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Aus: Ausgabe vom 08.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Das Geschenk

Familiensache: Osgood Perkins’ Horrorthriller »Longlegs«
Von Ronald Kohl
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Zur Hölle – was ist das?!

Osgood »Oz« Perkins begann seine Karriere als Schauspieler. Seine erste Rolle hatte er 1983 in »Psycho II«, der Fortsetzung des Hitchcock-Klassikers. Da war er neun. Weil auch schon sein Großvater James Ripley Osgood Perkins (1892–1937) in einigen Hollywoodproduktionen zu sehen war, wird »Oz« Perkins bei Wikipedia als Osgood Perkins II geführt. Seinem neuen Film »Longlegs« würde ich am liebsten den Titel »Das Schweigen der Lämmer II« verpassen, auch wenn es sich keineswegs um ein Remake handelt und schon gar nicht um eine Fortsetzung. Dennoch ist ein gewisses Muster, eine Handschrift erkennbar, als ob beide Drehbücher von ein und demselben Täter verfasst worden wären.

Als erstes fällt auf, dass die alten Hasen beim FBI mal wieder mächtig in der Klemme stecken. Es gibt serienweise Morde in bis dahin völlig intakten Familien. Doch eigenartigerweise scheint es keinen Serienmörder zu geben. Die Ehefrau und die Kinder werden in ihren Häusern mit Gegenständen oder manchmal auch mit Waffen getötet, die aus dem jeweiligen Haushalt stammen. Ausgeführt wird die Tat jedes Mal vom Familienvater, der sich danach umbringt. Irgend jemand oder vielleicht auch irgend etwas muss diese Männer dazu gebracht haben, ihre Liebsten abzuschlachten. Vermutlich handelt es sich um ein Etwas, von dem Menschen mit durchschnittlicher Intuition keine Vorstellung haben. Gefragt ist deshalb ein Ermittler, der mit mehr als den herkömmlichen Sinnen ausgestattet ist. Auch in »Longlegs« wird eine Frau auf den Täter angesetzt, eine junge und furchtlose Ermittlerin, die in diesem Fall selbst einem Elternhaus entstammt, das man sogar bei Tageslicht unter keinen Umständen allein und ohne entsicherten Revolver betreten möchte.

Agent Lee Harker (Maika Monroe) hat mit ihrem sechsten Sinn schon einmal für Aufsehen beim FBI gesorgt. In einer Straße voller gleichaussehender Einfamilienhäuser spürte sie auf Anhieb, in welchem ein Mörder wohnt. Nur um zu zeigen, dass sie mit ihrem Bauchgefühl danebenliegt, ging ihr Partner forschen Schrittes auf dessen Tür zu. Ding dong. Tür auf. Peng! Tür zu. Danach war Lee Harker von oben bis unten mit Hirnmasse bekleckert.

»Der Unterschied zwischen Horror und Komödie ist die Musik«, sagt Drehbuchautor und Regisseur »Oz« Perkins, der davon überzeugt ist, dass es viele Familien gibt, »die sich selbst auffressen«. Und man nimmt es Perkins auch ab, wenn er behauptet: »Ich mag jede Erfahrung mit hartem Scheiß.« Sein bisexueller Vater Anthony Perkins, der in Hitchcocks »Psycho« den geisteskranken Motelbesitzer Norman Bates spielte, starb mit nur 60 Jahren an den Folgen einer HIV-Infektion. Seine Mutter, die Schauspielerin Berry Berenson, saß in dem ersten der beiden Flugzeuge, die am 11. September in das World Trade Center krachten.

Die Mom von Agent Lee Harker, Ruth Harker (Alicia Witt), lebt. Das heißt, sie spricht und atmet noch, aber sitzt nur reglos in ihrem unaufgeräumten Haus vor dem Fernseher und wartet darauf, dass ihre einzige Tochter sich meldet, schließlich hat Lee bald Geburtstag. Am selben Tag übrigens wie die acht Jahre alte Tochter ihres Vorgesetzten, Agent Carter (Blair Underwood). Die Kleine hat, kaum dass sie sich kennengelernt hatten, Agent Lee Harker zu ihrer Geburtstagsparty am 14. Januar eingeladen. »Eine gute Idee«, fand ihre nichts ahnende Mutter. Und das Schlimmste an der Sache ist: Das Geschenk für das kleine Mädchen ist längst in Arbeit.

Hinter der Titelfigur Longlegs verbirgt sich ein Dale Ferdinand Kobble (Nicolas Cage). Der näht keine Kleider aus gegerbter Frauenhaut. Er baut Puppen. Ungefähr anderthalb Meter große Kunstwerke, die den Mädchen, die sie zu ihrem neunten Geburtstag geschenkt bekommen, verblüffend ähnlich sehen. Mittels der eisernen Seele dieser vollkommenen Geschöpfe, einer hohlen Metallkugel in ihrem Kopf, gelingt es Longlegs, die Väter zu Monstren werden zu lassen. Da sich, wie bereits angedeutet, die nächste Puppe bereits in Arbeit befindet, muss sich Agent Lee Harker sputen. Und zudem ist auch schon Perkins neuer Film im Anmarsch. »The Monkey« soll im Februar in den USA anlaufen. Er ist an die gleichnamige Erzählung von ­Stephen King angelehnt, in der ein kleiner Spielzeugaffe zwei Becken in den Händen hält. Sobald er die Dinger zusammenknallen lässt, stirbt jemand in der Familie. Vielleicht stürzt auch ein Flugzeug ab. Mal sehen.

»Longlegs«, Regie: Osgood »Oz« Perkins, USA 2024, 101 Min., Kinostart: heute

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