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Aus: Ausgabe vom 09.08.2024, Seite 7 / Ausland
Drohende Eskalation in Nahost

Schulterschluss gegen Israel

Erklärung der Organisation Islamischer Staaten. Netanjahu will »Präventivangriffe«
Von Knut Mellenthin
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Von Israel getötet: Poster mit Hanija, Soleimani und Schukr in Beirut am Montag

Die große Maschine brauchte zuerst ein paar kräftige Tritte. Doch am Mittwoch hat die Organisation Islamischer Staaten (Organisation of Islamic Cooperation, OIC) die Kriegführung Israels gegen die Palästinenser des Gazastreifens und der besetzten Westbank ebenso scharf verurteilt wie die offensichtlich in israelischem Auftrag durchgeführte Ermordung des Hamas-Chefs Ismail Hanija am 31. Juli während eines Besuchs in Teheran. Diese Tat sei zugleich eine »ernsthafte Verletzung der Souveränität, territorialen Integrität und nationalen Sicherheit« Irans, heißt es im Abschlusskommuniqué des Treffens. Dieses fand in der saudiarabischen Hafenstadt Dschidda statt, deren Klima in dieser Jahreszeit erträglicher ist als das der Hauptstadt Riad. Israels »fortdauernde Verbrechen« untergrüben »Sicherheit und Stabilität in der Region«, fährt die Stellungnahme der OIC in Zusammenhang mit dem Mord fort. Das erfordere »ein sofortiges und wirkungsvolles Eingreifen des UN-Sicherheitsrats im Rahmen seiner vorrangigen Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit«. Bekräftigt wurden außerdem die Verurteilung der israelischen Kriegführung als Völkermord und das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat.

Die OIC repräsentiert 57 Mitgliedstaaten, von denen 48 eine muslimische Bevölkerungsmehrheit haben. Zusammengerechnet, haben diese Länder ungefähr zwei Milliarden Einwohner. Das Treffen in Dschidda fand auf Antrag und Drängen Irans und Palästinas statt. Formal war es eine Sondersitzung des Exekutivkomitees der OIC »auf Außenministerebene«, zu der auch Chefdiplomaten von Mitgliedstaaten, die im Exekutivkomitee nicht vertreten sind, eingeladen waren. Ganz wörtlich war das jedoch nicht gemeint. Saudi-Arabien zum Beispiel hatte nur seinen stellvertretenden Außenamtschef Walid ­Al-Khuraidschi in die Sitzung geschickt. Dass er in seiner Rede die Ermordung Hanijas als »eklatante Verletzung der iranischen Souveränität« verurteilte, kam in Teheran trotzdem hervorragend an.

Die vor allem von US-Außenminister Antony Blinken ständig suggerierte Behauptung, Saudi-Arabien und andere Staaten der Region seien fast schon eingetragener Teil einer »Allianz« mit Israel gegen Iran, schien beim Treffen in Dschidda zur Propagandalegende zu schrumpfen. Ganz so schlicht ist die Realität zwar nicht, aber die Herrschenden der islamischen Welt, darunter viele ohne demokratische Legitimation, sind aus eigenen Interessen sorgfältig darauf bedacht, sich nicht als nützliche Idioten der USA und Israels vereinnahmen und vorführen zu lassen. Je phantasievoller Blinken seine Betrügereien vorträgt, desto mehr wächst für diese Staaten die Notwendigkeit zur deutlichen Abgrenzung.

Der iranische Präsident Massud Peseschkian, der als »gemäßigter Reformer« gilt und zu dessen Amtseinführung Hanija als Gast nach Teheran gekommen war, betonte am Mittwoch in einem Telefongespräch mit seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron, dass Iran nach der Ermordung des Hamas-Chefs auf seinem »Vergeltungsrecht« bestehe. Praktisch hat aber spätestens der fehlgeschlagene iranische Angriff mit Hunderten Drohnen und Raketen gegen Israel am 13. April vor der gesamten Welt demonstriert, dass die Islamische Republik höchstwahrscheinlich nicht zu einem adäquaten Gegenschlag in der Lage wäre und dem Gegner nur Vorwände liefern würde, ohne ihm ernsthaft schaden zu können.

Unblutige Auswege aus dem Dilemma bieten sich an. Am Dienstag berichtete die Washington Post über Spekulationen, dass »intensive diplomatische Anstrengungen« es Iran ermöglichen könnten, sich aus der von der israelischen Regierung angestrebten Zwangslage zu befreien und unter vorteilhafter Gesichtswahrung auf die »Vergeltungsaktion« zu verzichten. Iran zögert und zaudert. Auf das ungewisse Ergebnis will Netanjahu aber nicht warten: Vor einigen Tagen hat der Premierminister eine von der israelischen Gesellschaft breit getragene Debatte über »Präventivangriffe« gegen Ziele im Iran angestoßen. Öffentlichen Widerspruch gibt es nicht, Beifall von rechtsaußen reichlich.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (11. August 2024 um 20:58 Uhr)
    Dass »Iran zögert und zaudert« kann man nicht nur als Zeichen von relativer Schwäche, sondern auch als Zeichen von Stärke interpretieren. 1967 schlug Israel jedenfalls auch deshalb präventiv zu, da der Zustand der Spannung und Mobilisierung für Israel wirtschaftlich nicht auf Dauer tragbar war. »Das Durchhaltevermögen des Staates Israel ist nicht unbegrenzt« argumentierte seinerzeit etwa der Generalquartiermeister Matti Peled (Tom Segev in seinem Buch »1967«, Siedler-Verlag 2007, Seite 387). Insofern der Iran die Israelis mit seiner Gegenschlagdrohung zu einem hohen Mobilisierungsgrad zwingt, fügt er Israel allein durch diese Drohung – ohne sie wahr machen zu müssen – erheblichen Schaden zu. Iran selber hatte seinen Gegenschlag von April dieses Jahres durchaus als Erfolg gewertet. Zwar wäre auch die Erkenntnis vielleicht als ein zweifelhafter Erfolg wertbar, dass arabische Staaten auf israelischer Seite gegen den Iran eingriffen. Allerdings konnten auch alle sieben eingesetzten Hyperschallraketen die israelische Abwehr überwinden und ins Ziel gebracht werden (https://english.almayadeen.net/news/politics/iron-dome-failed-to-intercept-all-seven-hypersonic-missiles). Auch die Ansarollah hatten es geschafft, die israelische Abwehr mit einer Hyperschallrakete zu überwinden. Wie stark der Iran wirklich ist, dürfte auch von der Anzahl der verfügbaren Hyperschallraketen abhängen. Je länger Israel mit einem Präventivschlag wartet, um so stärker wird der Iran. Keine gute Aussicht für Frieden, zumal auch Trump für eine Eskalation der Spannungen mit dem Iran steht.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Leonie B. aus Nürnberg (9. August 2024 um 01:27 Uhr)
    Knut Mellenthin besticht meist mit einer großen Kenntnis der Region. Wieso er aber ausgerechnet den letzten iranischen Angriff auf Israel als »gescheitert« bezeichnet, ist mir schleierhaft. Das Gegenteil wäre der Fall: Der Iran wollte allzu große Schäden und Tote verhindern, um nicht im Gegenzug eine israelische Reaktion zu erzwingen. Ich würde es als großen Erfolg bezeichnen, dass es der Iran geschafft hat, sich mit verbündeten Milizen zu koordinieren, gemeinsam Angriffe auf Israel zu starten und diese trotz militärischer Intervention von Jordanien, Saudi-Arabien und NATO-Staaten mitten in israelische Armeebasen zu feuern. Der Angriff demonstriert doch, dass jeder Ort in Israel getroffen werden kann, trotz angeblich undurchdringlicher Luftabwehr. Ich glaube, der Autor täuscht sich daher, wenn er von »Zaudern und Hadern« des Iran spricht.

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