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Aus: Ausgabe vom 09.08.2024, Seite 15 / Feminismus
Tag der Indigenen

Paradies der Muxe

Geschlechtsidentitäten im Süden Mexikos: Transfrauen im Bundesstaat Oaxaca. Zwischen Akzeptanz und Hassverbrechen
Von Annuschka Eckhardt
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Muxe feiern auf einer Vela – einem traditionellen Fest mit Musik und Tanz

Winzige rosa Shrimps stapeln sich meterhoch in geflochtenen Körben, in einem Tontopf köchelt Leguansuppe, unter der Hand werden verbotene Schildkröteneier als Delikatesse angeboten. Palmwedel vertreiben die Fliegen von fetttriefenden Fischfrikadellen – der Nabel der Kleinstadt Juchitán de Zaragoza im Süden Mexikos ist ihr zweistöckiges Marktgebäude.

Im oberen Stockwerk riecht es nach einer Mischung aus Leder und Plastik. Hier werden neben traditionellem Kunsthandwerk mit bunten Blüten bestickte Trachten, Ledersandalen, Plastikschlappen und Schmuck angeboten. Frauen in langen Röcken und aufwendig bestickten Blusen führen die Geschäfte, locken die Kundinnen mit Angeboten zu sich. Einige der Verkäuferinnen sind Muxe (ausgesprochen Musche), die von vielen als drittes Geschlecht angesehen werden.

Die Stadt am Isthmus von Tehuantepec mit ihren rund 115.000 Einwohnern passt nicht in das Bild des vom Machismo geprägten Mexiko. Im Handel und im gesellschaftlichen Leben haben hier die Frauen das Sagen. Ob Juchitán ein Matriarchat ist, bleibt umstritten: Frauen verwalten das Geld, andererseits gibt es einen großen Hype um das Hymen junger Frauen, das vor der »Hochzeitsnacht« möglichst unversehrt sein sollte (wer Geld gespart hat, kann es vor dem Event auch noch schnell nähen lassen).

Eine wichtige Rolle bei der Definition der geschlechtlichen Zugehörigkeit spielt die Arbeit. Nicht obwohl, sondern weil es in Juchitán eine deutlich markierte geschlechtliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau gebe, könne sich in bezug darauf ein drittes Geschlecht definieren, schreibt Matriarchatsforscherin Veronika Bennholdt-Thomsen. Muxe gelten als besonders fleißig, was kein Wunder sei, denn sie beweisen der Gesellschaft ihren Status als drittes Geschlecht, indem sie sich vor allem in den Arbeitssparten der Frauen hervortun.

Vermittelt über die klare geschlechtliche Arbeitsteilung definiert sich in der zapotekischen Isthmusregion auch ein viertes Geschlecht, das der Marimachas. Sie identifizieren sich mit der männlichen Sozialrolle, erledigen »Männerarbeit« und leben meist in einer Beziehung mit einer Frau. Anders als die Muxes würden die Marimachas weniger leicht als eigenständiges Geschlecht akzeptiert, so Bennholdt-Thomsen. Das möge an dem hohen Prestige der Frau in der Gesellschaft der Binnizá (wie sich die Zapoteken selbst nennen) liegen, auf das sie verzichten, wenn sie »zum Mann werden«, wohingegen die Muxe es für sich erobern.

»Das Paradies der Muxe« ist der Name, den man dieser Region am Isthmus von Tehuantepec gegeben hat, weil die Muxes am täglichen Leben, an der Hausarbeit und an Festen wie den »velas« teilhaben, den Volkstänzen in traditioneller Kleidung, weil sie akzeptiert und gefeiert werden. Der Schein trügt laut Lukas Avendaño, Anthropologe und Performancekünstler. Denn Muxe leben gefährlich, werden häufig Opfer von Femiziden und anderen Hassverbrechen.

»Muxe sind frei, aber leben in einer Gesellschaft, in der sie immer noch diskriminiert werden, und befinden sich in ständigem Widerstand. Als Indigene, Muxe und weiblich gelesen sind sie vielseitiger Diskriminierung ausgesetzt. Richtig ist, dass die affektiven, sozialen, körperlichen und emotionalen Beziehungen weniger orthodox sind als im Rest der mexikanischen Republik«, so der Anthropologe. Das sei der Punkt, an dem sich die Muxe als einzigartige Gruppe in Mexiko mit ihren Besonderheiten abheben.

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