimdiensts für Protestbewegungen und die Beteiligung beispielsweise an politischen Versammlungen?

Sowohl die Überwachung und Datenweitergabe als auch die Veröffentlichungen von Verfassungsschutzberichten haben eine einschüchternde und hemmende Wirkung auf die Zivilgesellschaft. Wer sich nicht sicher ist, ob er oder sie beobachtet wird, sieht möglicherweise vom Besuch einer Versammlung ab. Wer Angst haben muss, als extremistisch diskreditiert zu werden, macht vielleicht nicht mehr so stark von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit Gebrauch.

2017 hatte die GFF schon einmal gegen das Bayerische Verfassungsgesetz geklagt. Was war das Ergebnis?

Das Bundesverfassungsgericht hat 2022 klare Vorgaben für Überwachungsmaßnahmen gemacht. Die Hürden, etwa für V-Leute und Observationen, mussten angehoben werden. Zudem muss ein Gericht solche eingriffsintensiven Maßnahmen genehmigen. Auch Datenweitergaben wurden erschwert. Man kann sagen, dass der Verfassungsschutz ein Stück weit zurückgeholt wurde auf den Boden des Grundgesetzes.

Was sind jetzt die nächsten Schritte?

Wir hoffen auf ein weiteres Grundsatzurteil, das die Privatsphäre stärkt. Das kann allerdings ein paar Jahre dauern. In der Zwischenzeit werden wir die Gesetzesänderungen auf Bundesebene und in den Ländern beobachten. Nach der Entscheidung von 2022 müsste im Grunde überall das Verfassungsschutzrecht überarbeitet werden. Mit unseren Klagen wollen wir sicherstellen, dass dabei die Grundrechte beachtet werden.

David Werdermann ist Anwalt und Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für Grund- und Freiheitsrechte (GFF)

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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