Ein Held ist ein Held
Von Maximilian SchäfferViggo Mortensen ist als Schauspieler seit Jahrzehnten gut im Business – »Carlito’s Way« (1993), »Der Herr der Ringe« (2001–2003), »Tödliche Versprechen« (2007) u. v. a. m. Als Regisseur allerdings setzte er sein Debüt »Falling« (2020) in den Sand. Das Drama um einen Schwulen und seinen dementen homophoben Vater floppte bei Kritik und Publikum. Nun versucht sich der US-amerikanisch-dänische Superstar noch einmal an Regie, Drehbuch und Produktion, diesmal mit dem Gegenteil zum Kammerspiel: »The Dead Don’t Hurt« ist als großformatiger Western angelegt.
Weite Landschaften also, große Knarren, raue Kerle und ledrige Kostüme? Exakt diese Zutaten serviert Mortensen dem Publikum, allerdings mit einigen Twists. Gleichberechtigt will die Handlung aus der Perspektive des von ihm selbst gespielten Exildänen Holger Olsen sowie dessen Frau, der Franko-Kanadierin Vivienne Le Coudy (Vicky Krieps), berichten. Zu diesem Behuf ließ man das sehr dürftige Narrativ so zurechtschnipseln, dass es aus der Abfolge an Fragmenten nur langsam nachvollziehbar wird. Puzzlestücke sozusagen, die Nonlinearität vorgaukeln, wo eigentlich eine sehr simple Liebesgeschichte mit tragischen Ereignissen zugrundeliegt. Ein Taschenspielertrick, der mehr frustriert denn fasziniert.
Das passiert: Olsen und Vivienne lernen sich in San Francisco kennen. Sie ziehen in die Prärie, sie macht ihm den Garten schön. Olsen zieht freiwillig in den Sezessionskrieg. Vivienne wird währenddessen vergewaltigt. Olsen kehrt zurück. Vivienne stirbt an Syphilis. Olsen sucht und ermordet den Vergewaltiger.
Klar hat Mortensen alle seine Western und Spaghettiwestern und Alternativwestern fleißig studiert. Von »Django« (Sergio Corbucci, 1966) bis »El Topo« (Alejandro Jodorowsky, 1970), von »High Noon« (Fred Zinnemann, 1952) bis »Spiel mir das Lied vom Tod« (Sergio Leone, 1968) mangelt es nicht an subtilen Zitaten. Alles sehr gepflegt, mit Understatement und hübsch steril wie ein dänisches Designerwohnzimmer. Die Bang-og-Olufsen-Version von John Wayne, also er selbst, aber ist so hypermoralisch einfarbig wie uncool. Ein dänischer Patriot mit Herz für Frau und Kind im Wilden Westen? Obskur zwar, aber nicht weiter interessant, weil Sinn und Zweck dieser exotischen Dekoration nicht weiter ersichtlich werden. Vivienne redet mit dem Knaben daheim französisch und mit dem Klimpermeister im Saloon spanisch, und in China fällt ein Rad um. Die Welt ist ungerecht, die Reichen sind reich, und die Gerichte sind gekauft, und der Tod ist nicht schön, und die Liebe ist zart, und die Kinder sind unschuldig, und der Krieg ist brutal, und der Whisky brennt, und die Sonne sticht, und die Wüste ist trocken.
Und die Langeweile ist so weit wie die Sierra Madre. Liebesszenen, ganz tiefe Blicke und ganz schlimme Bösewichte wechseln sich mit konfusen Rückblenden und ellenlangen Landschaftseinstellungen ab. 129 Minuten dauert dieser Film, und wer währenddessen nicht eingeschlafen ist, fragt sich spätestens nach der ersten Stunde, für wen er gemacht wurde. Für die Vereinigung Québecer Witwen? Für die dänische Filmförderung? Für Herrn Mortensen privat? Es ist immer dasselbe, dieser Tage: moralische Ansprüche, die viel zu hoch für nur dürftige Werke sind und sich in eigenbrötlerischer Privatphantasie suhlen. Ein feministischer Western zum Beispiel müsste gesellschaftliche Fragen stellen, die über eine Vergewaltigung hinausreichen. Wenn der Bösewicht (Solly McLeod) nur Böses tut, bleibt der Held ein Held und die Frau hinterm Herd. Da hilft keine folkloristische Färberei mit allerlei Herkunftsgeschichten aus der französischen Kolonie und dem Wikingervolk. So gerne die Amerikaner ihre Identitätsstorys auf jegliches Genre pressen – außerhalb ihrer verkorksten multiethnischen Plantage interessiert das langsam nur noch die Sklaventreiber hinter den Kulturgeldtöpfen. Herr Mortensen selbst ist ja ein »Linker«, er sollte das langsam verstanden haben.
»The Dead Don’t Hurt«, Regie: Viggo Mortensen, USA/Mexiko/UK 2023, 129 Min., Kinostart: heute
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