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Aus: Ausgabe vom 08.08.2024, Seite 12 / Thema
Kritik der politischen Ökonomie

Gestalten der Ausbeutung

Vorabdruck. Die Aktien und ihr Kurs, Dividenden und Rendite. Formen des Mehrwerts
Von Klaus Müller
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Wie bestimmt sich der Kurs der Aktie? Marx gab die Antwort in ihrer allgemeinen Form, nämlich für den Fall, dass sich Angebot und Nachfrage die Waage halten (Kurssturz an der Frankfurter Börse, 3.1.2001)

In diesen Tagen erscheint im Kölner Papy-Rossa-Verlag in der Reihe »Basiswissen« von Klaus Müller der Band »Ausbeutung«. Wir veröffentlichen daraus an dieser Stelle einen Auszug aus dem Kapitel »Formen des Mehrwerts« und danken Autor wie Verlag für die Genehmigung zum Vorabdruck. (jW)

Die qualitative Entwicklung der Produktivkräfte und ihr wachsender Umfang bewirkten, dass sich das Kapitalminimum, das zur Produktion benötigt wurde, fortlaufend vergrößerte und schließlich so groß wurde, dass es die Möglichkeiten einzelner Kapitalisten überstieg. Selbst für Großunternehmen wurde es riskanter und daher schwieriger, die Produktion mit langfristigen Bankkrediten zu finanzieren. So bildeten sich bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts Aktiengesellschaften.¹ In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schossen sie wie Pilze aus dem Boden. Seitdem sind sie eine verbreitete Unternehmensform weltweit.

Profite der Aktiengesellschaften

Aktiengesellschaften sind Unternehmen, die ihr Kapital aus den Einlagen mehrerer Teilhaber, den Aktionären, bilden. Aus individuellen Kapitalien wird Gesellschaftskapital. Aktiengesellschaften entstehen und entwickeln sich, indem einzelne, kleinere privatkapitalistische Eigentümer verdrängt und durch das Großkapital aufgesaugt werden. »Es ist die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst«², ohne dass sich am ausbeuterischen Wesen des Kapitalismus etwas ändert.

Die Möglichkeit, dass jedermann Aktien kaufen kann, führt nicht dazu, dass ein »sozialer« Kapitalismus entsteht, dass Kapital sich »demokratisiert«, dass alle, die nur wollen, Kapitalisten werden können, »Volkskapitalisten«, Ausbeuter, die sich selbst ausbeuten.³ »Volksaktien«, Klein- oder Belegschaftsaktien, das Investmentsparen⁴, der Investivlohn⁵ sowie diverse Maßnahmen der Gewinn- und Erfolgsbeteiligung wandeln den Kapitalismus nicht, ändern nichts an der Konzentration des Kapitals, an der Macht der Großaktionäre und Monopolisten. Sie begünstigen, dass sich die Arbeiterklasse spaltet, und mobilisieren auch kleinste Geldbeträge, mit denen Produktion und Ausbeutung intensiviert werden. Der Anteil der Aktionäre unter den Arbeitern liegt unter vier Prozent.⁶ »Die Professoren, die den Kapitalismus verteidigen, schwatzen angesichts der zunehmenden Zahl der Kleinaktionäre von einer Erhöhung der Zahl der Eigentümer. In Wirklichkeit aber wächst die Macht (und das Einkommen) der einflußreichsten Millionäre über das Kapital der ›Kleinen‹.«⁷

Die Unternehmen beschaffen sich »fremdes« Eigenkapital, indem sie Aktien (Anteilscheine) ausgeben. Im Gegensatz zu Krediten müssen sie es nicht zurückzahlen. »Die Welt wäre noch ohne Eisenbahnen, hätte sie solange warten müssen, bis die Akkumulation einige Einzelkapitale dahin gebracht hätte, dem Bau einer Eisenbahn gewachsen zu sein. Die Zentralisation dagegen hat dies, vermittelst der Aktiengesellschaften, im Handumdrehn fertiggebracht.«⁸ Sie kann das Kapital »zu gewaltigen Massen in einer Hand« zusammenfassen, »weil es dort vielen einzelnen Händen entzogen wird«.⁹ So wird der Widerspruch gelöst zwischen dem hohen Kapitalbedarf, den hochentwickelte Produktivkräfte erfordern, und den begrenzten Möglichkeiten von Einzelunternehmen, ihn aufzubringen. Aktiengesellschaften besitzen bessere Möglichkeiten zu akkumulieren als Einzelunternehmen, können sich durch Ausgabe neuer Aktien jederzeit Finanzierungsmittel beschaffen, sind daher konkurrenz- und widerstandsfähiger sowie kreditwürdiger als Einzelunternehmen. Die Ausgabe von Aktien dient dazu, vorübergehend freies Geld zu mobilisieren und in Eigenkapital zu verwandeln, der Erwerb von Aktien zielt darauf, den Machtbereich der Großkapitalisten national und international auszudehnen.

Die Trennung von Kapitaleigentum und Kapitalfunktion erreicht in den Aktiengesellschaften eine neue Stufe. Die Kapitaleigentümer sind die Aktionäre. Die Großaktionäre unter ihnen beherrschen das Unternehmen, bestimmen und kontrollieren sein Tun. Die Kapitalfunktion liegt in den Händen der angestellten Manager. Sie organisieren die Produktion und Ausbeutung, sorgen für hohe Profite.

Dividende und Aktienkurs

Die Dividende ist der veränderliche Anteil am Profit, den die Aktionäre, die Teilhaber einer Aktiengesellschaft, erhalten. In der Regel ist der Profit, über den nach Abzug der Dividende das Unternehmen verfügt, größer als der des Einzelunternehmens. Die Höhe der Dividende wird vom Vorstand der Aktiengesellschaft vorgeschlagen und von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit beschlossen. Angegeben wird die Dividende meist in Währungseinheit pro Stück, also beispielsweise vier Euro pro Aktie. Manchmal wird die Dividende aber auch in Prozent des Nennwerts angegeben. Im Jahr 2022 schütteten allein die Dax-Konzerne für das Vorjahr eine Dividendensumme von 50,6 Milliarden Euro aus,¹⁰ nach einem Bericht der einflussreichen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY summieren sich die Dividenden im Jahr 2024 für das Jahr 2023 auf 53,8 Milliarden Euro.¹¹ Das sind über sechs Prozent mehr als im Vorjahr – und doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Die Höhe der Dividenden gilt oft als Zeichen für die wirtschaftliche Stärke eines Unternehmens und ist ein Signal für die Händler an der Börse. Doch wie groß die Dividende ist, die das Unternehmen ausschüttet, wird von unterschiedlichen Erwägungen beeinflusst. Manchmal werden hohe Dividenden gezahlt, obwohl das Unternehmen nur einen kleinen Gewinn erzielt hat – dann werden Rücklagen angezapft –, häufig sind trotz hoher Profite die Ausschüttungsbeträge gering.

Die Ausschüttungsquote – der Anteil der Dividendensumme am betrieblichen Profit – richtet sich danach, welche Teile des Überschusses benötigt werden, um Schulden zu tilgen und zu investieren. Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Unternehmen, die sich entschulden wollen oder umfangreiche Investitionen planen, um die Kapazitäten zu erweitern und neueste Technologien einzuführen, schütten keine oder nur eine geringe Dividende aus, selbst wenn sie hohe Profite erzielt haben. Unternehmen dagegen, die keine derartigen Absichten verfolgen, können praktisch ihren gesamten Gewinn als Dividende verteilen, nachdem sie von ihm die Bankzinsen, Steuern, Händlerrabatte, Direktorengehälter, Grundrenten und Tantiemen, die erfolgsabhängigen Zusatzzahlungen an Mitglieder des Vorstandes, an Geschäftsführer und an sonstige Topmanager abgezogen haben. Die Höhe der gezahlten Dividende ist nicht notwendigerweise ein Indiz für die Profitabilität des Unternehmens. Oft gibt es nur einen lockeren Zusammenhang zwischen der gezahlten Dividende und dem Geschäftserfolg der Aktiengesellschaft. So wird manchmal in dürren Jahren die Dividende in bisheriger Höhe weiter gezahlt, um die Aktionäre »bei der Stange zu halten«.

Die Besitzer von Aktienkontrollpaketen, also der Mehrheit der Aktien eines Unternehmens – sind die Aktien breit genug gestreut, reichen dazu oft 30 Prozent und weniger –, variieren die Dividendenhöhe, um gezielt Kursschwankungen zum eigenen Vorteil herbeizuführen. Die Technik dazu ist früh entwickelt worden. Sie ist einfach: erstens wird die Dividende gesenkt. Nicht ausgeschüttete Profite gehen in den Rücklagenfonds. Kleinere Dividenden bewirken, dass der Kurs sinkt. Zweitens werden die Aktien vieler kleinerer und mittlerer Aktionäre, die sich von ihren Papieren trennen wollen, zum gesunkenen Kurs aufgekauft. Die im Reservekapital versteckten Profite werden drittens als Dividende zusätzlich ausgeschüttet. Die Nachfrage nach Aktien steigt wieder und mit ihr die Kurse. Die Gesellschaft verkauft die Aktien zum erhöhten Kurs und verbucht einen Differenzgewinn. Das Spiel kann wiederholt werden.¹²

Aktien sind Anteilscheine am Kapital von Industrie-, Handels- und anderen Unternehmen. Sie sind Urkunden, »Duplikate des wirklichen Kapitals«. Sie verbriefen das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs am Eigentum der Gesellschaft und »geben nur Rechtsansprüche auf einen Teil des von demselben zu erwerbenden Mehrwerts«.¹³ Eigentumstitel wie Aktien sind selbst nicht fiktiv – sie existieren wirklich –, repräsentieren aber das fiktive Kapital.

Durch den Verkauf von Aktien besorgen sich die Unternehmen das Eigenkapital, das sie benötigen, um eine Aktiengesellschaft zu gründen oder zu vergrößern. Es wird in Produktionsmitteln und Arbeitskräften angelegt. Das von den Aktionären eingebrachte Kapital wird so Teil des produktiven Kapitals. Es kann nicht zurückgefordert werden, bleibt Eigentum und im Besitz des Unternehmens – ein riesiger Vorteil gegenüber der Inanspruchnahme von Bankkrediten. Wollen Aktionäre ihr in Aktien angelegtes Kapital zurückziehen, müssen sie die Aktien verkaufen. Der Preis der Aktien, d. h. »ihr Wertbetrag, kann fallen und steigen, ganz unabhängig von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, auf das sie Titel sind«.¹⁴

Der Preis der Aktie richtet sich nicht nach dem auf ihr gedruckten Nennwert. Er wird gefunden, indem die Dividende »kapitalisiert« wird. Unter Kapitalisierung versteht man, dass eine regelmäßige Geldeinnahme, z. B. die Dividende, als Ertrag eines Kapitals betrachtet wird, das zum Durchschnittszinsfuß verliehen wird. »Erst wird das Geldeinkommen in Zins verwandelt, und mit dem Zins findet sich dann auch das Kapital, woraus es entspringt.«¹⁵ Durch die Kapitalisierung entsteht fiktives Kapital, »eine rein illusorische Vorstellung«. Der Aktienkurs ist zum Durchschnittszins kapitalisierte Dividende.

Beispiel: Die Dividende pro Aktie betrage zehn Euro, der Durchschnittszinsfuß 2,5 Prozent. Daraus ergibt sich folgender Aktienkurs: Kurs der Aktie = 10 Euro × (100 % / 2,5 %) = 400 Euro. Das Kapital in Höhe von 400 Euro ist nur vorgestellt, ist fiktives Kapital. Es ist der Betrag, den man anlegen müsste, um bei einem Zinssatz in Höhe von 2,5 Prozent ein Einkommen in Höhe von zehn Euro zu erhalten. Der Kurs sinkt, wenn der Zinssatz steigt, zum Beispiel auf vier Prozent: Kurs der Aktie = 10 Euro × (100 % / 4 %) = 250 Euro, und steigt, wenn der Zinssatz sinkt, zum Beispiel auf zwei Prozent: Kurs der Aktie = 10 Euro × (100 % / 2 %) = 500 Euro. Fiktives Kapital ist nach Marx kein Eigentumstitel (Aktien), sondern dessen Marktpreis, also der Kurswert, und entsteht, indem die Erträge kapitalisiert werden.¹⁶

Die marxsche Begriffsbestimmung sei richtig, beachte aber nicht, wendet der Philosoph Stefano Breda ein, dass auch Kurs-, Zins- und Profiterwartungen den Kurswert der Aktien mitbestimmten.¹⁷ Man müsse diese Faktoren bei der Begründung der Höhe des fiktiven Kapitals beachten. Richtig ist, dass der Marktpreis, d. h. der Kurs der Aktie, auch bestimmt wird von den erwarteten Dividenden und Zinsen, den vermuteten Kursänderungen und vom Kampf rivalisierender Gruppen um den Besitz des Aktienkontrollpakets, der es ihnen ermöglicht, die Gesellschaft zu lenken und zu kontrollieren. Kurswerte – die Größe des fiktiven Kapitals – sind Preise. Sie erklären sich durch Angebot und Nachfrage. Erwartungen über künftige Kurse und Erträge beeinflussen die Nachfrage nach und das Angebot an Wertpapieren, den materiellen Grundlagen des fiktiven Kapitals. Es stellt sich dann die Frage, wie der Preis der Papiere bestimmt werden muss, wenn Angebot und Nachfrage sich die Waage halten und sich ihr Einfluss auf den Preis damit aufhebt. Dann ist Marx’ Kapitalisierungsformel zur Bestimmung des fiktiven Kapitals voll gültig. Mit ihr beantwortet Marx die Frage nach der Höhe der Kurswerte im Gleichgewicht, ähnlich wie der Preis den Wert der Waren nur adäquat auszudrücken vermag, wenn das Angebot und die Nachfrage übereinstimmen.

Rendite von Wertpapieren

Unter der Rendite von Aktien wird die Rentabilität der Wertpapiere verstanden. Sie ist gleich dem Verhältnis des auf die Aktie entfallenden Ertrages – der Dividende – zum Kurswert. Die Rendite für eine Aktie wird berechnet nach der Formel: Rendite = (Dividende / Kurswert) × 100 %. Die Rendite beträgt beispielsweise bei einer Dividende von fünf Euro je Aktie und einem Kurswert von 125 Euro: Rendite = (5 / 125) × 100 % = 4 %.

Die Rendite steigt, wenn die Dividende größer wird und der Kurswert gleich bleibt, sinkt oder weniger stark wächst als die Dividende. Die Rendite sinkt, wenn der Kurswert steigt, die Dividende gleich bleibt oder weniger stark zunimmt als der Kurswert. Sie ist für Großaktionäre nicht das einzige, oft nicht einmal das wichtigste Kaufkriterium. Die großen Anleger kaufen Aktien auch, um das bereits kurz genannte Aktienkontrollpaket zu erwerben, das es ihnen ermöglicht, die Entwicklung der Aktiengesellschaft, ihre Produktion, die Unternehmenspolitik und Marktstrategie wesentlich zu beeinflussen, und darüber zu entscheiden, wie die Profite verteilt und verwendet werden.

In der Regel ist es möglich, eine Aktiengesellschaft mit einem Aktienkontrollpaket zu kon­trollieren, das weit unter 50 Prozent aller stimmberechtigten Aktien liegt. Je breiter die unter ihre Besitzer gestreut sind, um so kleiner kann das Aktienkontrollpaket sein. Der Besitzer des Aktienkontrollpakets einer Gesellschaft, deren Aktien breit gestreut sind, und die die Aktienkontrollpakete wiederum anderer Aktiengesellschaften hält, deren Aktien unter sehr vielen verteilt sind, kann die Produktion und Investitionen von Kapitalien kontrollieren, die mehr als hundertmal größer sind als sein Aktienkontrollpaket.¹⁸

Kursgewinn

Obwohl der Aktienkurs im Gleichgewicht der kapitalisierten Dividende entspricht, hängt er zu jedem konkreten Zeitpunkt ab vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach den betreffenden Aktien. Das Verhältnis wird auch beeinflusst von den erwarteten Dividendenzahlungen und von zahlreichen anderen Faktoren, wie von der wirtschaftlichen Gesamtsituation, der speziellen des jeweiligen Unternehmens, den Profiterwartungen, der bisherigen Kursentwicklung, rational und irrational begründeten Spekulationen etc. Für möglich gehaltene Kursgewinne sind ein Motiv, Aktien zu erwerben. Die Geldanleger kaufen verstärkt Aktien, wenn sie erwarten, dass die Kurse steigen werden – die Börse auf eine Hausse zusteuert –, und sie verkaufen Aktien, wenn sie glauben, dass die Kurse fallen werden, die Börse vor einer Baisse steht oder eine solche sich fortsetzen wird. Die Spekulanten erzielen einen Kursgewinn, wenn sich ihre Ahnungen als richtig erweisen. Sie verkaufen Aktien zu höheren Preisen, als sie beim Kauf zahlten, oder kaufen Aktien zu niedrigeren Preisen zurück. Ihr Kursgewinn ist gleich der Differenz zwischen dem Verkaufs- und dem Kaufkurs der Aktie. Beispiel: Verkaufskurs 160, Kaufkurs 100, Kursgewinn 160 – 100 = 60: Relativer Kursgewinn = [(Verkaufskurs – Kaufkurs) / Kaufkurs] × 100 % = [(160 – 100) / 100] × 100 % = 60 Prozent.

Gründergewinn

Der Gründergewinn ist die Differenz zwischen dem Kurs, zu dem die Aktien ausgegeben werden, wenn eine Aktiengesellschaft gegründet wird, und dem Nominalwert des Aktienkapitals. Beispiel: Das Nominalkapital oder die Nennwertsumme des Aktienkapitals betrage zehn Millionen Euro. Es werde eine Aktiengesellschaft mit diesem Grundkapital gegründet. Emittiert werden Aktien mit einem Nennwert je Aktie von zehn Euro.¹⁹ Folglich werden eine Million Aktien ausgegeben – das Grundkapital wird in eine Million Aktien gestückelt.

Aktiengesellschaften werden in der Regel durch ein Bankenkonsortium gegründet, das das Gründungskapital vorschießt, die Aktien bewirbt und an der Börse einführt. Zwischen der Bildung des Bankenkonsortiums und der Emission der Aktien liegt eine bestimmte Zeit. Der Börsengang kann mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen. Arbeitet der Betrieb mit Gewinn und kündigt die Leitung eine Dividende an, die höher ist als der übliche Zins, steigt der Kurs der Aktie über ihren Nominalwert. Gelingt der Börsengang bzw. die Börseneinführung zu einem Emissionskurs von 25 Euro, weil z. B. bei einem Durchschnittszins von vier Prozent eine Dividende von einem Euro pro Aktie erwartet wird – erwartete Dividendenausschüttung zehn Prozent, also eine Million Euro insgesamt –, würde der Börsengang 25 Millionen Euro einspielen: Emissionserlös = (1.000.000 Euro / 4 %) × 100 % = 25.000.000 Euro.

Zieht man von dieser Summe die Höhe des real fungierenden Grundkapitals der Gesellschaft ab, ergibt sich ein Gründergewinn von 15 Millionen Euro, den sich die Gründer des Unternehmens aneignen. Der Gründergewinn entsteht nicht nur, wenn eine Aktiengesellschaft gegründet wird, sondern auch, wenn neue Aktien ausgegeben, d. h. am Markt plaziert werden zu einem Kurs, der den Nominalwert der Aktie übersteigt. Der Gründergewinn ist eine spezifische Form des Profits einer Aktiengesellschaft, die die Quelle des Profits stark verschleiert. Es sieht so aus, als eigneten sich die Gründer, denen die Differenz zwischen dem Verkaufs- oder Emissionspreis der Aktien und dem Wert des fungierenden Kapitals zufällt, fremdes Geldkapital oder Geldmittel der Bevölkerung an. In Wirklichkeit erhalten die Gründer in Form des Gründergewinns einen Teil des Mehrwerts, den das Aktienkapital später erzeugen wird. Sie eignen sich im Voraus den Unternehmergewinn an. Der Gründergewinn ist kapitalisierter Unternehmergewinn, d. h. der kapitalisierte Teil des Profits, der den Durchschnittszinsfuß übersteigt. Bei einer angenommenen Dividende von zehn Prozent (je Aktie = 1 Euro, insgesamt 1.000.000 Euro) und einem Durchschnittszinsfuß von vier Prozent (Zinssumme 400.000 Euro), beträgt der Unternehmergewinn sechs Prozent. Die sechs Prozent Unternehmergewinn kapitalisiert, ergeben die Summe von 15.000.000 Euro: Gründergewinn = (Unternehmergewinn / Zinsfuß) × 100 %, [(1.000.000 Euro – 400.000 Euro) / 4 %] × 100 % = (600.000 Euro / 4 %) × 100 % = 15.000.000 Euro bzw. [(1,00 Euro – 0,40 Euro pro Aktie) / 4 %] × 100 % = (0,60 Euro pro Aktie / 4 %) × 100 % = 15 Euro je Aktie.

Gründergewinn wird auch erzielt, wenn die Gründer Aktien in einem Umfang ausgeben, der das im Unternehmen angelegte Kapital überschreitet, die Zahl der Aktien der Aktiengesellschaft stärker steigt als ihr Kapital. Den Vorgang nennt man Kapitalverwässerung.

Anmerkungen

1 Die erste als moderne Aktiengesellschaft organisierte Unternehmung war die 1602 gegründete Niederländische Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, abgekürzt: VOC oder Compagnie bzw. Kompanie).

2 Karl Marx: Das Kapital. Band 3, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 25, Berlin/DDR 1968, S. 425

3 Ausbeuter, die sich selbst ausbeuten, gibt es nicht. Ausbeutung heißt, sich fremde Arbeit anzueignen, keine eigene. Selbstausbeutung kann aber als eine ständige Überforderung gedeutet werden.

4 Der Sparer erwirbt Anteile eines Fonds (Aktien-, sonstige Wertpapier- oder eines offenen Immobilienfonds) regelmäßig oder durch eine Einmalzahlung.

5 Der Teil des Arbeitsentgeltes, der im eigenen oder in fremden Unternehmen sofort wieder investiert wird. Das kann aufgrund tariflicher oder gesetzlicher Regelungen erfolgen.

6 vgl. Wikipedia-Eintrag: Aktionärsquote (abgerufen am 18.1.2024)

7 W. I. Lenin: Die Zunahme des kapitalistischen Reichtums (1913), in: Lenin-Werke, Bd. 19, Berlin/DDR 1977, S. 193

8 Karl Marx: Das Kapital, Band 1, MEW, Bd. 23, S. 656

9 Ebd. S. 655

10 Sarah Huemer: So viel Dividende gab es nie, www.faz.net, 9.5.2022

11 Ernst & Young: Dax-Konzerne: Rekorddividende trotz sinkender Gewinne, Pressemitteilung vom 15.4.2024, www.ey.com

12 In Deutschland war, anders als in den USA, der Rückkauf eigener Aktien bis 1998 grundsätzlich verboten. Seitdem können Unternehmen bis zu zehn Prozent ihrer eigenen Aktien über die Börse zurückkaufen. Die Aktionäre der Aktiengesellschaft müssen dem Rückkauf auf einer Hauptversammlung zustimmen.

13 Marx, Kapital, Bd. 3, a. a. O., S. 494

14 Ebd.

15 Marx, Kapital, Bd. 3, a. a. O., S. 482

16 Ebd., S. 484

17 Stefano Breda: Der marxsche und vormarxsche Begriff des fiktiven Kapitals. Zur Entstehungsgeschichte einer begrifflichen Konfusion, in: Thomas Sablowski, Judith Dellheim, Alex Demirović, Katharina Pühl, Ingar Solty (Hg.): Auf den Schultern von Karl Marx, Münster
2021, S. 109–123, hier S. 114

18 Juramagazin: Aktienkontrollpaket (Eintrag auf der Website juramagazin.de)

19 Der Nennwert oder Nominalwert ist der auf dem Wertpapier aufgedruckte Betrag. In Deutschland beträgt der Mindestnennwert der Aktien einen Euro. Üblicherweise beträgt der Nennwert, der auf dem Mantelbogen der Aktie aufgedruckt ist, 50 Euro (vgl. www.verivox.de, abgerufen am 18.1.2024). In Deutschland ist es seit der Euro-Einführung möglich, nennwertlose Aktien zu emittieren, die auch Stückaktien genannt werden. Sie weisen keinen Nennbetrag auf, sind vielmehr prozentual am Grundkapital beteiligt, verbriefen also ausgehend von der Gesamtzahl der Aktien einen entsprechenden Anteil am Unternehmen. Dieser Anteil am Grundkapital ist für jede Aktie gleich groß. In der Praxis hat sich die Stückaktie weitgehend durchgesetzt.

Klaus Müller: Ausbeutung, Reihe »Basiswissen Politik – Geschichte – Ökonomie, Papy-Rossa-Verlag, Köln 2024, 142 Seiten, 12 Euro

Klaus Müller ist Ökonom. Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 11. September über David ­Ricardo, den Vollender der klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie.

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  • Leserbrief von N. Schreiber aus München (11. August 2024 um 19:32 Uhr)
    Vielleicht wird es an anderer Stelle im Buch noch behandelt: In diesem Auszug fehlt mir bei der Stelle der Erläuterungen des Aktienkurswertes als fiktives Kapital, dass dieser meiner Auffassung nach in der Börsenrealität einen starken Einfluss auf Angebot und Nachfrage bei Kapitalerhöhungen/Emissionen neuer Aktien hat, damit schnell zu realem Kapital werden und falls die »Kurspflege« entsprechend erfolgreich ist, sogar zum entscheidenden Faktor bzgl. der von jedem kapitalistischen Konzern angestrebten Monopolbildung werden kann: Eine Aktiengesellschaft, die mehr oder weniger regelmäßig aufgrund eines relativ hohen Kurses der Altaktien und der damit einhergehenden, spekulativen Erwartungshaltung von Klein- und Großaktionären neue Aktien zu vergleichsweise hohen Preisen auf den Primärmarkt werfen kann, wird mittels der daraus entstehenden übergroßen Kapitalmacht sehr schnell jegliche Konkurrenz an die Wand drücken und/oder aufkaufen können. Womit sich dann – besonders was die Profite für die Gründer und Großaktionäre angeht – die mit solchen Neuemissionen regelmäßig einhergehende Kapitalverwässerung relativiert/extrem rentiert.