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Aus: Ausgabe vom 10.08.2024, Seite 4 / Inland
Radioaktiver Abfall in der BRD

Ganz großes Kapitel

Suche nach Endlager für hochradioaktiven Müll könnte bis in die 2070er Jahre dauern. Exbehördenchef mahnt zu Beschlüssen für komplexes Verfahren
Von Marc Bebenroth
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Auch gescheitert: In den Schacht Konrad in Niedersachsen wird vorerst kein Atommüll kommen (Salzgitter, 19.12.2023)

Mehr als 60 Jahre lang produzierte die Bundesrepublik radioaktiven Abfall. Die amtierende Bundesregierung ist offenbar darum bemüht, dass es nicht weitere 60 Jahre dauern soll, bis ein wissenschaftlich geprüftes Endlager errichtet werden kann. Wer nicht »sehr tief in der fachlichen Auseinandersetzung ist«, könne tatsächlich nicht verstehen, wieso die Standortsuche allein 50 oder mehr Jahre dauern soll, sagte der frühere Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der nuklearen Entsorgung (BASE), Wolfgang König, in einem bereits am Donnerstag veröffentlichten Interview mit dem Deutschlandfunk. Weltweit sei »man« in die Verstromung mittels Kernkraft eingestiegen, ohne sich um die Frage ernsthaft zu kümmern, wo radioaktive Abfälle endgültig gelagert werden sollen.

Die Suche nach einem adäquaten Endlager für die 1.750 Castor-Behälter auf dem Gebiet der ­Bundesrepublik dauert nach jüngsten Schätzungen mindestens bis ins Jahr 2074, wie ein in dieser Woche veröffentlichtes Gutachten des Öko-Instituts e. V. ergab. In Finnland dagegen stehe das erste und bislang einzige Endlager kurz vor der Inbetriebnahme, erklärte König. Den Verantwortlichen in der BRD machte er den Vorwurf, über Jahrzehnte den Betrieb der AKW vorangetrieben zu haben, ohne an ein Endlager zu denken. Dieser Tatsache ungeachtet fordern Parteien wie CDU, FDP und AfD nach wie vor die Rückkehr zum Atomstrom als angeblich klimaschonende, weil CO2-freie Alternative zu fossilen Energieträgern. Doch die gescheiterten Projekte Asse und Gorleben hätten zum Umdenken geführt, sagte der Ex-BASE-Chef. So seien jetzt geowissenschaftliche Fakten ausschlaggebend bei der Standortsuche – anstatt primär politische.

Der Bundesregierung sprang der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz bei. Gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg erklärte Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen) ebenfalls am Donnerstag, dass das von seiner Parteikollegin Steffi Lemke geleitete Umweltministerium und die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nicht die Hände in den Schoß legten, sondern interne Arbeitsgruppen an einer Beschleunigung des Verfahrens arbeiten würden. »Es gibt eine engere Zusammenarbeit«, und es sei geprüft worden, »ob sich Prozesse stärker parallelisieren lassen«, sagte Ebner.

Auf die Frage, was bis zum Abschluss der Endlagersuche mit dem schon vorhandenen Atommüll sowie den noch hinzukommenden Abfällen zurückgebauter AKW zu tun ist, bezeichnete der Grünen-Politiker die Situation als »Unding«. »Wer mit dieser Technologie gestartet ist, ohne zu wissen, was er mit dem Atommüll macht, der hatte schon ganz schön viel Mut aufgebracht.« Auf Nachfrage, ob die Zwischenlager sicher seien, verwies Ebner auf die Castor-Behälter, in denen der radioaktive Müll aufbewahrt wird. Durch diese Behältnisse seien die Lagerstätten »so sicher wie möglich«.

Von dem im Öko-Institut-Gutachten genannten Zeitraum von gut 50 Jahren zeigten sich weder König noch Ebner überrascht. In der Öffentlichkeit sei König zufolge mit dem Abschalten der letzten Meiler das Bewusstsein verbreitet vorhanden, dass das Thema Atomkraft abgeschlossen sei. »Aber das letzte Kapitel, das ganz große, wird uns Jahrzehnte noch begleiten«, sagte der dem Deutschlandfunk. Es brauche stabile geologische Formationen, weshalb grundlegende wissenschaftliche Arbeiten nötig seien. Jene Prozesse entziehen sich »gewöhnlichen politischen Gepflogenheiten«, erklärte der Ex-BASE-Chef.

Jetzt gehe es darum, sich ehrlich zu machen und sehr schnell Vorgaben zu beschließen, welche Flächen genauer geprüft werden sollen, ob sie sich als Endlagerstandort eignen, forderte König. Dieser und weitere Schritte zur Erkundung »sind alles Punkte, die müssen heute gemacht werden. Die dürfen nicht aufgeschoben werden«, sonst werde in Kauf genommen, dass andere Generationen »diese Abfälle vor die Tür gestellt bekommen«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (9. August 2024 um 21:46 Uhr)
    Radioaktive Isotope haben den Vorteil, eine Halbwertszeit zu haben. Die Halbwertszeit von (Kraftwerks-)Plutonium ist etwa vierundzwanzigtausend Jahre, nach hundertzwanzigtausend Jahren ist nur noch ein zweiunddreißigstel der Anfangsmenge vorhanden. Aus dem Plutonium entsteht Uran (235) mit einer Halbewertszeit von 704 Millionen Jahren, um das braucht man sich nicht mehr zu kümmern. Man sollte sich die Frage stellen, weshalb »die Natur« dafür gesorgt hat, dass praktisch kein Plutonium »natürlich« auf Erden vorkommt. Oder andersherum: Die Evolution konnte nur ohne Plutonium ablaufen, da es rechtzeitig nach seiner Entstehung in der Supernova, aus deren Sternenstaub das Sonnensystem entstanden ist, zerfiel. Da könnte man eine interessante Debatte um den Stoffwechsel des Menschen mit der Natur anzetteln …

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