»Es geht nicht um Geld für einen Urlaub«
Interview: Gitta DüperthalMehr als 1,3 Millionen Menschen, die eine Altersrente beziehen, arbeiten. Das geht aus einer Anfrage der Linkspartei bei der Bundesregierung hervor. Im Vergleich zu 2012 ist damit der Anteil der zwischen 65- und 69jährigen, die arbeiten, von elf auf 19 Prozent gestiegen. Was sind die Gründe für diese Entwicklung?
Ein Aspekt ist der demographische Wandel. Aber die meisten Rentnerinnen und Rentner arbeiten in Minijobs. Das bedeutet, dass vielen das Geld einfach nicht ausreicht und sie dringend etwas hinzuverdienen müssen. Zudem spricht es auch nicht unbedingt dafür, dass die Arbeitswelt so gestaltet ist, dass Menschen gerne und freiwillig länger arbeiten wollen. Mag sein, dass das für einige zutrifft. Der überwiegende Teil derer, die weiterarbeiten, braucht schlicht das Geld.
Die Linke ist gegen »die Maloche bis zum Tode!« Pascal Kober, sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, setzt dagegen, viele würden aus Spaß weiterarbeiten.
Wer arbeiten gehen möchte, konnte das schon immer. Ich sehe aber das Risiko, dass alles mehr individualisiert wird. Auch Rentnerinnen und Rentnern, die wenig Geld haben, wird dann gesagt: Dann geht halt arbeiten. Das ist nicht der Sinn und Zweck der Sozialversicherung im Alter. Viele Menschen erreichen aufgrund des harten mentalen und körperlichen Anspruchs im Job die Regelaltersgrenze nicht. Es darf keine Erwartungshaltung geben, dass Arbeiten über die Rente hinaus der Normalzustand ist.
Martin Werding aus dem Sachverständigenrat, der die Bundesregierung dazu berät, behauptet: Beim Weiterarbeiten gehe es oft darum, sich »zusätzlich finanzielle Spielräume zu erarbeiten«.
Das mag interessant für Menschen sein, die am Schreibtisch arbeiten. Für Menschen, die auf der Baustelle arbeiten, ist es keine gute Option, noch mit 75 Jahren dort zu schuften. Es ist eine sehr akademische Debatte. Für die meisten Rentnerinnen und Rentner geht es darum, ihre Existenz abzusichern. Sie verdienen sich was hinzu, damit sie genug haben, wenn ein Notfall eintritt oder etwa die Waschmaschine kaputtgeht und sie eine neue anschaffen müssen. Es geht nicht um Geld für einen Urlaub.
Der »Wirtschaftsweise« Werding will höhere Abschläge bei der Rente von Menschen, die mit 63 Jahren in Rente gehen. Wen würde das vor allem treffen?
Das trifft vorrangig auch Menschen mit niedrigeren Renten. Die haben sowieso im Schnitt eine kürzere Lebenserwartung als wohlhabende. Müssen sie höhere Abschläge hinnehmen, ist eine Rentenkürzung noch einmal eine Ungerechtigkeit. Übergänge von der Arbeitswelt in die Rente müssen besser gestaltet werden, gerade wenn Menschen erwerbslos sind oder wenn sie Angehörige pflegen. Im letzteren Fall sollte es eine Lohnersatzleistung für die Pflege geben, um eben nicht finanziell auf die Rente mit Abschlägen angewiesen zu sein.
Die Durchschnittsrente nach Abzügen beläuft sich auf 1.384 Euro, also knapp über der EU-definierten Armutsschwelle für Deutschland von 1.250 Euro für Alleinlebende. Sollte es finanzielle Anreize geben, um zu weiterer Erwerbsarbeit nach Erreichen der Altersrente zu bewegen?
Nein. Es bedarf eines besseren Mindestlohns, damit Menschen die Möglichkeit erhalten, für ihr Alter etwas zurückzulegen. Wir brauchen gute Löhne und ein Rentenniveau von mindestens 53 Prozent. Denn Mieten in teuren Städten, wie etwa Berlin, München oder Frankfurt sind so hoch, dass sie mit einer Durchschnittsrente nicht zu bezahlen sind.
Was fordert der Sozialverband VdK?
Die Bundesregierung muss sich darum kümmern, dass die Arbeitswelt für ältere Menschen einfacher, attraktiver und altersgerechter wird. So können mehr Menschen bis zum Regelrenteneintritt im Job bleiben. Es bringt nichts, nur den in akademischen oder Schreibtischjobs arbeitenden Menschen mit Förderungen unter die Arme zu greifen, sondern vor allem den Menschen mit wenig Geld, die wirkliche Existenzsorgen haben. Dazu muss sich die Bundesregierung die Lohngestaltung anschauen und den Mindestlohn erhöhen.
Verena Bentele ist Präsidentin des Sozialverbandes VdK
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (11. August 2024 um 21:10 Uhr)Nun bin ich bereits neun lange Jahre Rentner und habe bislang noch keinen einzigen Tag wieder in Abhängigkeit gearbeitet. Oh Mann, was habe ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich solche Meldungen wie diese lese! Wahrscheinlich soll mir so meine Freude am fröhlichen »Rentnern« abtrainiert werden; so nach der Methode der »Gegenkonditionierung« (siehe: Pawlowscher Hund). Leider habe ich aber gar keine Zeit zum Billig-Jobben; muss nämlich, um über die Runden zu kommen, die ganze Zeit Flaschen sammeln mit meinem Hund. Der ist speziell auf das Erschnüffeln von Leergut abgerichtet (mein kleines treues »Trüffelschwein«) und gottlob noch nicht im Rentenalter – der Glückliche!
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