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Aus: Ausgabe vom 08.08.2024, Seite 4 / Inland
»DDR-Bürgerrechtler«

Frontalangriff auf Wagenknecht

Vor Landtagswahlen im Osten: »DDR-Bürgerrechtler« fahren Kampagne gegen BSW. Partei weist Vorwürfe zurück
Von Kristian Stemmler
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BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht lehnt deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine ab (Frankenberg, 15.7.2024)

Angesichts ihrer guten Umfragewerte kommt es nicht überraschend: Wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden die Angriffe auf das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verschärft. Im Fokus: die Position der Partei zum Ukraine-Krieg. Zum Auftakt warfen frühere »DDR-Bürgerrechtler« Wagenknecht am Sonntag in einem offenen Brief vor, »russische Lügen« zu verbreiten. Am Mittwoch erklärte die Exchefin der »Stasi-Behörde« Marianne Birthler, eine der Unterzeichnerinnen des Briefes, im Tagesspiegel, das BSW verbreite »Kremlpropaganda«. In der Berliner Zeitung wies BSW-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen gleichentags die Vorwürfe zurück.

Dass das BSW aus dem Stand in den Umfragen für alle drei Bundesländer, in denen demnächst gewählt wird, zweistellige Werte erreicht, hat die politischen Gegner alarmiert. Tatsächlich liegt die Partei derzeit in Sachsen mit 15 Prozent auf dem dritten Platz hinter AfD und CDU und weit vor SPD und Bündnis 90/Die Grünen (je sechs Prozent). In Thüringen ist das BSW ebenfalls auf Platz drei und mit 21 Prozent sogar fast auf Augenhöhe mit der CDU (23 Prozent). In Brandenburg hat es mit 17 Prozent fast die CDU (18) und die SPD (19) eingeholt.

Diese Werte dürften Motiv für die »Wortmeldung« von »Mitgliedern der Bürgerbewegung in der DDR« sein, die der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk am Sonntag bei X veröffentlichte. In dem ungelenk formulierten Text heißt es, das BSW dürfe »ungestraft Lügen über eine angeblich faschistische Ukraine verbreiten«. Parteigründerin Wagenknecht übernehme unkritisch »Desinformationen aus dem Kreml«, »Lügen und Desinformation«. Die CDU solle sich »genau überlegen«, ob sie mit »derartigen Lügnerinnen und Lügnern« koalieren wolle.

Einige der Unterzeichner sind Mitglieder bei SPD oder Bündnisgrünen oder stehen diesen Parteien zumindest nahe – und haben allein deshalb ein Interesse daran, das BSW in Misskredit zu bringen. Birthler zum Beispiel, die am Mittwoch im Interview mit dem Tagesspiegel nachlegte, ist Bündnis-90-Mitglied der ersten Stunde. Sie warnte vor einer Regierungsbeteiligung des BSW, dessen Positionen zur Ukraine klängen, »als seien sie vom Kreml diktiert«. Wagenknechts außenpolitische Positionen seien »unseriös und teilweise verlogen«. Mit dem BSW gebe es neben der AfD eine zweite Partei hierzulande, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin »bei seinem schmutzigen Geschäft unterstützt«.

In einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung vom Mittwoch wies Dagdelen, außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag, die Vorwürfe zurück. Die »Bürgerrechtler« mobilisierten für den Krieg, schreibt sie. Der offene Brief gehe nach der »Methode des Pappkameraden« vor, der »erst selbst aufgebaut und dann natürlich auch getroffen wird«. So unterstelle der Brief, es sei BSW-Position, dass »in Kiew Faschisten herrschen«. Tatsächlich habe ihre Gruppe lediglich kritisiert, dass »Nazikollaborateure und Verantwortliche für Massaker an Tausenden Juden, Polen und Russen wie Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch« in der Ukraine »staatsoffiziell geehrt« würden.

Die Ukraine eigne sich auch aus anderen Gründen nicht für »die Projektion eines Kampfes ›Demokratie versus Autokratie‹«, schreibt Dagdelen. Sie verweist auf das Verbot von Oppositionsparteien in der Ukraine, die starke Pressezensur, die Diskriminierung der russischen Minderheit oder die grassierende Korruption. Es erschrecke, dass die »Bürgerbewegten« von alledem nichts wissen wollten. Es sei »sträflich, wenn man meint, den Krieg in der Ukraine um jeden Preis fortführen und diese offenkundigen Fehlentwicklungen nunmehr beschweigen zu wollen, im selbst gestreuten Verdacht, dies nähre doch nur das russische Narrativ«.

Es sei, so Dagdelen, ein »moralischer Offenbarungseid, das Erbe der Bürgerbewegung in der DDR ›Schwerter zu Pflugscharen‹ mit Füßen zu treten«. Nicht nur im Osten würden sich immer mehr Menschen von den etablierten Parteien abwenden, weil sie es leid seien, als »Putin-Unterstützer« verleumdet zu werden – nur weil sie »etwa auf den faschistischen Bandera-Kult in der Ukraine hinweisen oder eine Einstellung der üppigen Finanz- und Waffenhilfe an die Ukraine fordern«.

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  • Leserbrief von Burkhard Bernheim aus Hamburg (10. August 2024 um 00:09 Uhr)
    Die grüne Birthler hat scheinbar vergessen, dass die Grünen vor nicht langer Zeit die Wahl von Katja Wolf (damals noch Die Linke) zur damaligen Bürgermeisterin von Eisenach in Thüringen unterstützt haben. Katja Wolf ist jetzt die Spitzenkandidatin des BSW in Thüringen.
  • Leserbrief von S. Pauligk aus Berlin (9. August 2024 um 11:29 Uhr)
    Frau Birthler und andere frühere »DDR-Bürgerrechtler« sollten wohl besser still sein. Nicht nur, dass sie einen Anteil an der Übergabe der DDR an die BRD haben (eine Vereinigung auf Augenhöhe hat ja nicht stattgefunden), nein damit auch letztlich an der ganzen folgenschweren Entwicklung danach, sowohl im jetzigen Osten als auch international (ich denke da nur an die NATO-Osterweiterung). Frieden scheint für sie ein Fremdwort zu sein.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael M. aus Berlin (9. August 2024 um 11:28 Uhr)
    13 Mitautoren sind genannt. Wer sind die restlichen 45?
  • Leserbrief von E. Rasmus (8. August 2024 um 17:47 Uhr)
    Den Link zum Artikel von Kristian Stemmler gab ich einer guten Bekannten zur Kenntnis, die ziemlich verbittert mir tags zuvor bei einem Disput u. a. mitgeteilt hatte, sie fände das BSW „übrigens fürchterlich spießig, verlogen und überflüssig“. Ich antwortete ihr daraufhin wie folgt: „Ich bin gar nicht Deiner Meinung, daß das BSW überflüssig sei. Natürlich sind wir vom sozialistischen Weg so weit entfernt wie Berlin geographisch von der DVRK, aber wo es um Frieden geht, haben wir gegenwärtig buchstäblich keine andere Wahl.“
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (8. August 2024 um 07:26 Uhr)
    Da sind sie wieder – die alten Schlachtschiffe der sogenannten DDR-Bürgerrechtsbewegung. Diejenigen, die vor gut 35 Jahren in der DDR mit dem Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« rumliefen und dafür eingesperrt wurden. Heute sind sie im Lager der Kriegstreiber. Und da muss natürlich gegen die Partei geschossen werden, die als einzige ehrlichen Herzens für den Frieden eintritt. Und das mit dem Narrativ »putingesteuert«. Ein Sinneswandel? In der DDR war der Protest ja auch vor allem gegen die als Antwort auf den NATO-Doppelbeschluss stationierten SS-20-Raketen gerichtet – damals antisowjetisch, heute antirussisch. Also nichts geändert, die Gefahr kommt aus dem Osten, damals und heute. Diese sogenannten Bürgerrechtler vergessen nur eines dabei: Der Artikel 1 der UN-Menschenrechtscharta sichert allen Menschen ein Leben in Frieden zu. Und dazu gehört sicherlich auch, dass man alles daran setzt, Kriege und bewaffnete Konflikte durch Verhandlungen zu beenden. Aber für Birthler und Co. gilt das offensichtlich nur, wenn die USA und ihre Vasallen es fordern. Und wenn nicht, dann wird weitergeschossen. Schizophrenie bei den Unterzeichnern? Nein – Doppelzüngigkeit, Russophobie und die durch ihre »Leistungen« beim Niedergang der DDR durch den Westen gekaufte und damit tief verwurzelte Nibelungentreue zu BRD, EU und NATO. Aber die Masken fallen langsam, aber sicher, wie immer vor Wahlen, bei denen progressive Forderungen in den Mittelpunkt rücken, die der herrschenden Klasse nicht passen. Früher war es die PDS bzw. die Partei Die Linke. Und nun hat man einen neuen Pfeil im Köcher – eben die »Kremlhörigkeit«, denn die Stasikeule ist nach 35 Jahren endlich im Orkus der Geschichte verschwunden (hoffentlich). Wer von einem putingesteuerten BSW spricht, sollte sich dann gefallen lassen, dass man als Gegenvorwurf von den »Washington-Gesteuerten« spricht …
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael M. aus Berlin (8. August 2024 um 13:24 Uhr)
      »Diejenigen, die vor gut 35 Jahren in der DDR mit dem Aufnäher ›Schwerter zu Pflugscharen‹ rumliefen und dafür eingesperrt wurden.« Auf wen der von Herrn Kowalczuk genannten trifft das überhaupt zu? Der einzige mir persönlich bekannte der Unterzeichner hat jedenfalls nicht gesessen, und diesen Aufnäher hab’ ich bei ihm auch nicht gesehen. Die Dinger passten nicht zu einem bürgerlichen Kleidungsstil.
    • Leserbrief von Franz Döring (8. August 2024 um 12:21 Uhr)
      Das Sie die DKP nicht als eine Partei ansehen, die ehrlichen Herzens für den Frieden eintritt, verwundert mich doch sehr! Frau Wagenknecht lobt die Politik der alten Bundesrepublik und bewundert Ludwig Erhard! Sie vertritt eine nichtmarxistische Ausländerpolitik. Sie will deutsche nationale Interessen in den Vordergrund stellen! Was ist aus Ihren strikten marxistischen Überzeugungen geworden? Warum hat Sie den Marxismus verraten?
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (8. August 2024 um 14:28 Uhr)
        Ja, für diesen Fauxpas bitte ich um Entschuldigung. Natürlich muss die DKP zu den Parteien gezählt werden, die für den Frieden eintreten. Ich werde alle drei Tage auf dem Friedensfest der UZ dabei sein, das ist mir sehr, sehr wichtig. Zu ihren anderen Kritikpunkten: Sahra Wagenknecht und das BSW vertreten die Grundzüge einer sozialen Marktwirtschaft, wie sie in den fünfziger Jahren gang und gäbe war. Der soziale Teil wurde in den Jahren danach, unter anderem unter sozial-liberalen Regierungen Stück für Stück entsorgt. Die Wortwahl »deutsche nationale Interessen« schockt mich etwas. Dem ist nicht so, aber dass z. B. die EU tief in die deutsche Politik hinein reglementiert, wird keiner abstreiten. Wenn ich als sachkundiger Bürger in meiner Gemeindevertretung z. B. über ein dringendes benötigtes Kita- oder Schulprojekt positiv mitentscheide, muss die Gemeinde dieses Projekt EU-weit ausschreiben; wenn es um Umwelt- und Klimaschutz geht, passiert das gleiche. Die kommunalen Verwaltungen werden mit von der EU vorgeschriebenen Dokumentationen wie z.B. Lärmschutzplan oder Energieversorgungsplan überzogen, obwohl Brüssel davon nun gar nichts hat. Was die Ausländerpolitik betrifft: Die ist durchaus marxistisch geprägt: Marx und Engels haben viel über Migration und Wirtschaftsflucht geschrieben. Auf dieser Basis bewegt sich das BSW zum größten Teil. Eine große Krux gibt es aber in der gesamten Diskussion. Die Begriffe »Migration« und »Asyl« werden in einen Topf geworfen und vermengt. Liebe »Junge Welt« - lasst mich bitte einmal ein bisschen Werbung machen: Ich empfehle zu diesem Thema das Buch von Dr. Artur Pech »Marx und Engels über Migration – Einführung für den politischen Gebrauch« erschienen im Neue-Impulse-Verlag. In diesen Texten ist auch ein Stück weit die Erklärung zu finden, warum das BSW die wenigen guten Seiten der Erhardtschen sozialen Marktwirtschaft als Orientierung nimmt.
        • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (9. August 2024 um 10:08 Uhr)
          »Dem ist nicht so, aber dass z. B. die EU tief in die deutsche Politik hinein reglementiert, wird keiner abstreiten.« Damit stellen Sie die wirklichen Machtverhältnisse in der EU auf den Kopf. Haben Sie schon vergessen, dass Schäuble damals die Rentenkürzungen in Griechenland durchgedrückt hat? Dass sich die Wagenknecht-Partei mit der AfD einen rassistischen Wettbewerb mit der AfD in Sachen Migration liefert, ist eine traurige Tatsache. Und »soziale Marktwirtschaft« ist eine geschickte Wahlpropaganda aus der Nachkriegszeit. Als in der DDR die Finanziers der Nazis enteignet wurden und sogar in Hessen per Volksabstimmung (71,9 % Zustimmung) die Überführung der Grundstoffindustrie und Banken in Gemeineigentum in die Verfassung aufgenommen wurde, sah sich die Bundes-CDU gezwungen, dem Kapitalismus einen sozialen Anstrich zu geben, und setzte vor den Begriff Marktwirtschaft das Adjektiv »sozial«.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (7. August 2024 um 21:06 Uhr)
    Was DDR-Bürgerrechtlerin Birthler tut, ist kognitive Kriegsführung vom feinsten. Naja, wollen wir die Lorbeeren etwas tiefer hängen: Früher hat man dazu Scheisshausparolen gesagt. Ich bewundere Frau Dagdelen, dass sie in dieser Lage in der Lage ist, differenziert zu argumentieren. Ihr dürfte wohl klar sein, dass sich Frau Birthler nicht dafür interessiert, was ihre Gruppe tatsächlich kritisiert hat, sondern nur dafür, was Frau Birthler ihr unterstellt.

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