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Aus: Ausgabe vom 09.08.2024, Seite 14 / Medien
Krieg gegen Bevölkerung in Gaza

Tödlich für Journalisten

Israelische Angriffe töteten mindestens 165 Medienschaffende seit Beginn des Gazakriegs
Von Jakob Reimann
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Kein Interesse an Zeugen: Israel straft Überbringer von Nachrichten aus dem Gazastreifen

Seit Kriegsbeginn sind 165 Journalisten und Medienschaffende in Gaza durch israelische Bomben getötet worden. Das sind die offiziellen Zahlen des Medienbüros in Gaza, über die Reuters Ende vergangener Woche berichtete, nachdem erneut zwei palästinensische Al-Dschasira-Reporter bei ihrer Arbeit vor Ort durch israelische Bomben getötet worden waren. Das Committee to Protect Journalists (CPJ) gibt die Zahl der getöteten Medienschaffenden mit 113 an, demnach »der tödlichste Zeitraum für Journalisten«, seit Beginn der Datenerfassung 1992. Es gebe 350 weitere Fälle »potentieller Tötungen, Festnahmen oder Verletzungen«, die untersucht würden. In den 22 Jahren zuvor wurden weitere 20 Journalisten durch israelisches Feuer getötet. Laut Datenbank des CPJ hat Israel drei von vier aller im Jahr 2023 weltweit getöteten Journalisten zu verantworten.

Im aktuellen Gazakrieg wurden demnach mehr Journalisten getötet als in beiden Weltkriegen und dem Koreakrieg zusammen. Doch insbesondere in der deutschen Presse findet sich kaum eine einordnende Berichterstattung oder ein Stellenwert, der dem beispiellosen Angriff auf den eigenen Berufsstand angemessen wäre. Von Mitgefühl oder Empörung in Meinungsartikeln der bürgerlichen Presse ganz zu schweigen. Der deutliche Kontrast zur medialen Dauerempörung nach der Ermordung des Washington Post-Journalisten Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) durch saudische Spezialeinheiten oder zur Berichterstattung über den 2023 in Russland festgenommenen und kürzlich freigelassenen US-Journalisten Evan Gershkovich offenbart diese Doppelstandards. »Können wir uns einen Moment lang vorstellen, wie die westliche Presse reagieren würde, wenn die russischen Streitkräfte in weniger als einem Jahr mehr als 100 Journalisten in der Ukraine töten würden?« fragte Medienprofessor Mohamad Elmasry in einem Kommentar auf Al-Dschasira nach der jüngsten Tötung zweier palästinensischer Journalisten am 31. Juli.

Der Al-Dschasira-Reporter Ismail Al-Ghoul und sein Kameramann Rami Al-Rifi, beide 27, die in Gaza nahe dem Haus des zuvor in Teheran getöteten Hamas-Führers Ismail Hanija berichteten, wurden durch einen israelischen Luftschlag auf das Geflüchtetenlager Shati gezielt getötet. Beide trugen Pressewesten. Auch der 16jährige Khaled Al-Shawa wurde durch den Luftschlag getötet, berichtete CNN. Al-Ghouls Berichterstattung umfasste insbesondere israelische Angriffe auf das Al-Schifa-Krankenhaus und die verheerende Lage im Norden der abgeriegelten Enklave. Der in Israel seit Mai verbotene Sender kündigte an, »alle rechtlichen Schritte zu unternehmen, um die Urheber dieser Verbrechen zu verfolgen«.

»Eliminiert«: Die auf X veröffentlichte Presseerklärung der israelischen Streitkräfte (IDF) zur Exekution von Al-Ghoul macht deutlich, dass hier ein Pressevertreter gezielt getötet wurde. Der Reporter sei nicht nur »ein Hamas-Aktivist des militärischen Flügels«, sondern gar ein »Nukhba-Terrorist« der Marinespezialeinheiten der Hamas. Al-Ghoul »war aktiv an der Aufzeichnung und Veröffentlichung von Angriffen auf IDF-Truppen beteiligt« und habe andere Personen darin unterrichtet, was freilich der Berufsbeschreibung eines Kriegsberichterstatters entspricht. Israel werde seine »Operationen fortsetzen, um die Terroristen, die an dem Massaker vom 7. Oktober beteiligt waren, zu eliminieren«. Beweise für diese Behauptungen werden nicht vorgelegt. Al-Dschasira weist die Anschuldigungen zurück.

»IDF bestätigt Tötung eines Al-Dschasira-Journalisten und sagt, er sei ein Hamas-Agent gewesen«, betitelte Reuters zunächst den entsprechenden Onlineartikel. Auch im ersten Satz wird darin sofort das IDF-Narrativ reproduziert, Al-Ghoul sei beim »Angriff auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen«. Offenbar waren Reuters, das nach Eigenangaben eine Milliarde Menschen täglich erreicht, die mangelnden journalistischen Standards in der Überschrift aufgefallen. Schließlich fügte die Agentur noch ein, Israel habe die Aussagen über Al-Ghoul »ohne Beweise« getätigt. Warum die Information dann in der Überschrift steht, ist kaum nachvollziehbar.

Am Donnerstag vergangener Woche hatten sich viele der verbliebenen Journalisten in Gaza versammelt, um ihrer zwei getöteten Kollegen zu gedenken. »Was hat Ismail getan?« fragte dort ein Kollege. »Ein Foto gemacht? Über das Leiden der Menschen berichtet?« Aus Protest hatten die Journalisten ihre blauen Pressewesten und -helme abgelegt, wie Aufnahmen des Treffens zeigen. Denn Schutz vor Angriffen bedeuten diese ohnehin nicht.

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